Выбрать главу

Der Pater seufzte geduldig. »Ich möchte Ihnen einen freundschaftlichen Rat geben«, sagte er mit einer Andeutung weicher italienischer Vokale am Ende seiner Worte. »Je öfter Sie die Felsenbehausung erwähnen, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass man Sie ins Missionsteam aufnimmt.«

»Aber sie ist da! Ich habe sie gesehen!«

»Sie haben eine Felsenformation gesehen, die viele Kilometer von Ihnen entfernt war. Sie glauben, es könnte ein künstliches Gebilde gewesen sein. Niemand sonst glaubt, dass es etwas anderes als eine natürliche Formation ist.«

»Ich habe Videoaufnahmen gemacht«, beharrte Jamie.

»Und wir haben Ihr Video alle sehr aufmerksam studiert. Ich selbst habe es mit dem Computer bearbeiten lassen, um die Bildqualität zu verbessern. Die Formation scheint eine Art Mauer in einer Nische in der Felswand zu sein. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie künstlich ist.«

»Deshalb müssen wir dorthin zurück, um herauszufinden, worum es sich wirklich handelt!«

DiNardo schüttelte traurig den Kopf. »Wollen Sie bei der zweiten Expedition dabei sein oder nicht?«

»Natürlich!«

»Dann hören Sie auf, von Ihrer Felsenbehausung zu reden. Sie machen sich damit nur lächerlich und erwecken den Anschein, als wären Sie ein Fanatiker. Halten Sie den Mund, und ich werde tun, was ich kann, um Ihnen einen Platz bei der Mission zu verschaffen.«

Jamie starrte den Priester lange an. Seine Gedanken rasten. Er kann nicht akzeptieren, dass es möglicherweise intelligentes Leben auf dem Mars gegeben hat. Niemand von ihnen will über diese Möglichkeit nachdenken. Die Flechte hat sie überrascht, aber die Vorstellung, dass es dort intelligentes Leben gegeben haben könnte, ist einfach zu viel für sie. Mit einer einfachen Lebensform auf dem Mars können sie fertig werden, aber vor den größeren Möglichkeiten verschließen sie lieber die Augen.

Warum?, fragte sich Jamie.

Die Antwort lautete: Sie haben Angst.

Li Chengdu war mittlerweile sehr zufrieden mit seinem Leben. Seine Ernennung zum Missionsleiter der ersten Marsexpedition war ein politischer Kompromiss gewesen. In Singapur als Sohn chinesischer Eltern zur Welt gekommen, gehörte der anerkannte Atmosphärenphysiker keinem klar definierten politischen Lager an. Als Missionsleiter war er in der Umlaufbahn um den Mars geblieben und hatte mit einer Mischung aus Furcht und Neugier beobachtet, wie Jamie Waterman das Kommando über die Wissenschaftler und Astronauten des Bodenteams an sich gerissen und die Expedition nach seinen Vorstellungen umorganisiert hatte. Waterman hatte außerordentliches Glück gehabt: Dank seiner Beharrlichkeit hatten sie lebende Organismen auf dem Grund des Grand Canyon gefunden.

Und Li Chengdu war nach ihrer Rückkehr vom Mars ans Institute of Advanced Study in Princeton berufen worden. Eine angemessene Belohnung für seine Führungsrolle und seine Geduld, fand er — und für Watermans Glück.

Jetzt ging ein älterer, umsichtigerer Waterman neben ihm her durch den Wald außerhalb des Institutscampus mit seinen roten Ziegelbauten.

Der blasse, hagere Li, dem nur ein knapper Zentimeter an zwei Metern fehlte, ragte hoch über Jamie auf, und seine langen Beine fraßen den Waldweg in solchem Tempo, dass Jamie fast in Laufschritt verfallen musste.

»Ich bin derselben Meinung wie Pater DiNardo«, sagte Li, während sie durch den Wald gingen. Der Herbst ließ die Bäume in leuchtenden Farben erstrahlen; rote, goldene und kastanienbraune Blätter bedeckten den Boden wie ein bunter Teppich, der unter ihren Schritten knisterte und raschelte.

»Dass ich die Felsenbehausung nicht erwähnen sollte«, sagte Jamie.

»Ja. Wozu mehr Anlass zu Kontroversen geben als unbedingt nötig? Ihr Ziel ist es, bei der zweiten Expedition dabei zu sein, nicht über die Wahrscheinlichkeit intelligenter Marsianer zu diskutieren.«

»Falls es sie gegeben hat, sind sie bestimmt vor langer Zeit ausgestorben.« Jamie geriet ein wenig ins Schnaufen, während er sich abmühte, mit Li Schritt zu halten. Der Navajo in ihm dachte: Falls es sie gegeben hat, sind sie vielleicht in eine reichere, blauere Welt ausgewandert.

