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»Oder zum Mars.«

»Oder zum Mars«, stimmte ihm Dex bedrückt zu. »Er wird in etwas über einem Jahr hier sein.«

Jamie sah ihn eine Weile stumm an. Warum ist Dex so deprimiert, fragte er sich. Er hat auf den Tourismus und die kommerzielle Erschließung des Mars gedrängt, und jetzt, wo sein Vater kommt, um die Sache entsprechend in Schwung zu bringen, sieht er so elend aus, wie ich mich fühle.

»Weshalb muss er persönlich herkommen?«, fragte Jamie. »Kann er seine Ziele nicht auf der Erde verfolgen?«

Dex machte ein saures Gesicht. »Er will zeigen, dass normale Menschen zum Mars fliegen können. Er will die Tür zum Tourismus und zur kommerziellen Erschließung aufstoßen. Er wird hier ein Hotel bauen. Ein komplettes Touristenzentrum. Disneyland auf dem Mars.«

»Bloß das nicht«, stöhnte Jamie.

»Oh doch. Er muss Mr. Macho sein. Der große Zampano. Muss der ganzen Welt zeigen, dass er zum Mars kommen und die Sache ins Rollen bringen kann. Machen Sie Ihr Vermögen auf dem Roten Planeten. Investieren Sie in die Darryl C. Trumball Enterprises.«

Jamie sagte: »Du scheinst nicht sehr glücklich darüber zu sein.«

»Warum, zum Teufel, sollte ich? Er kommt her, um den Ruhm einzuheimsen, um sich wichtig zu machen und mich beiseite zu schieben, raus aus dem Rampenlicht. Ich bin bloß der kleine Junge, der ein bisschen Wissenschaft getrieben hat, den er hat ein bisschen herumspielen lassen, er ist der große, bedeutende Scheiß-Milliardär.«

»Wie in aller Welt können wir ihn aufhalten? Und zwar jetzt, bevor er anfängt, dies hier zu ruinieren.«

»Indem wir ihm eine Kugel zwischen die Augen jagen.«

»Ich mein's ernst.«

Dex knallte die Faust auf den Tisch, sodass Kaffee aus seinem Becher schwappte.

»Wir können ihn nicht aufhalten! Niemand kann ihn aufhalten! Er hat die Kontrolle über das Geld, verdammt noch mal!«

»Es muss einen Weg geben«, sagte Jamie verzweifelt. »Es muss einen geben.«

Dex schüttelte langsam den Kopf. »Das ist die goldene Regel, Kumpeclass="underline" Wer das Geld hat, bestimmt die Regeln.«

Jamie schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Das muss verhindert werden, Dex. Ich spreche mit DiNardo und Li Chengdu. Und mit dem IUK-Vorstand.«

»Nur zu. Du hast genauso viel Chancen wie die Sioux gegen die U.S. Army.«

»Sie haben Custer geschlagen«, fauchte Jamie.

»Und sind anschließend ausgelöscht worden.«

Trudy Halls Kopf erschien in der Bodenluke. Ihr dunkelbraunes Haar wippte ein bisschen, als sie die Leiter heraufkletterte.

»Oh, da war ich wohl nicht die Einzige, die dachte, Morgenstund hat Gold im Mund«, sagte sie überrascht.

Jamie sah, dass sie ihren schweißfleckigen Jogginganzug anhatte. Sie wird jetzt wieder jeden Morgen joggen, dachte er und erinnerte sich an ihre dumpfen Schritte im Außenkorridor des Wohnmoduls. Dann werden wir keine Wecker brauchen.

»Tja, das Gold ist leider schon weg, Trudy«, sagte Dex mit einem bitteren Grinsen.

»Na, macht nichts. Wir haben heute Vormittag viel zu tun. DiNardos Leute wollen noch einen Satz Mikroaufnahmen von den Wandinschriften.«

»Noch einen Satz? Was ist mit den Bildern, die wir ihnen letzte Woche geschickt haben?«, fragte Dex.

»Waren ihnen wohl nicht gut genug.« Trudy ging zum Gefrierschrank, ohne auch nur im Geringsten etwas von den Problemen zu ahnen, die in Jamies Eingeweiden brannten.

Ich muss jetzt da raus und die wissenschaftliche Arbeit machen, derentwegen ich hergekommen bin, dachte er. Vergiss Trumball und konzentriere dich auf die Arbeit. Das ist es, was zählt. Erledige deine Arbeit … solange du kannst.

MITTAG: SOL 147

»Keine Probleme?«, fragte Vijay.

Auf dem Kommunikationsbildschirm machte Trudy Hall ein etwas verdutztes Gesicht. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt keine.«

»Das ist gut«, sagte Vijay.

