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»Ich will nicht mit Stacy zusammen in der Kuppel sein«, sagte Fuchida in entschiedenem Ton.

Jamie sah dem Biologen aufmerksam ins Gesicht und stellte fest, dass Fuchida weder wütend noch aufgeregt war; er schien Angst zu haben.

»In Ordnung«, gab Jamie seufzend nach. »Ich schicke Dex zurück.«

Er fragte sich, ob sie nicht allesamt rapide wahnsinnig wurden.

NACHT: SOL 359

Merkwürdig, dachte Jamie, als er seinen Overall abstreifte, wir sind nur zu zweit in der Kuppel, und doch haben wir den ganzen Tag über kaum ein Dutzend Worte miteinander gesprochen.

Dex und Tommy gondelten zurück zur Kuppel Eins. Dort würde der Astronaut Trudy abholen und sie zum Canyon bringen. Rodriguez pfiff auf der ganzen Strecke vor sich hin und grinste wie eine Katze, die an Kanarienvögel denkt.

Bald haben wir eine richtige Straße zwischen den beiden Kuppeln ausgefahren, sagte sich Jamie. Wie die Furchen, die die Conestoga-Wagons in der Prärie hinterlassen haben.

Er hatte Fuchida nach der Abfahrt des Rovers nicht bewusst gemieden, und keiner von ihnen war in den Raumanzug gestiegen, um draußen zu arbeiten, aber irgendwie schienen er und der Biologe sich fast den ganzen Tag über an entgegengesetzten Enden der Kuppel aufzuhalten. Sie hatten sogar zu unterschiedlichen Zeiten gegessen, jeder allein in der Messe.

Ich bin wütend auf ihn, erkannte Jamie. Ich bin sauer, dass er mich gezwungen hat, Dex zur Kuppel Eins zu schicken. Er und seine paranoiden Anschuldigungen! Stacy ist keine Saboteurin und sie ist auch keine Neurotikerin. Wahrscheinlich ist sie psychisch stabiler als wir alle zusammen.

Aber wer ist dann verantwortlich für diese Unfälle, fragte sich Jamie. Niemand, kam die sofortige Antwort. Es sind eben einfach Unfälle.

Trotzdem … Jamie erwog, die Sache mit Vijay zu besprechen. Sie ist unsere Psychologin, sie sollte darüber Bescheid wissen. Dennoch zögerte er. Fuchida hatte ihm das alles streng vertraulich erzählt; wenn er Vijay darüber informierte, wäre das ein Vertrauensbruch gegenüber dem Biologen.

Was ist wichtiger, fragte sich Jamie stumm. Mitsuos Paranoia geheim zu halten, oder die geistige Gesundheit der ganzen Expedition zu schützen?

Er wusste, wie die Antwort lauten sollte. Doch als er Vijay anrief, tat er das nicht, um die Expedition zu schützen, und er wusste es. Er rief sie an, weil er ihr Gesicht sehen, ihre Stimme hören wollte. Weil sie für die nächsten vier Wochen mit Dex zusammen sein würde und er eine Tagesreise von ihnen entfernt war.

Sie war wach. Ihr offenes Haar hing ihr lose um die Schultern. Die nackt waren. Sie war offenkundig in ihrer Kabine und bereitete sich darauf vor, schlafen zu gehen. Als sie sah, dass es Jamie war, lächelte sie warm vom Bildschirm seines Laptops herab.

»Hi, Kamerad«, sagte sie fröhlich. »Was machen die Bremsen?«

»Bremsen?«

»Insekten.«

»Hier gibt's keine Bremsen.«

»Eins der schönen Dinge, für die wir dankbar sein sollten, hm?«

Sie schien sich wirklich zu freuen, mit ihm zu sprechen, dachte Jamie. Dann wurde ihm klar, dass er sie wie ein Schuljunge angrinsen musste. Aber er spürte, wie sein Grinsen erlosch, als er sich an den Grund seines Anrufs erinnerte.

»Ich glaube, ich habe hier ein ziemlich unangenehmes Problem«, sagte Jamie und senkte die Stimme.

»Oh? Was Ernstes?«

»Sag du's mir.« Er schilderte ihr rasch Fuchidas Benehmen, ohne jedoch den Namen des Biologen zu nennen.

Vijay hörte aufmerksam zu. Als Jamie geendet hatte, sagte sie: »Du redest doch nicht von Dex, oder?«

»Nein«, gab er zu und schüttelte leicht den Kopf.

»Und Tommy ist es garantiert auch nicht.«

Jamie schwieg.

