Es gab auch zwei Treibstoffgeneratoren. Der erste war den Forschern vorausgeschickt worden und stand immer noch über zwei Kilometer entfernt. Jamie hatte die Lage mit den beiden Astronauten und Craig erörtert und daraufhin beschlossen, ihn weiterhin als Reservegerät einzusetzen und ansonsten den Generator, den sie selbst mitgebracht hatten, als primäre Energiequelle zu benutzen.
Trumball blieb so nahe vor Jamie stehen, dass sich ihre Nasen beinahe berührten, stemmte die Fäuste in die Hüften und legte den Kopf ein wenig schief. »Dann sind wir also zu dritt: du, ich und Trudy. Zwei Geowissenschaftler und eine Biologin.«
»Und Stacy.«
»Unsere Fahrerin.«
Die Sicherheitsvorschriften verlangten, dass bei jeder Exkursion einer der Astronauten des Teams dabei sein musste, bis sich die Wissenschaftler allesamt als geschulte Fahrer qualifizierten.
»Ich übernehme eine Doppelfunktion als ihr Ersatzmann; schließlich habe ich Erfahrung mit der Fahrerei auf dem Mars.«
»Hast du bestimmt zu Hause im Reservat gelernt.«
Mit einem knappen Nicken antwortete Jamie: »Ja, das hat viel Ähnlichkeit mit dem Mars. Wo hast du fahren gelernt?«
»In Boston«, sagte Trumball. »Wenn man in Boston fahren kann, kann man's überall.«
Die gesamte Oberfläche des Mars wurde jetzt von drei stationären, also immer über einem festen Punkt auf dem Boden stehenden Kommunikationssatelliten über dem Äquator abgedeckt. Einer der beiden winzigen Monde des Mars, Deimos — nicht größer als Manhattan Island —, kreiste fast in derselben Höhe wie sie. Seine geringe Anziehungskraft würde die Komsats irgendwann aus ihrem exakten Orbit holen, aber den Berechnungen zufolge sollten die Satelliten mindestens für die Dauer des Aufenthalts der Forscher auf dem Mars stabil sein. Deshalb beunruhigte es Jamie nicht, dass er als Missionsleiter eine Woche lang von der Basis abwesend sein würde. Über die ortsfesten Komsats konnte er mit dem Lager und der Erde Verbindung halten.
Als er für den zehn Meter langen Weg zu dem wartenden Rover in seinen Raumanzug stieg, sah er, wie Vijay Shektar durch die Innenluke der Schleuse trat und den Helm abnahm. Sie schüttelte die Haare aus und lächelte ihn an.
»Ich habe sämtliche Vorräte doppelt überprüft«, sagte sie. »Alles in bester Ordnung.«
»Dann haben wir grünes Licht für die Exkursion.«
»Ja.«
Sie setzte sich neben ihn auf die Bank, die an den Spinden für die Raumanzüge entlanglief, und begann mit einem Seufzen, ihre Handschuhe auszuziehen.
»Der verdammte Anzug scheuert mir den rechten Ellbogen auf«, beschwerte sie sich.
»Pack ein Schaumgummipolster auf die Stelle«, schlug Jamie vor. Auch wenn der Anzug noch so gut passte, es gab immer irgendeine Unannehmlichkeit. Sein eigener Anzug fühlte sich ungeheuer steif an. Schnell laufen würde er damit garantiert nicht können.
Jamie war bereits in das Unterteil des Anzugs und die Stiefel geschlüpft, der schwierigste Teil des Ankleidens. Jetzt stand er auf und ging zu dem wartenden Oberteil hinüber.
»Ist, als würde man eine Ritterrüstung anlegen, was?«, sagte Shektar.
»Und dann auf in den Kampf mit den Drachen.«
»Drachen? Das wär mal was Neues!«
»Echte Drachen«, sagte Jamie. »Unwissenheit, das Unbekannte.«
»Ah. Ja, echte Drachen, stimmt.«
»Und Angst.«
»Angst? Hast du Angst?«
»Nicht davor, rauszugehen«, erklärte Jamie hastig. »Nicht vor dem Mars. Diese Welt ist vielleicht gefährlich, aber bösartig ist sie nicht.«
Sie saß da, umhüllt von dem hartschaligen Anzug wie eine Frau, die gerade von einem metallenen Monster verschlungen wurde, und lächelte Jamie neugierig an.
»Wovor hast du dann Angst?«
»Ich gar keine — aber andere schon. Angst davor, Dinge zu finden, die sie durcheinander bringen.«
»Zum Beispiel Leben?«
»Zum Beispiel intelligentes Leben«, sagte Jamie.
