»Das kommt später«, sagte er. »Jetzt ist jetzt.«
»Leider nicht.«
Er stieß die Luft aus. »Jamie, hm?«
»Jamie«, gab sie zu.
»Er ist ein Glückspilz.«
Jetzt seufzte sie. »Ich wünschte, er wüsste es.«
Dex sah sie verwirrt an.
»Er ist in den Mars verliebt«, erklärte Vijay. »Ich muss mit diesem ganzen verdammten Planeten konkurrieren.«
PRESSEKONFERENZ
Darryl C. Trumball war es nicht gewohnt, im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu stehen. Er zog es vor, im Hintergrund zu bleiben und seine Handlanger und Marionetten vorzuschicken.
Doch als erster ›normaler‹ Mensch, der zum Mars fliegen würde, war er eine Berühmtheit geworden. Jetzt, knappe vier Tage, bevor die Unterstützungsmission von Cape Canaveral starten sollte, saß er an einem langen Tisch mit vier jungen Archäologen und zwei Astronauten und schaute auf ein Meer von Journalisten und Fotografen hinaus, die den Hörsaal bis zum Bersten füllten.
Wie seine Teamgefährten trug Trumball einen korallenroten Overall mit dem schicken Logo der zweiten Marsexpedition über dem Herzen. Er war natürlich älter als alle anderen, fast älter als jeweils zwei von ihnen zusammen. Aber er war schlank und hart und fit. Niemand kannte die Angst, die ihm das Blut gefrieren ließ; niemand hörte, wie laut sein Herz in der Brust pochte, wenn er daran dachte, dass er wirklich in diese fliegende Bombe steigen und damit bis zu dem fernen, eisigen, gefährlichen Mars fliegen würde.
»Warum heißt diese Mission nicht die dritte Expedition?«, rief ein Reporter von der Tür her.
»Das ist eine Unterstützungsmission für die zweite Expedition«, erklärte der ältere Astronaut, ein alter Hase, wenn es darum ging, hirnlose Fragen abzuwimmeln.
»Wir werden insbesondere das alte Gebäude erforschen, das in der Felswand des Grand Canyon des Mars entdeckt worden ist«, sagte der Chefarchäologe, ganze vierzig Jahre alt.
»Was ist mit der dritten Expedition?«, fragte ein anderer Reporter.
»Wird es eine dritte Expedition geben?«
Alle am Tisch wandten sich Trumball zu. »Ja«, versicherte er ihnen forsch. »Es wird eine dritte Marsexpedition geben.«
»Wann?«
»Wie bald?«
»Wir arbeiten gerade die Einzelheiten aus«, sagte Trumball.
»Was ist mit anders gearteten Flügen zum Mars?«, fragte eine Frau. »Wann werden wir dort Urlaub machen können?«
Ein leises Gekicher ging durch die Pressemeute.
Aber Trumball beantwortete die vorher abgesprochene Frage. »Deshalb fliege ich mit den Wissenschaftlern dorthin. Ich will der Welt zeigen, dass normale Menschen zum Mars fliegen, mit eigenen Augen die Schönheiten der verschwundenen marsianischen Zivilisation sehen und ihren Fuß dorthin setzen können, wohin ihn die Marsianer gesetzt haben, dass sie den Gipfel des höchsten Berges im Sonnensystem erreichen und den längsten, breitesten und tiefsten aller Grand Canyons erforschen können.«
Mehrere Archäologen machten ein bestürztes Gesicht, aber keiner wagte es, Trumball zu widersprechen.
»Warum Sie, Sir?«, fragte ein kahlköpfiger, stattlicher Journalist aus der letzten Reihe des Hörsaals. »Warum müssen Sie selbst hinfliegen? Könnte man nicht jemand weniger … äh … Prominenten an Ihrer Stelle hinschicken?«
Trumball lächelte geduldig. »Sie meinen, warum ein alter Furz wie ich dort hinfliegen will?«
Alle lachten.
»Ich möchte zeigen, dass selbst jemand meines Alters die Reise problemlos überstehen und sogar genießen kann.« Er hielt inne, sorgte damit dafür, dass die Presseleute gespannt auf seine nächsten Worte warteten, und fuhr dann fort: »Aber denken Sie daran, es sind schon ältere Männer als ich ins All geflogen, angefangen mit Senator Glenn vor nahezu vierzig Jahren.«
»Aber bis zum Mars?«
»Ja«, sagte Trumball, ohne dass sein Lächeln auch nur einen Millimeter verrutschte. »Bis zum Mars. Ich werde der erste von Millionen normaler Männer und Frauen sein, die dorthin fliegen.«
Außerdem, fügte er stumm hinzu, gibt es da oben Geld zu verdienen, und ich werde, verdammt noch mal, dafür sorgen, dass mir niemand die Tour vermasselt.