»Bleiben nur noch du und Mitsuo.«

»Ist es wichtig, wer es ist?«

»Natürlich ist das wichtig«, sagte sie. »Und da es dir so widerstrebt, einen Namen zu nennen, muss ich annehmen, dass es Mitsuo ist.«

»So viel zum Thema ›Bewahren von Geheimnissen‹« murmelte Jamie.

»Wie macht er sich so? In seiner Arbeit, meine ich.«

»Gut. So gut wie immer.«

»Warum ist er diesmal nicht mitgefahren? Er hätte doch eigentlich hierher zurückkommen müssen, oder?«

Jamie holte Luft. »Er wollte nicht mit Stacy zusammen sein. Er hat Angst, sie könnte irgendwas anstellen oder so.«

»Hm.« Vijay zog die Augenbrauen zusammen. »Interessant.«

»Und?«

Vijay schien ganz in Gedanken zu sein.

»Was soll ich seinetwegen unternehmen?«, fragte Jamie.

Ihre dunklen Augen richteten sich wieder auf Jamie. »Da kannst du nicht viel tun, Er ist nicht übergeschnappt. Und ich bezweifle, dass er gefährlich ist, außer …« Sie verstummte.

»Außer?«, hakte Jamie nach.

Vijay biss sich sekundenlang auf die Lippe, dann antwortete sie: »Außer er hat diese Unfälle selbst verursacht und projiziert die Schuld nun auf Stacy.«

Jamie war wie betäubt.

»Ich glaube nicht, dass es so ist«, fügte Vijay rasch hinzu. »Es war nur so ein Gedanke.«

»Toller Gedanke.«

»Was meinst du zu all dem? Bist du überzeugt, dass diese Unfälle wirklich zufällig passiert sind?«

»War ich, aber jetzt … ich weil? es einfach nicht.«

»Ich verstehe.«

»Ich werde auch langsam paranoid«, sagte Jamie.

»Nicht ungewöhnlich unter diesen Umständen. Jeder verdächtigt jeden.«

»Was soll ich tun?«, fragte Jamie erneut.

Vijay hob die nackten Schultern. »Du kannst nicht viel tun, Jamie. Behalte ihn im Auge. Hör ihm verständnisvoll zu. Muntere ihn auf. Ich werde einen Grund finden, zu euch zu kommen und mit ihm zu reden.«

»Okay. Gut.«

»Tut mir Leid, mehr hab ich dir im Moment nicht zu bieten, Kamerad.«

»Es ist schon eine Erleichterung, einfach nur mit dir darüber sprechen zu können.«

Sie lächelte erneut, aber jetzt lag eine Spur Traurigkeit darin. »Ja, es ist schön, mit dir zu sprechen, das finde ich auch.«

Er wollte ihr sagen, dass er sie vermisste, wollte ihr sagen, dass er ihre Wärme, ihren Trost brauchte, dass ihm ein Leben ohne sie öde und leer erschien. Aber es gelang ihm nicht, die Worte zu formen. Stattdessen sagte er einfach nur: »Danke, Vijay.«

Sie schien ebenfalls nicht die richtigen Worte zu finden. Eine ganze Weile sahen sie sich gegenseitig über ihre Bildschirme an.

Endlich sagte Vijay: »Nacht, Jamie.«

»Gute Nacht.«

Ihre Bild erlosch. Der Bildschirm wurde dunkel. Jamie zog seine Unterwäsche aus und streckte sich auf seiner Liege aus. Er grinste in die Schatten der abgedunkelten Kuppel hinauf.

Sie kommt her! Sie wird schon eine Ausrede dafür finden. Ich sollte Mitsuo dankbar sein.

Sein letzter Gedanke, bevor er einschlief, galt ihren nackten Schultern. Hatte sie überhaupt etwas angehabt, als sie miteinander gesprochen hatten? War sie vielleicht ganz nackt gewesen?

Fuchidas Laune schien sich zu bessern, als Trudy sich zu ihm gesellte. Die beiden Biologen fingen sofort an, miteinander zu schwatzen, als sie durch den Zugangstunnel kam. Am nächsten Morgen fuhren sie an den Buckyball-Seilen zum Boden des Canyons hinunter, um gemeinsam an den Flechten zu arbeiten.

Auch Tomas war augenscheinlich besserer Dinge. Er und Trudy teilten ganz offen das Bett, ohne dass jemand dumme Fragen stellte. Jamie musste zugeben, dass Trudy alles freundlicher aussehen ließ. Wenn sie nur nicht jeden Morgen vor Tagesanbruch ihre unablässigen Joggingrunden in der Kuppel gedreht hätte.

Die einzigen negativen Töne kamen von Dex. Er rief Jamie jeden Tag an, um über den Fortschritt der Vorbereitungen für die nächste Expedition zu berichten.