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»Der liebe alte Dad hat seine ärztlichen Untersuchungen überstanden«, sagte Dex traurig. »Sein Blutdruck war vollkommen normal. Gott weiß, welchen Medikamenten-Cocktail er vorher eingenommen hat.«

Am nächsten Tag berichtete Dex: »Mein alter Herr hat mir 'ne Nachricht geschickt. Es ging um unseren Versuch, das IUK dazu zu bewegen, Anspruch auf unser Territorium auf dem Mars zu erheben. Er hat so gelassen und kühl wie ein Gletscher hinter seinem verdammten großen Schreibtisch gehockt und mir erklärt, wenn ich so 'ne Nummer noch mal abzöge, würde er mich enterben.«

»Oh nein«, stöhnte Jamie.

Dex' Grinsen war wild. »Als ob ich sein verdammtes Geld brauchte. Ich kann mir meinen Lehrstuhl an den Unis nach Belieben aussuchen, wenn ich nach Hause komme.«

Jamie warnte ihn sanft: »Das Gehalt eines Professors ist nicht ganz dasselbe wie die Art Geld, die du gewohnt bist, Dex.«

Mit einer ungeduldigen Handbewegung sagte Dex: »Ich weiß, wie man Geld macht, Kumpel. Hab meinem Vater mein Leben lang dabei zugesehen. Soll er mich ruhig aus seinem Testament streichen! Ist mir scheißegal! Ich werd ihm zeigen, dass ich verdammt gut ohne ihn und sein Geld leben kann!«

Na klar doch, antwortete Jamie stumm. Laut sagte er zu Dex: »Schneid dir nicht ins eigene Fleisch …«

»Blödsinn!«, fauchte Dex. »Er versucht mir die Eier abzuschneiden. Dem werd ich's zeigen!«

Erst Stunden später wurde Jamie bewusst, dass es ihm kein Kopfzerbrechen mehr bereitete, ob Dex und Vijay wieder etwas miteinander anfangen würden. Vor ein paar Monaten hätte ihn eine solche Erkenntnis sehr glücklich gemacht, aber jetzt beunruhigte ihn vor allem die Sache mit Dex' Vater, der herkommen wollte, um diesen Teil des Mars für seine geschäftlichen Pläne zu beanspruchen.

Er fragte sich, warum er sich keine Sorgen mehr wegen Vijay und Dex machte. Es lag nicht daran, dass Vijay ihm gleichgültig war. Er machte sich mehr aus ihr, als er ihr gegenüber zugeben konnte. Aber hier auf dem Mars waren all diese persönlichen Beziehungen verworren. Sie hat Recht, wenn sie verhindert, dass es zu ernst wird. Was zwischen uns ist, werden wir erst dann wirklich klären können, wenn wir zur Erde zurückkehren, sagte sich Jamie. Falls überhaupt.

Jetzt ist es zunächst einmal wichtig, ja sogar unbedingt notwendig, Darryl C. Trumball daran zu hindern, dem Mars das anzutun, was seine Vorväter den amerikanischen Ureinwohnern angetan haben.

Jamies Großvater kam erneut zu ihm, in einem Traum.

Aber nicht gleich. Jamies Traum begann in dem nackten, kalten, verlassenen Felsenbauwerk. Er ging mit langsamen, zielstrebigen Schritten durch all die stummen, leeren Kammern, wie er es nun schon seit vielen Monaten jeden Tag tat. Diesmal trug er jedoch keinen Raumanzug, sondern nur seinen fadenscheinigen, abgenutzten Overall.

Er berührte die Wände, strich mit den Fingerspitzen über die anmutigen, gebogenen Linien der in die Steine geritzten Schrift. Er spürte die Sonnenwärme, die von den geheimnisvollen Symbolen ausging.

Außer ihm war niemand da. Er drehte sich um und verließ den aufgegebenen Tempel, dann kletterte er langsam die schmalen, steilen Stufen hinunter, die so mühsam in die zerklüftete Felswand gehauen worden waren. Unten am Grund des Canyons, wo der Fluss friedlich durch üppige, blühende Felder strömte, wartete das Dorf auf ihn.

Die Angehörigen des Volkes waren da, lebendig und vital wie er selbst, aber sie schenkten ihm keine Aufmerksamkeit. Sie gingen ihren Verrichtungen nach; Männer versammelten sich auf dem zentralen Platz, unterhielten sich und zeigten zu einem fernen Horizont, einem Rendezvous mit der Zukunft. Frauen saßen auf ihren Türschwellen und flochten Körbe, während ihre Kinder lärmend herumliefen und spielten. Überall ertönte Gelächter, alles war von der Wärme des Lebens erfüllt.

