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»Ja. Ich will nicht, dass er herkommt. Ich will nicht, dass er Schiffsladungen von Touristen den Weg bereitet, die durch den Tempel ziehen …«

»Tempel? Wer sagt, dass es ein Tempel ist?«

Mit einem geduldigen Seufzen antwortete Jamie: »Für mich ist es einer.«

»Ein Tempel.«

Jamie wackelte mit der Hand. »Das marsianische Gegenstück.«

Dex grinste ihn an. »Ich will den lieben alten Dad auch nicht hier haben, aber wie, zum Teufel, können wir ihn aufhalten? Er hat das IUK überfahren, Herrgott noch mal.«

»Ich habe DiNardo und Li gebeten, zu intervenieren.«

»Und?«

»Bis jetzt keine Antwort«, gab Jamie zu. »Von keinem der beiden.«

»Da kannst du lange warten.«

»Er darf nicht herkommen!«, fauchte Jamie. »Wir dürfen nicht zulassen, dass er diese Stätte in eine Touristenattraktion verwandelt!«

Dex ließ den Kopf zwischen die Hände sinken. »Wenn dir was einfällt, wie wir ihn aufhalten können, Kumpel, sag mir Bescheid. Ich hab mein Leben lang versucht, mich von ihm zu befreien, und jetzt rast er den ganzen Weg hierher zum Mars, um mich wieder an die Leine zu legen.«

MORGEN: SOL 150

Jamie saß am Rand der Spalte und ließ die Beine über den Rand baumeln. Das Licht der Morgensonne überflutete ihn und fiel auf die Steinwand in seinem Rücken. Die blasse, geschrumpfte Sonne brachte ihm keine Wärme. Der Boden des Canyons breitete sich tief, tief unter seinen gestiefelten Füßen aus, übersät mit Steinbrocken, aber ansonsten kalt und leer und kahl.

Er beugte sich ein wenig vor, um auf den Boden des Canyons hinabzuspähen, und versuchte ihn so zu sehen, wie er früher einmal gewesen war. Bestimmt hat sich ein Flüsschen hindurchgeschlängelt, vielleicht sogar ein ausgewachsener Fluss, dachte er. Er stellte sich die Marsianer vor, die dort unten in hübschen, ordentlichen Dörfern inmitten blühender Felder gelebt hatten. Alles war in Quadrate eingeteilt, die Straßen zogen sich schnurgerade dahin, und präzise Reihen des marsianischen Gegenstücks von Mais wuchsen im Sonnenschein.

Jetzt war dort unten alles kahl und tot, eine Eiswüste, in der die Lufttemperatur selbst am längsten Sommertag nur knapp über den Nullpunkt stieg.

Aber ganz leer war es nicht mehr. Trudy und Mitsuo fuhren am Seil zum Boden des Canyons hinab, bereit, sich den ganzen Tag über mit den wenigen, raren Flechtenkolonien zu beschäftigen, die sich dort unten verzweifelt ans Leben klammerten.

Plötzlich senkte sich die unförmige Gestalt einer Figur im Raumanzug schwerfällig in sein Blickfeld; sie hing am Seil und ließ sich langsam herab, vorbei an der überhängenden Felsdecke. Dex, der zur täglichen Arbeit herunterkam. Zur täglichen Frustration.

»Stacy hat vom Rover aus angerufen«, sagte er, als Jamie sich auf die Beine hievte.

»Ich dachte, Tomas würde diesmal fahren.«

»Nein. Die Chefin hat beschlossen, es selbst zu machen.«

Dex pflanzte seine Stiefel auf den Steinboden, als Jamie zu ihm kam und ihm aus dem Klettergeschirr half.

»Hast du die Liste mit dem Arbeitsprogramm für heute dabei?«, fragte Dex.

Jamie tippte auf das Computerdisplay am Handgelenk seines Raumanzugs. »I.D.S.«, sagte er.

»Immer dasselbe.«

»Genau. Noch mehr Mikroaufnahmen. Noch mehr Gesteinsproben.«

»Immerhin haben wir den ganzen Staub weggewischt«, sagte Dex. Er ging zu den Kameras und den anderen Sachen hinüber, die sie über Nacht hier gelassen hatten.

Jamie nickte in seinem Helm. »Wir sollten Plastikplanen aufhängen, um die Eingänge und Dachöffnungen zu schützen.«

»Warum gerade jetzt? Ist doch kein Staubsturm in Sicht.«

»Es ist immer noch windig. Jeden Tag weht ein bisschen Staub herein. Früher oder später wird sich so viel angesammelt haben, dass er wieder ein Problem darstellt.«

Dex schnaubte, dann gab er zu: »Kann sein, dass du Recht hast. Ich sag Wiley Bescheid, dass er einen Stapel Planen für den nächsten Rover-Trip bereitlegen soll.«

Jamie hob das Werkzeug auf, mit dem sie Proben vom Gestein nahmen, und machte sich auf den Weg zur nächsten Öffnung in der Mauer.

