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Als sie sich aus ihrer Umarmung lösten, schüttelte Deschurowa störrisch den Kopf. »Es ist gefährlich für einen Einzelnen, hier allein zu sein. Wenn es einen Notfall gibt …«

»Er wird nicht allein sein.«

Jamie drehte sich um und sah, wie Vijay entschlossen auf den Tisch zusteuerte.

»Ich bleibe auch hier«, sagte sie.

»Aber das geht nicht!«, platzte Jamie heraus.

Sehr sanft erwiderte sie: »Ich bin nicht darum gebeten worden, das stimmt. Aber ich bleibe bei dir, Kamerad.«

»Was ist mit Trudy? Sie braucht …«

Vijay kam auf ihn zu, während sie antwortete: »Stacy und Tommy sind beide ausreichend zu Sanitätern ausgebildet, um sich auf dem Rückflug um sie zu kümmern. Sie erholt sich recht gut, mach dir da mal keine Gedanken. Wenn es Probleme gibt, können sie Rat von der Erde einholen, so wie ich's auch tun würde.«

»Du willst bleiben?« Jamie hatte Angst, dies alles könnte ein Traum sein, eine Halluzination.

Sie stand keine Armeslänge von ihm entfernt und schaute ihm direkt in die Augen. »Ja, ich will.«

Jeder andere Gedanke entschwand aus Jamies Bewusstsein. Er zog sie in die Arme und küsste sie leidenschaftlich. Sie erwiderte seinen Kuss, während die anderen wie vom Donner gerührt dasaßen, bis jemand einen leisen, langen, anerkennenden Pfiff ausstieß.

MITTAG: SOL 389

»Fünf Sekunden«, kam Deschurowas angespannte Stimme knisternd aus Jamies Helmlautsprechern. »Vier …«

Er und Vijay standen draußen vor der Kuppel und hielten sich an den behandschuhten Händen, den Blick auf das L/AV gerichtet, das fast einen vollen Kilometer entfernt stand.

»… zwei … eins …« Die obere Hälfte des gedrungenen Raumfahrzeugs sprang mit einem plötzlichen Donnerschlag in die Höhe, der Staub und Steine über den kahlen roten Boden schleuderte. Jamie zuckte unwillkürlich zusammen. Er legte den Kopf in den Nacken, als das Aufstiegsfahrzeug höher und höher in den wolkenlosen, pinkfarbenen Himmel stieg, bis das Brüllen seiner Raketentriebwerke zu einem dünnen, gedämpften Grollen verklang und dann ganz verstummte.

»Weg sind sie«, sagte Vijay. Es klang beinahe triumphierend.

Jamie folgte dem hellen Fleck, bis der obere Rand seines Visiers ihm die Sicht nahm. Stacy, Dex und die anderen waren mitsamt der Pathfinder-Sonde und Trudy Halls Problemen auf dem Rückweg zur Erde.

Er drehte sich zu Vijay um. Bevor er etwas sagen konnte, kam ihre heitere Stimme aus seinen Helmlautsprechern. »Tja, jetzt sind nur noch wir beide da, Kamerad.«

Er war nicht so guter Dinge. Ich bin jetzt verantwortlich für ihr Leben. Sie vertraut mir, und ich muss mich ihres Vertrauens würdig erweisen.

»Wir sind jetzt Marsianer, oder?«, fragte Vijay.

»Noch nicht«, erwiderte er. »Wir sind immer noch Gäste, Besucher. Wir müssen immer noch in diesen Anzügen herumlaufen. Wir müssen den Mars immer noch so respektieren, wie er ist.«

»Wird das immer so sein?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Jamie. »Immer ist eine lange Zeit. Vielleicht irgendwann, wenn wir klüger sind … viel klüger als jetzt. Vielleicht können unsere Enkelkinder einmal auf dem Mars und mit dem Mars leben. Oder deren Enkelkinder. Wer weiß.«

Als sie sich auf den Rückweg zur Luftschleuse der Kuppel machten, fragte Vijay: »Werden wir den Mars so schützen können, wie du es willst? Ich meine, werden wir Leute wie Dex' Vater daran hindern können, alles zu zerstören?«

Gegen sein besseres Wissen versuchte Jamie, in dem hartschaligen Raumanzug die Achseln zu zucken. Ohne Erfolg. »Wir können es nur versuchen, Vijay. Das IUK bestreitet den Anspruch der Navajos, aber es sieht so aus, als würde die Raumfahrtbehörde ihn als rechtmäßig und bindend anerkennen.«