»Es ist eher so, als wäre man die kleine Schwester unter drei großen Brüdern«, fuhr Trudy fort. »Meistens werde ich mit einer gewissen Nachsicht behandelt.«

Vijay saß an dem winzigen Schreibtisch in ihrer privaten Unterkunft. Sie zeichnete das Gespräch natürlich auf; ein weiterer Bestandteil ihrer fortlaufenden psychologischen Datensammlung.

»Und keiner hat irgendwelche sexuellen Annäherungsversuche unternommen?«

»Keiner.« Hall schmollte beinahe. »Vielleicht sollte ich ja enttäuscht sein?« Dann fügte sie rasch hinzu: »Kein Wort zu Tommy, dass ich das gesagt habe!«

Mit einem Lachen versichert ihr Vijay, dass diese Psycho-Sitzungen strikt privat waren. »Außer natürlich, du hast eine Beschwerde vorzubringen.«

Trudy schüttelte erneut den Kopf. »Dex und Jamie laufen mit einer Jammermiene rum, als würde das Gewicht der ganzen Welt auf ihren Schultern lasten. Und Mitsuo … na ja, Mitsuo hat mir immer das Gefühl vermittelt, dass er mich irgendwie für nicht ganz menschlich hält.«

Eine subtile Form des Rassismus, dachte Vijay. Davon hast du bei den Weißen, weiß Gott, genug gesehen.

Aber sie behielt ihre Gedanken für sich. Sie beendete die Sitzung mit Trudy und verabschiedete sich, dann diktierte sie eine halbe Stunde lang ihre Gedanken und Eindrücke für die Missionsunterlagen.

Diese Berichte werden eine Reihe von Artikeln in den Psychologiezeitschriften ergeben, wenn wir nach Hause kommen, dachte sie beim Diktieren. Dann bin ich ganz oben auf der Erfolgsleiter und kann mir die besten unkündbaren Stellen an den besten Universitäten der Erde aussuchen. Sexuelle Einstellungen und Verhaltensweisen in einer isolierten Umgebung über eine Periode von achtzehn Monaten. Das könnte der Titel der zentralen Abhandlung sein. Vielleicht mache ich sogar ein knackiges Buch daraus: Sex auf dem Mars. Ein Bestseller, keine Frage.

Aber noch während sie diese Ideen entwickelte, fragte sie sich, was mit Jamie los war. Und mit Dex. Und mit ihr selbst. Was für ein Schlamassel ich angerichtet habe, in jeder Hinsicht. Was für ein dummes, trostloses Schlamassel.

Vijay hatte ganze Abende damit verbracht, die wissenschaftliche Literatur über zwischenmenschliche Beziehungen bei anderen Expeditionen zu durchforsten, besonders bei den Wissenschaftlerteams, die in Antarktisstationen überwintert hatten. Sie hatte jede Menge Informationen über sozialen Stress und die Auswirkungen von Einsamkeit und Langeweile in Verbindung mit physischer Gefahr gefunden, aber so gut wie nichts, was ihr geholfen hätte. Männer hatten in Antarktisstationen Mordversuche unternommen. Männer waren auf monatelangen Unterwasserpatrouillenfahrten in Atom-U-Booten Amok gelaufen. Aber in den Berichten stand wenig darüber, wie sich Beziehungen zwischen Männern und Frauen herausbilden und verändern konnten. Und nichts darüber, wie Sex alles in unterschiedliche Perspektiven verzerrte.

Jetzt, wo außer ihr nur noch Wiley und die beiden Astronauten da waren, kam ihr die Kuppel leer vor. Als sie in ihrer kleinen Kabine saß und auf den dunklen Bildschirm ihres Laptops starrte, fragte sich Vijay zum tausendsten Mal, ob sie Tomas auf der nächsten Fahrt zum Canyon begleiten und dort ein oder zwei Tage mit den vier Wissenschaftlern verbringen sollte.

Mit Jamie, meinst du. Oder mit Dex. Ist es Jamie, den du willst? Ist Jamie trotz allem, trotz seiner verdammten Selbstlosigkeit wirklich derjenige, aus dem du dir etwas machst? Bei ihm musst du dich mit dem zweiten Platz begnügen; er ist vor allem in den Mars verliebt.

Und wie steht's mit Dex? Er ist … kraftvoll. Dynamisch. Vijay schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht über Dex nachdenken. Er war eine Komplikation. Zu verwirrend.

Sie sprang von ihrem Stuhl auf und verließ rasch ihr Abteil. Bring das Blut zum Zirkulieren, sagte sie sich, als sie mit so harten Schritten über den Plastikboden stapfte, dass deren Stakkato durch die Kuppel hallte.