Sie waren real, und er war ein blasser Geist, nahezu unsichtbar für sie. Er kannte ihre Gesichter, die robusten, breitwangigen Gesichter seiner Ahnen. Ihre dunklen Haare und noch dunkleren Augen. Er suchte seinen Großvater, fand ihn aber nicht.

Dann ein Durcheinander am anderen Ende des Dorfes. Ein Tumult. Leute blieben wie festgewurzelt stehen und blickten die lange Straße hinunter. Männer liefen mit finsteren Gesichtern, aus denen Zorn oder vielleicht auch Furcht sprach, auf den Lärrn zu.

Fremde waren dort, bleiche Männer auf schnaubenden, aufstampfenden Pferden. Jamie erkannte einen von ihnen: Es war Darryl C. Trumball. Er rief Befehle und deutete mit einer Hand hierhin und dorthin, während er mit der anderen sein bockendes, wieherndes Pferd im Zaum hielt.

Dann trat Großvater Al aus der Menge hervor. Er trug seinen besten Anzug, dunkelbau, mit einer türkis-silbernen Bolo am offenen Kragen seines steifen weißen Hemdes. Ohne Hut schritt er auf Trumball zu.

»Sie dürfen nicht hierher kommen«, sagte Großvater Al mit der kräftigsten Stimme, die Jamie je im Leben gehört hatte. »Gehen Sie!«

Trumball blies sich auf. »Wir übernehmen dies alles. Um euch wird man sich kümmern, keine Angst. Ich werde dafür sorgen, dass ihr geschützt werdet.«

»Wir wollen Ihren Schutz nicht«, sagte Al. »Wir brauchen ihn nicht.«

»Ihr müsst verschwinden«, beharrte Trumball.

Großvater Al drehte sich ein wenig und winkte Jamie zu sich. »Nein, wir bleiben. Sie sind derjenige, der verschwinden muss. Jamie, zeig ihm das Papier.«

Jamie merkte, dass er mit der rechten Hand eine Schriftrolle umklammerte. Er trat auf Trumball zu, der immer noch auf seinem ungeduldigen Pferd saß.

Und wachte auf.

MORGEN: SOL 363

Jamie setzte sich auf seiner Liege auf. Er war hellwach und fühlte sich stark und erfrischt. Das ist es, sagte er sich. Das muss ich tun.

Er wusste nicht, ob er ein Dankgebet gen Himmel schicken oder einen wilden Jubelschrei ausstoßen sollte, und entschied sich dann gegen beides. Stattdessen fuhr er seinen Laptop hoch und rief Fete Connors in Tarawa an.

Es dauerte fast den ganzen Tag, aber schließlich bekam Jamie die richtige Adresse und schickte seine Botschaft ab. Dann musste er auf die Antwort warten. Er dachte an die Sommer zurück, die er bei seinem Großvater in New Mexico verbracht hatte; damals hatte Al ihn ein paarmal zu den Pueblos im Reservat mitgenommen, wo er Decken und Keramikartikel kaufte, um sie in seinem Laden in Santa Fe an die Touristen zu verhökern.

Durchaus möglich, dass es mehrere Tage dauert, erkannte Jamie. Sie werden mir nicht sofort antworten.

Zu seiner Überraschung wartete die Antwort jedoch schon auf ihn, als er am nächsten Morgen den Computer einschaltete. Seine Finger zitterten ein wenig, als er die Botschaft aufrief.

Der Präsident der Navajo Nation lächelte vom Bildschirm herab. »Ya'aa'tey«, sagte er. Er war erstaunlich pummelig, aber seine Augen strahlten und tanzten, als wäre es ihm eine Freude, mit Jamie zu sprechen, selbst in der von der Entfernung zwischen den beiden Welten erzwungenen, zeitversetzten Weise.

»Ihre Botschaft hat mich überrascht«, fuhr er fort, »aber auch sehr gefreut. Ich kannte Ihren Großvater, und ich habe Sie damals im Fernsehen gesehen, als Sie zum ersten Mal auf dem Mars gelandet sind. Hoffentlich habe ich irgendwann einmal Gelegenheit, persönlich mit Ihnen zu sprechen.«

Dann wurde er ernster. Das Lächeln verblasste etwas, verschwand aber nicht ganz. »Ihr Vorschlag ist wirklich ein Knüller. Er gefällt mir, aber die Entscheidung liegt nicht bei mir allein. Ich habe schon eine Ratssitzung einberufen, und unsere Anwälte werden die Sache natürlich noch prüfen müssen. Aber ich finde die Idee gut, und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um sie durchzubringen.«

Er zögerte, dann sagte er noch ernster: »Sie übertragen uns da eine große Verantwortung. Ich weiß nicht, ob wir ihr gewachsen sind.« Dann kehrte sein Lächeln mit voller Strahlkraft zurück. »Aber ich würde es jedenfalls gern versuchen!«