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»Du brauchst nicht so missbilligend dreinzuschauen«, sagte sie mit einem Lächeln.

»Tu ich das? Ist mir gar nicht aufgefallen.«

»Du machst ein Gesicht wie eine aufgeschlitzte Schlange.«

»Wie eine was

»Ich meine, es ist ja nicht so, als ob wir komplett von der Rolle gewesen wären. Niemand hat sich auf mich gestürzt.«

Sie hat weder einen in der Krone noch einen Kater, merkte Jamie. Sie ist die Expeditionspsychologin und unsere Ärztin. Diese kleine Visite ist nicht persönlicher, sondern beruflicher Natur. Sie will mir auf den Zahn fühlen.

Er fragte sich, ob sie Parfüm aufgelegt hatte. Ein leichter, blumiger Duft kitzelte ihn in der Nase. Vielleicht will sie mit Parfüm den Körpergeruch überdecken. Ohne das Wasser aus dem Aufbereiter hatten sie nach ihrem langen Tag voller anstrengender körperlicher Arbeit auf eine Dusche verzichten müssen.

»Ich wünschte, jemand hätte Bier mitgebracht«, sagte Shektar, als sie einen Spritzer Orangensaft aus dem Spender zapfte. Sobald die Wasserleitung wieder frei war, würden sie Pulverkonzentrat mit Trinkwasser mischen und den kostbaren abgepackten Proviant für Notfälle aufbewahren.

»Wozu willst du Bier, wenn du doch Champagner hattest?«, fragte Jamie.

Sie zuckte die Achseln, und die Bewegung erregte ihn trotz des unförmigen Pullovers. »Aussie-Bier ist viel besser als Aussie-Schampus«, sagte sie.

Jamie hätte gern heißen Kakao getrunken, begnügte sich aber mit einem Teebeutel und einem Spritzer heißen Wassers.

»Hoher Rang hat seine Vorrechte«, meinte Shektar, als sie sich an den Tisch setzten.

Jamie blinzelte sie verwirrt an.

»Du hast dir was von unserer Wasserreserve genommen«, erklärte sie.

»Ach so. Wir nehmen den Generator ja morgen in Betrieb. Das Wasser wird schon nicht knapp werden.«

Sie lehnte sich so entspannt in ihrem Stuhl zurück, als wären sie in einem Cafe um die Ecke. »Und wenn doch, müssen wir zur Erde zurück, oder?«

»Nein.«

»Du bist sehr zuversichtlich.«

Jamie zwang sich, sie anzulächeln. »Ist das ein Psychotest?«

Sie lächelte zurück. »Nein, eigentlich nicht. Ich hab nur eine Gelegenheit gesucht, ein paar Minuten unter vier Augen mit dir zu sprechen. Auf dem Schiff war das schwer.«

»Hier ist es einfacher.«

»Ja. Viel mehr Platz in der Kuppel.«

»Und?«

Shektar trank einen Schluck Saft und stellte ihren Plastikbecher dann auf den Tisch. Sie beugte sich ein wenig näher zu Jamie und sagte: »Zwischen Dex und dir wird's bald knallen, wenn du nicht aufpasst.«

Darum geht es also, dachte Jamie. Laut erwiderte er: »Nein, wird es nicht. Dafür werde ich schon sorgen.«

»Wie willst du's denn verhindern?«

Jamie zögerte, dann antwortete er: »Ich werde nicht die Beherrschung verlieren. Ich verstehe, was in ihm vorgeht, aber ich werde nicht zulassen, dass es mir Probleme bereitet.«

»Es bereitet dir ja jetzt schon Probleme. Das sieht doch ein Blinder.«

»Hör zu«, sagte Jamie, »ich weiß, dass Dex' Vater eine zentrale Rolle bei der Finanzierungskampagne für diese Expedition gespielt hat. Aber jetzt sind wir weit weg von Daddy. Dex wird das schon noch begreifen, und zwar ganz von selbst. Hier auf dem Mars ist es völlig unwichtig, wen man zum Vater hat oder was auf der Erde geschehen ist. Hier auf dem Mars zählt nur eins, nämlich was man kann, was man zuwege bringt.«

»Hübsche Theorie, aber …«

»Ich werde nicht zulassen, dass er mir zu sehr auf die Nerven geht«, beharrte Jamie und verhinderte mit einer bewussten Anstrengung, dass sich seine Hände zu Fäusten ballten. »Unsere Arbeit hier ist zu wichtig, als dass wir sie von persönlichen Querelen stören lassen dürften.«

»Glaubst du wirklich, du kannst anderthalb Jahre hier leben, ohne dass es eine irgendwie geartete Konfrontation gibt?« Shektars Miene war vollkommen ernst; sie sah Jamie unverwandt in die Augen.