NACHMITTAG: SOL 568
Jamie hing gerade im Klettergeschirr und schabte Gesteinsproben von der Felswand, als die Botschaft durchkam.
»Du hast's geschafft!«, tönte Dex' Stimme triumphierend aus seinen Helmlautsprechern. »Hör dir das an!«
Es war die Botschaft des Präsidenten der Navajo Nation, die Botschaft, auf die er gewartet hatte. Jamie wünschte, er könnte das Gesicht des Mannes sehen, aber allein schon dessen Worte bewirkten, dass ihm vor Stolz und Dankbarkeit ganz heiß wurde.
»Das Navajo-Volk akzeptiert die Verantwortung, die mit der Beanspruchung der Nutzungsrechte an den von der zweiten Marsexpedition erforschten Gebieten des Mars verbunden ist«, sagte der Präsident langsam, als läse er es von einem vorbereiteten Skript ab. »Wir haben die Absicht, diese Gebiete im Namen aller Völker der Erde treuhänderisch zu verwalten und die behutsame wissenschaftliche Erforschung des Planeten Mars und all seiner Lebensformen in Vergangenheit und Gegenwart voranzutreiben.
Wir erkennen an, dass Dr. James Waterman, dessen Vater ein reinblütiger Navajo war, der Repräsentant unseres Volkes auf dem Mars ist, während dieser Anspruch offiziell bei der Internationalen Raumfahrtbehörde angemeldet wird.«
Es kam noch mehr, und Jamie hörte sich geduldig alles an, während er zwei Kilometer über dem Grund des Canyons baumelte. Aber er hörte nur mit einem Bruchteil seiner Aufmerksamkeit zu, weil eine Stimme in seinem Kopf sagte: Du hast es geschafft. Jetzt kann Trumball keinen Anspruch auf die Nutzung dieses Landes erheben. Jetzt wird es weder ihm noch den Bodenspekulanten oder Rohstoffausbeutern in die gierigen Hände fallen. Wir können den Mars sauber halten und ihn der wissenschaftlichen Forschung bewahren.
Gleich im Anschluss an die Botschaft des Präsidenten meldete Dex sich wieder und schnatterte: »Ich wünschte, ich könnte das Gesicht meines Vaters sehen, wenn er das hört. Er wird an die Decke gehen! Er steht schon in voller Montur in den Startlöchern, und jetzt ist alles umsonst. Er kriegt hier kein Bein auf den Boden! Ich wette …«
Jamie schaltete den Anzugfunk ab. Er hing in seliger Stille im Geschirr, schwankte leicht am Seil und hörte nichts als das leise Pochen seines Pulsschlags und das schwache Surren der Anzugbelüftung.
Er stemmte beide Füße gegen die Felswand, stieß sich mit aller Kraft ab und ließ einen wilden Jubelschrei reiner Freude ertönen, während er an dem Seil Schwindel erregend hin und her schwang.
Nur vier Journalisten erschienen bei der Pressekonferenz des Navajo-Präsidenten, aber seine Ankündigung, die Navajo Nation — vertreten durch Jamie Waterman — beanspruche die Nutzungsrechte am Mars, zischte mit Lichtgeschwindigkeit durch die Nachrichtenmedien.
Am nächsten Morgen wurde das Büro des Präsidenten am Window Rock von einem Heer von TV-Fans und Reportern belagert. Schlagzeilen in aller Welt plärrten:
INDIANER BEANSPRUCHEN MARS
NAVAJO NATION ÜBERNIMMT ROTEN PLANETEN
RACHE FÜR CUSTER: INDIANER ÜBERFALLEN TRUMBALL ENTERPRISES
NAVAJOS REISSEN AUSSERIRDISCHES RESERVAT AN SICH
Man sah der Vorsitzenden der Internationalen Raumfahrtbehörde an, dass ihr ausgesprochen unbehaglich zumute war. Darry C. Trumball hatte sie mit seinem Privatjet nach Boston einfliegen lassen, sie im besten Hotel am Hafen untergebracht und seine persönliche Limousine samt Fahrer geschickt, um sie in sein Büro zu bringen.
Trotzdem war sie offensichtlich nervös und fühlte sich unwohl, als sie vor Trumballs massivem Schreibtisch saß, eine spindeldürre Frau mit ergrauendem Haar, deren harte Züge bezeugten, dass sie gewaltige Widerstände überwunden hatte, um zu der Position aufzusteigen, die sie jetzt innehatte.