Li hob eine langfingrige Hand zu einer Geste, die ihm bedeutete, still zu sein. »Nur Geduld. Sie werden anderthalb Jahre auf dem Mars sein. Da haben Sie genug Zeit, den Ort erneut aufzusuchen — falls Sie ihn finden können.«

»Mit verbundenen Augen«, fauchte Jamie.

Der Chinese schaute auf den spannungsgeladenen jüngeren Mann mit dem bronzenen Gesicht hinunter und lächelte leise.

»Geduld ist eine Tugend«, sagte er.

»Werden Sie mich für die Expedition empfehlen?«, fragte Jamie.

»Sie haben keine Ahnung, was Sie da verlangen. Es wird nur acht Plätze auf dieser Expedition geben. Und nur zwei Geologen.«

»Ich weiß. Jeder würde einen Mord begehen, um dabei sein zu können«, sagte Jamie.

»Noch schlimmer. Sie waren schon auf dem Mars. Die jüngeren Wissenschaftler schimpfen, dass es nicht fair wäre, jemanden, der bereits dort war, noch einmal hinfliegen zu lassen.«

»Nicht fair? Das ist doch kein Spiel!«

»Ganz meiner Meinung. Aber wenn die jungen Leute das Auswahlkomitee dazu bringen, jeden abzulehnen, der schon auf dem Mars war, steigen die Chancen, dass einer von ihnen das Rennen macht.«

»Himmelherrgott«, knurrte Jamie. »Letztendlich geht es doch immer um Politik.«

»Immer«, bestätigte Li.

Sie gingen eine Weile schweigend durch die fallenden Blätter. Die Nachmittagssonne war warm, aber Jamie spürte eine Kälte in seinem Innern.

Endlich sagte Li: »Ich werde Ihre Aufnahme ins Expeditionsteam befürworten, aber nicht als Geologe.«

Jamie blinzelte ihn verdutzt an.

»Der Versuch, einen der Geologenplätze zu bekommen, würde zu viele Animositäten auslösen«, erklärte Li.

»Als was dann?«

»Als Missionsleiter natürlich. Dann wäre Ihre Erfahrung mit der ersten Expedition ein Pluspunkt und kein Manko.«

Alles, was Jamie darauf einfiel, war: »Oh.«

Li lächelte erneut, wie die Edamer Katze. »Schließlich waren Sie schon beim ersten Mal de facto Missionsleiter, nicht wahr?«

Jamie war kein Politiker, aber er war klug genug, den Mund zu halten. Es gab keine Möglichkeit, diese Fangfrage zu beantworten, ohne ins Fettnäpfchen zu treten.

Li war entzückt. Es wäre eine köstliche Ironie, wenn Waterman dieselbe Position bekäme, mit der er selbst sich bei der ersten Expedition herumgeschlagen hatte. Soll dieser rote Mann ruhig auch die Erfahrung machen, wie belastend die Verantwortung ist. Soll er ruhig spüren, was für ein Stress es ist, wenn jüngere Männer sein Urteilsvermögen und seine Geduld strapazieren, so wie er meine strapaziert hat.

Das ist deiner nicht würdig, tadelte sich Li stumm. So sollte sich ein erleuchteter Mensch nicht benehmen. Dennoch nickte er innerlich, voller Genugtuung, dass das kosmische Rad eine Drehung vollenden würde.

Es gab noch jemanden, den Jamie aufsuchen musste, bevor ihm der Posten des Missionsleiters sicher war: Darryl C. Trumball.

Jamie fröstelte unwillkürlich, als er in Trumballs geräumiges Büro in der obersten Etage des höchsten Hochhauses im Bostoner Finanzdistrikt geführt wurde. Es war kalt in dem Raum, beinahe schmerzhaft kalt. Und das lag nicht nur daran, dass die Klimaanlage auf eine eisige Temperatur eingestellt war. Die ganze Dekoration des Büros war winterlich: nackte Wände in blassem Grau, kein Gemälde, keine Fotografie, nicht einmal eine Blume als belebendes Element in all der Trostlosigkeit. Nur ausladende Fenster in einer Ecke mit Blick auf die City von Boston tief unten.

Trumball saß hager und hartäugig hinter einem flughafengroßen Schreibtisch aus handpoliertem Ebenholz. Sein kahlrasierter, im Licht eines winzigen, in die hohe Decke eingelassenen Scheinwerfers glänzender Schädel hatte fast etwas von einem Totenkopf. Dex war in Hemdsärmeln, hatte aber eine exakt gebundene kastanienbraune Krawatte um den Hals. Eine graue Weste war stramm über das Seidenhemd geknöpft. Er sah so hart und scharfkantig aus wie Feuerstein. Jamie fragte sich, ob Dex in dreißig Jahren wohl auch so aussehen würde.