»Ja«, sagte er. Er konnte den Blick nicht von diesen Augen abwenden: so tief und dunkel, leuchtend und ernst. Ihr mitternachtsschwarzes Haar war nach hinten gekämmt und im Nacken festgesteckt. Jamie fragte sich, was sie tun würde, wenn er dort hinlangte und es löste, sodass es ihr locker um die Schultern fiel. Ihm wurde bewusst, dass er seit fast einem Jahr nicht mehr mit einer Frau geschlafen hatte.

Shektar schien etwas zu spüren. Sie wandte den Blick einen Moment lang ab.

»Das krieg ich schon hin«, versicherte ihr Jamie und bemühte sich, seiner Stimme einen lockeren, entspannten Klang zu verleihen. »Ich lasse nicht zu, dass er mich in Rage bringt.«

»Der stoische Indianer, was?«, sagte sie ohne Humor. »Auch wenn deine Feinde dich auf dem Scheiterhaufen verbrennen, du gibst keinen Mucks von dir.«

Jamie packte sie an ihrem schmalen Handgelenk. »Niemand verbrennt mich, und niemand wird hier sterben. Wir werden diesen Planeten so umfassend wie möglich erforschen, und Dex muss einfach lernen, dass er ein Mitglied des Teams ist und nicht der Missionsleiter.«

»Er ist ein Alphamännchen, weißt du. Genau wie du.«

»Was soll das heißen?«

Shektar schaute ihm wieder in die Augen. »Ihr seid beide geborene Anführer. Ihr müsst beide der Leithammel sein. Das ist geradezu ein Rezept für Probleme. Vielleicht sogar für eine Katastrophe.«

Jamie war genervt, beinahe verärgert. »Warum habt ihr Psychologen dann zugelassen, dass wir beide an dieser Mission teilnehmen?«, fragte er.

»Weil Dex schlau genug war, es zu verbergen«, antwortete sie. »Er wusste, wonach die Psychologen mit ihren Tests suchten, und hat sie alle an der Nase rumgeführt.«

»Dich auch?«

»Mich auch«, gab sie zu. »Erst als ihr beiden euch auf dem Herflug in die Haare gekriegt habt, wurde mir klar, was für einen Fehler wir gemacht haben.«

»Du meinst, ich habe das gleiche psychologische Profil wie er?«

»Ihr seid beide Alphamännchen, das ist so klar wie Kloßbrühe. Ihr seid natürliche Konkurrenten.«

Jamie schüttelte den Kopf, eher erstaunt als ungläubig.

Sie missdeutete die Geste. »Schau dir dein eigenes Verhalten bei der ersten Expedition an. Du hast die Macht an dich gerissen, oder nicht? Du hast den russischen Kosmonauten — den eigentlichen Leiter des Bodenteams — untergebuttert und sogar den Missionsleiter dazu gebracht, dich zum Grand Canyon fahren zu lassen, stimmt's?«

»Nun … ja …«

Sehr ernst sagte sie: »Das ist Alphamännchen-Verhalten, Jamie. Typisch Leithammel. Herr im Haus. Kleiner König.«

»Und du meinst, Dex ist genau wie ich?«

»Dasselbe Profil. In vieler Hinsicht eine andere Persönlichkeit, aber ihn reiten dieselben Teufel wie dich.«

Jamie stieß die Luft aus. Dann fragte er: »Hast du ihm das auch erzählt?«

»Noch nicht. Ich wollte zuerst mit dir sprechen.«

»Glaubst du, es nützt was, mit ihm zu reden?«

»Nein. Offen gesagt, glaub ich das nicht.«

»Hm.«

»Er kann seine grundlegende Persönlichkeit ebenso wenig ändern wie du. Man kann kein anderer Mensch werden. Ich habe das Thema nur aus einem einzigen Grund dir gegenüber zur Sprache gebracht, nämlich weil du der Missionsleiter bist, und ich fand, dass du wissen solltest, was dir bevorsteht.«

»Was uns allen bevorsteht«, sagte Jamie.

»Richtig«, stimmte Shektar zu. »Wir sitzen alle im selben Kanu, nicht wahr?«

Jamie ließ sich das eine Weile schweigend durch den Kopf gehen. Shektar beobachtete ihn reglos, ohne ihm ihr Handgelenk zu entwinden.

»Okay«, sagte er schließlich. »Ich weiß nicht, ob es viel bringt, wenn man Dex darauf anspricht.«

»Es könnte seinen Konkurrenzdrang verstärken. Ihn anspornen, sich noch mehr ins Zeug zu legen.«