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Auch diesmal hatte er keinen dabei. Ich hätte welchen mitnehmen sollen, tadelte er sich. Das war ein Fehler.

Und natürlich fragte Trumball über den Tisch hinweg: »Und was hat unser verehrter Chef zur Party mitgebracht?«

Jamie zwang sich zu einem Lächeln. Er spreizte die Hände. »Nichts. Tut mir Leid.«

»Nich mal 'n Sechserpack Bier?«, fragte Craig.

»Nicht mal eine Prise Peyote?«, setzte Trumball hinzu.

Jamie schüttelte nur den Kopf. Ihm fiel ein, dass sogar der mürrische Wosnesenski, der als Leiter des Bodenteams beinahe schon paranoid sicherheitsbewusst gewesen war, an jenem ersten Abend eine Flasche Wodka auf den Tisch gestellt hatte.

Jamie stand auf, und ihr fröhliches Geplauder verebbte.

»Okay, dann feiert mal schön. Ihr habt es verdient. Aber nur heute Abend. Ab morgen früh kein Alkohol mehr, bis wir sicher auf dem Heimweg sind.«

»Korrekt!«, sagte Deschurowa, und sie eilten alle in ihre Kabinen und zu ihren geheimen Vorräten.

Jamie blieb noch auf einen Schluck von Shektars Champagner und zog sich dann in seine Unterkunft zurück. Er arbeitete an seinem Tagesbericht und studierte die Pläne für die Traverse zum Canyon, wo die erste Expedition ein Rover-Fahrzeug zurückgelassen hatte, das in einem Krater voller trügerischem Sand versunken war.

Es fiel ihm schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, während die anderen aus vollem Halse Limericks zur Melodie von Cielito Lindo sangen.

»Ay, ay, ay, ay, Deine Mutter streicht um die Kaserne! Drum sing mir 'nen neuen Vers, noch derber als der letzte Vers, dreh mich im Kreis herum, Willy.«

Stacy Deschurowas Stimme — ein voller, klarer Sopran — übertönte alle anderen. Sie hätte Opernstar werden können, erkannte Jamie. Madame Butterfly. Eine stämmige, mürrische Madame Butterfly.

Die Limericks wurden immer schlüpfriger, darunter einer, der, wie Trumball lauthals verkündete, von keinem Geringerem als Isaac Asimov stammte:

»Eine Hure aus South Carolina spannte Saiten über ihre Vagina. War ein Schwanz schön dick, klang ein stinknormaler Fick wie Bachs Duo für Flöte und Violina.«

Dann erhob sich Shektars unverkennbare Aussie-Stimme über das Gebrabbeclass="underline" »Kennt einer von euch ›Der kleine Stromer‹?«

Stille. Jamie spürte, wie sie alle den benebelten Kopf schüttelten.

Mit einem volltönenden Mezzosopran begann Shektar:

»Der kleine Stromer stromert lustig dahin am Strand den Rucksack auf der Schulter den Pimmel in der Hand …«

Brüllendes Gelächter. Das Lied ging immer weiter und wurde immer schlimmer. Jamie fragte sich, ob sie am nächsten Morgen überhaupt arbeitsfähig sein würden.

TAGEBUCHEINTRAGUNG

Endlich haben wir's geschafft: Wir sind unten, nachdem wir fünf Monate in dieser Sardinenbüchse eingepfercht waren. Noch ein Tag in diesem Metallsarg, und ich hätte angefangen zu schreien. Die Kuppel ist größer, geräumiger. Aber sie ist merkwürdig. Sie hat nicht den richtigen Geruch. Ich weiß, dass hier irgendwas nicht stimmt. Die Kuppel riecht schlecht.

ABEND: SOL 1

Jamie wartete, bis endlich Stille einkehrte, dann zog er sich aus und schlüpfte in Jockey-Shorts und ein T-Shirt aus seinem Kleidersack.

Ich sollte meine Klamotten auspacken und ordentlich verstauen, sagte er sich. Aber er war körperlich und seelisch erschöpft und so müde, dass er nur noch auf seine Liege niedersinken konnte. Ich stehe morgen ganz früh auf und tue es.