»Immer noch keine Spur von anderen Bauwerken, nirgends«, sagte Dex. »Ich hab mir die halbe Nacht lang die Bilder des Schwebegleiters angesehen. Nichts.«

»Wir hätten dieses hier nicht bemerkt, wenn wir es nicht mit eigenen Augen gesehen hätten«, sagte Jamie. »Die Flugzeuge und Satelliten könnten hundert Bauwerke überfliegen, ohne dass wir etwas davon mitbekämen.«

»Ja«, räumte Dex ein. »Lokales Gestein mit Umgebungstemperatur. Gibt nichts Auffälliges für die Sensoren her, wie?«

»Nicht viel.«

»Wann kommt Tarawa endlich mit den Daten der Spaltspurenanalyse rüber?«, beklagte sich Dex. »Sie müssten inzwischen zumindest eine vorläufige Korrelation haben.«

Jamie erwiderte: »Nach dem, was Pete mir erzählt, streiten sich die Archäologen mit den Geologen. Ich weiß nicht, ob es ein Revierkampf oder eine echte Meinungsverschiedenheit über die Daten ist.«

»Pfeifenköpfe«, knurrte Dex.

Sie krabbelten durch den niedrigen Eingang und standen wieder auf. »Ich hab noch eine zweite Botschaft von meinem Vater gekriegt«, sagte Dex.

»Oh?«

»Er wird langsam richtig scheißfreundlich.«

»Das ist gut«, sagte Jamie. »Nehme ich an.«

»Weißt du, warum er wirklich herkommt?«

Während sie zu dem Lichtschacht gingen, antwortete Jamie: »Du hast gesagt, er will die kommerziellen Operationen in die Wege leiten.«

»Ja, aber dazu muss er einen Rechtsanspruch auf das Gebiet nachweisen.«

»Einen Rechtsanspruch?«

»Klar. Damit niemand in diesem Gebiet ein Konkurrenzunternehmen aufziehen kann.«

»Er kann doch keinen Besitzanspruch auf den Mars erheben«, sagte Jamie.

»Braucht er auch nicht.«

Jamie blieb stehen und drehte sich zu dem jüngeren Mann um. In Dex' Sichtscheibe sah er jedoch nur das Spiegelbild seines eigenen gesichtslosen Helms und der Schultern seines Raumanzugs.

»Die Sache ist die«, erklärte Dex, »man kann das Nutzungsvorrecht für eine Region beanspruchen. Wie die Leute in der Mondbasis und den anderen lunaren Siedlungen. Sie haben zwar keinen Besitzanspruch auf das Territorium, aber sie können behaupten, dass sie das Gebiet nutzen, und die Internationale Raumfahrtbehörde gewährt ihnen einen Rechtsanspruch auf diese Nutzung.«

Jamie war verwirrt. »Das Territorium gehört ihnen also nicht …«

»Aber sie können es rechtmäßig nutzen und Konkurrenten draußen halten.«

»So lautet das Gesetz?«

Er spürte, dass Dex in seinem Helm nickte. »Ja. Der Weltraum-Nutzungs-Vertrag. Mein Vater hat mir das alles letzte Nacht erklärt.«

»Klingt ziemlich seltsam«, sagte Jamie.

»Juristen.«

»Dein Vater kommt also her, um einen juristischen Claim für die Nutzung dieser Marsregion abzustecken?«

»Das ist sein Plan. Er will das ganze Gebiet beanspruchen, in dem wir gearbeitet haben, also diese Stätte hier, den Boden des Canyons, wo die Flechte ist, und sogar den Olympus Mons.«

Jamie merkte, wie ihm das Herz in die Hose rutschte. Vor seinem geistigen Auge sah er aus dem Boden schießende Hotels, Tourenbusse, Swimmingpools voller schreiender Kinder. Seine wahr gewordenen Albträume.

»Wir müssen ihn aufhalten, Dex. Wir dürfen nicht zulassen, dass hier ein solcher Präzedenzfall geschaffen wird.«

»Ich weiß.«

»Mir ist klar, dass wir in dieser Sache unsere Meinungsverschiedenheiten hatten …«

Dex schwieg.

»Aber …« Jamie zögerte, suchte nach Worten. »Aber siehst du ein, Dex, dass Touristen hier nichts zu suchen haben?«

Dex schwieg geraume Zeit. Er drehte sich langsam einmal um sich selbst, als wollte er sich jeden Winkel der uralten, leeren Kammer einprägen, in der sie standen.