Jetzt verstand sie. Ihre Miene hellte sich auf. »Deshalb wolltest du unbedingt mit auf diese Traverse. Deine Felsenbehausung.«
Jamie nickte ernst.
»Meinst du wirklich, du findest sie?«
»Ich könnte zu Fuß hingehen, wenn es sein müsste.«
»Und du glaubst tatsächlich, es ist ein Artefakt, ein Bauwerk intelligenter Marsianer?«
Dex Trumball kam durch die Luke der Luftschleuse herein und schob sein Visier hoch. »Wir sind alle startklar, sobald der Missionsleiter sich an Bord begibt.«
»Zwei Minuten«, sagte Jamie. Dann setzte er mit einem Blick in Vijays fragende Augen hinzu: »Wir werden es ziemlich bald rausfinden, nicht?«
ERSTE TRAVERSE: SOL 6
Zur Expeditionsausrüstung gehörten zwei große, segmentierte Rover-Fahrzeuge für Überland-Traversen. Die Rover waren genau die gleichen wie diejenigen, die bei der ersten Expedition benutzt worden waren: zwei Trios zylindrischer Aluminiummodule auf federnden Rädern mit lockerer Aufhängung, die über ziemlich große Felsen krabbeln konnten, ohne dass das Fahrzeug dabei umstürzte. Sie bedeuteten eine erhebliche finanzielle Einsparung für die Expedition: Die Kosten für ihre Entwicklung und die Tests waren bereits ins Budget der ersten Expedition eingegangen, sodass die zweite Expedition nur zwei weitere hatte bauen lassen müssen.
Eins der zylindrischen Module war der Treibstofftank. Er war so groß, dass das Fahrzeug zwei Wochen oder länger draußen im Gelände bleiben konnte. Das mittlere Segment enthielt für gewöhnlich Ausrüstungsgegenstände und Vorräte, konnte aber zu einem kleinen mobilen Labor umgerüstet werden, wenn es erforderlich war. Das vorderste und größte der drei Segmente hatte ungefähr die Ausmaße eines Stadtbusses. Darin herrschte Normaldruck wie in einem Raumschiff, sodass man sich dort in Hemdsärmeln aufhalten konnte. Am hinteren Ende, wo es mit dem zweiten Modul verbunden war, befand sich eine Luftschleuse. Das vordere Ende war eine knollige, transparente Kanzel, die dem gesamten Gebilde eine gewisse Ähnlichkeit mit einer riesigen Metallraupe verlieh. Jeder Rover war so gebaut, dass vier Personen einigermaßen bequem darin Platz fanden, aber im Notfall ließ sich das gesamte achtköpfige Forscherteam hineinquetschen.
Obwohl Jamie in dem schwerfälligen Raumanzug steckte und unbequem auf dem rechten Sitz im Cockpit des Rovers hockte, fühlte er sich frei. Er betrachtete die an ihm vorbeiziehende Marslandschaft mit einer Art Doppelblick: Sein trainiertes Geologenauge katalogisierte die Geländeformen, die Felsblöcke, Krater und vom Wind geformten Sanddünen; der Navajo tiefer in seinem Innern erkannte ein Territorium, das einst die Heimat des Volkes gewesen sein mochte.
Was für eine Ähnlichkeit mit dem Wüsten-Homeland des Volkes, dachte er. Rostiger Sand und rote Felsen, steil aufragende Tafelberge weiter weg am Horizont. Er rechnete beinahe damit, Fußabdrücke dort draußen zu sehen, die Spur seiner Ahnen.
Unsinn, spottete der Weiße in ihm. Im Umkreis von hundert Millionen Kilometern gibt es keinen einzigen Grashalm. Die Temperatur da draußen liegt unter dem Gefrierpunkt, und heute Nacht wird sie auf unter siebzig Grad minus absinken. Man kann die Luft nicht atmen.
Trotzdem hatte Jamie das Gefühl, heimgekehrt zu sein.
Und vor ihnen, eingebaut in eine Spalte in der mächtigen Steilwand des Grand Canyon, warteten die Ruinen einer alten Stadt. Jamie war sich dessen sicher. Ganz gleich, was die anderen sagten, ganz gleich, worauf sein rationales Ich beharrte, er wusste es in seinem Herzen: Was er bei der ersten Expedition gesehen hatte, war von intelligenten Wesen erbaut worden.
»Dreißig Klicks«, sagte Stacy Deschurowa. Sie saß neben Jamie auf dem Fahrersitz und war ebenfalls in einen klobigen Raumanzug gehüllt, hatte aber keinen Helm auf. Mit ihrem schmutzigblonden Pagenschnitt sah sie aus wie eine stämmige Holländerin, die bei lebendigem Leibe von einem Roboter verschluckt wurde.