Er hatte seinen Laptop ans Stromnetz der Kuppel angeschlossen und neben die Liege gestellt, wo er gut an die Tastatur herankam. Er stieß auf eine Nachrichtensendung von der Erde, und ihm wurde klar, dass alles, was er sah und hörte, eine Viertelstunde zuvor von einem Satelliten ausgestrahlt worden war.

Die meisten großen Nachrichten- und Entertainment-Networks auf der Erde waren gern bereit gewesen, ihre Sendungen gebührenfrei zum Mars auszustrahlen. Die Expeditionsplaner hatten bereitwillig die Kosten für die Einrichtung der erforderlichen Sendeanlagen bezahlt; eine Verbindung mit der Heimat war wichtig für das seelische Wohlbefinden der Forscher, selbst wenn sie rein elektronischer Natur war.

Jamie sah sie alle acht in ihren hartschaligen Raumanzügen mit den leeren Gesichtern auf dem roten Sand des Mars stehen und ihre kleinen Reden halten. Dann folgten Szenen mit Schulkindern, die sich die Landezeremonie ansahen. Die zweite Marslandung lockte keine gewaltigen Scharen feiernder Menschen mehr an, wie die erste damals.

Jamie streckte sich wieder auf seiner Liege aus und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Na ja, das ist wohl auch ganz natürlich. Beim ersten Mal ist es für die Öffentlichkeit aufregend. Die zweite Landung sieht weitgehend genauso aus wie die erste. Für die Leute daheim wird es erst wieder aufregend, wenn wir in echte Schwierigkeiten geraten.

Oder wenn wir Spuren intelligenten Lebens …

Jemand klopfte an seine Tür.

Beinahe verärgert über die Störung, rief Jamie: »Wer ist da?«

»Vijay.«

Jamie schwang die Beine von der Liege und stand auf. »Augenblick.« Er griff sich seinen abgelegten Overall und schlüpfte hinein. Während er den Klettverschluss vorne zudrückte, ging er zur Tür und entriegelte sie.

»Irgendwas nicht in Ordnung?«, fragte er.

Sie hatte den Overall, den sie sonst immer trug, gegen einen unförmigen, weiten, knubbeligen Rollkragenpullover und eine formlose, ausgebeulte Hose eingetauscht. Man kann nicht gerade behaupten, dass sie ihren Körper zur Schau stellt, dachte Jamie, aber sie mag leuchtende Farben. Der Pullover war korallenrot, die Hose sonnengelb.

»Nein, alles okay.« Sie hielt einen verschlossenen Plastikbeutel hoch. »Bloß der Vitaminlieferservice, Kamerad.«

»Oh.« Jamie nahm ihr den Beutel ab.

»Deine Ergänzungspräparate für diese Woche«, sagte sie. Während des gesamten Fluges zum Mars hatte Shektar die Vitaminpräparate jedem Mitglied der Expedition stets persönlich ausgehändigt.

»Gut.«

»Wir wollen ja nicht, dass du Skorbut kriegst«, sagte sie beinahe schelmisch. Genau das war dem gesamten Bodenteam der ersten Expedition passiert, als dessen Vorrat an Vitaminpräparaten verdorben war.

»Nein«, pflichtete Jamie ihr bei, »einmal reicht.«

»Hast du Zeit für einen Schlummertrunk, oder willst du schon schlafen gehen?«

Er hätte beinahe geschnaubt. »Nach eurem Besäufnis gerade eben willst du noch einen Schlummertrunk?«

»Orangensaft, Jamie. Blutzucker.«

»Ich dachte eher, du bräuchtest Aspirin.«

»Keine Sorge«, sagte sie und ging zur Kombüse voran. »So viel hab ich noch längst nicht intus.«

Die Kuppel war jetzt nur noch matt erleuchtet; da die Trennwände der privaten Abteile nur zweieinhalb Meter hoch waren, wurde die Beleuchtung bei Nacht gedämpft.

»Wo hast du diese Lieder gelernt?«, fragte er, während er ihr durch den halbdunklen Raum folgte.

»Die Vorteile einer Collegeausbildung.«

»Tolle Ausbildung.«

Vijay sah ihn neugierig an. »Hast du dich auf dem College nie betrunken und unanständige Lieder gesungen?«

»Nein, ich glaube nicht«, sagte Jamie und dachte an die vielen im Vollrausch herumtorkelnden Navajos, die er gesehen hatte.