Er hörte sie lachen. »Das Navajo-Reservat ist jetzt größer als die Vereinigten Staaten, stimmt's?«

»Wenn man den ganzen Mars mit einrechnet, ja. Aber er gehört nicht zum Reservat, er ist …«

»Nimm das doch nicht so ernst!«

»Aber es ist ernst«, sagte er. »Ich hoffe, es wird Navajo-Kinder motivieren, sich mit dem Mars zu beschäftigen, Naturwissenschaften und Astronautik zu studieren und …«

»Und Marsianer zu werden?«

Er atmete tief ein. »Ja, vielleicht. Irgendwann. Eines Tages.«

Sie blieben an der Luftschleuse stehen, drehten sich beide um, ohne ein Wort zu wechseln, und ließen den Blick über die rote, mit Steinen übersäte Landschaft schweifen.

»Wenn es uns doch nur möglich gewesen wäre, sie kennen zu lernen, mit ihnen zu reden …«

»Die Marsianer?«

»Ja. Wir können nicht mal die Inschriften lesen, die sie hinterlassen haben.«

»Sie haben uns ihre Botschaft übermittelt, Vijay. Die Botschaft, auf die es ankommt. Sie haben existiert. Auf dieser Welt haben intelligente Wesen gelebt. Es muss noch weitere geben, dort draußen, unter den Sternen. Wir sind nicht allein.«

Sie seufzte schwer. »Aber hier auf dem Mars ist für die nächsten vier Monate niemand außer uns beiden.«

»Ja.«

»Wir haben eine ganze Welt für uns allein.«

»Mir gefällt es hier sehr«, sagte Jamie.

»Es ist friedlich«, erwiderte sie. »Das muss ich zugeben.«

»Dex wird alle Hände voll zu tun haben, wenn er zurückkommt. Sein Vater wird ihn bis aufs Messer bekämpfen.«

»Ach, ich weiß nicht«, sagte Vijay zuversichtlich. »Sein Dad wird schon nicht so viel Ärger machen. Dex wird den alten Mann auf seine Seite ziehen.«

»Glaubst du?«

»Mit seinem Charme kann er eine Schlange aus dem Gebüsch locken, wenn er will.«

Jamie schwieg.

»Und selbst wenn nicht«, fuhr Vijay fort, »mit seiner Stiftung wird Dex genug Geld für eine neue Expedition auftreiben.«

»Sie wird keinen Gewinn abwerfen«, zweifelte Jamie.

»Meinst du nicht? Dex schwebt da irgendwas mit Virtual-Reality-Touren auf dem Mars vor, weißt du. Sehen, fühlen, hören … das umfassende Marserlebnis, ohne dass man die Unbequemlichkeit auf sich nehmen müsste, sein Heim zu verlassen. Außerdem will er Marsgestein verkaufen und solche Sachen.«

Jamie knirschte unwillkürlich mit den Zähnen.

»Auf die eine oder andere Weise wird er schon Geld machen, keine Sorge.«

»Und es in die weitere Erforschung stecken?«

»Du wirst ja sehen.«

Die Sonne stand hoch am Himmel. Die sanften Winde des Mars strichen raunend über die leere, sanft gewellte Ebene. Jamie sah die Steine, die verwitterten Ränder alter Krater und in der Ferne die Dünen, präzise aufgereiht wie Soldaten bei der Parade. Er senkte den Blick, suchte nach den Fußabdrücken der vor langer Zeit ausgestorbenen Marsianer und sah stattdessen ihre eigenen Stiefelabdrücke und die Stollenspuren ihrer Traktoren und Rover im roten Staub.

Er schaute wieder zum Horizont und stellte sich seinen Großvater Al dort draußen vor, wie er ihnen zulächelte. Hierher hat unser Weg geführt, Großvater, sagte Jamie stumm. Wir sind jetzt zu Hause.

»Liebst du mich?«, fragte Vijay.

Noch vor einem Tag hätte die Frage Jamie verblüfft. Aber jetzt wusste er es. Jetzt war kein Zweifel mehr in ihm, kein Konflikt.

»Ja«, sagte er unzweideutig. »Ich liebe dich, Vijay.«

Dann fragte sie: »Liebst du mich mehr als den Mars?«

Er hörte das Lächeln in ihrer Stimme. Er zögerte, dann antwortete er: »Das ist etwas ganz anderes.«

Sie lachte entzückt. »Gut! Ich hätte dir nicht geglaubt, wenn du ja gesagt hättest.«

Vijay nahm seine Hand und sie drehten sich wieder zur Luftschleuse um, bereit für ihre erste Nacht allein auf dem Mars.