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Al stieß einen Seufzer aus, der seinen zerbrechlichen Körper schüttelte. »Bald kommen die Himmelstänzer. Sie werden mich mitnehmen.«

»Die Himmelstänzer?«

»Du wirst schon sehen. Warte mit mir. Es wird nicht mehr lange dauern.«

Jamie zog sich den einzigen Stuhl im Hogan heran und setzte sich zu seinem Großvater ans Bett. Seine Eltern waren vor zwei Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Al war der einzige nahe Verwandte, den er noch hatte. Nach ihm würde nichts und niemand mehr da sein. Der alte Mann schloss die Augen. Jamie konnte nicht erkennen, ob er noch atmete. Das einzige Geräusch in dem kalten kleinen Raum war das Knistern des Feuers, als die schweigende Frau Holz nachlegte.

Der Holzstuhl war hart und steif, die aus Seil geflochtene Sitzfläche so unnachgiebig wie Stein, aber Jamie döste trotzdem unwillkürlich ein. Er sprang von einer hohen Klippe, nackt in der heißen Sonne, und fiel langsam in die Tiefe, wie in einem Traum, fiel an der Steilwand des blutroten Tafelberges hinab.

Er schreckte abrupt hoch. Al hatte die Hand in sein Knie gekrallt.

»Die Himmelstänzer!«, krächzte Al mit seiner schwachen Stimme. »Sie sind da!«

Er redet wirres Zeug, dachte Jamie und drehte sich zu der Frau um, die immer noch schweigend am Feuer saß. Sie blickte mit dunklen, ruhigen Augen zu ihm auf, sagte jedoch nichts.

»Schau nach!« Al zeigte mit einem zittrigen Finger zum verhängten Fenster. »Geh hinaus und schau nach!«

Verwirrt hievte Jamie sich von dem Stuhl hoch und ging zur Tür. Dort hielt er zögernd inne und drehte sich zu seinem Großvater um.

»Nun mach schon!«, drängte Al aufgeregt und versuchte, sich auf einen ausgemergelten Arm zu stützen. »Du wirst schon sehen!«

Jamie öffnete die Tür und trat in die kalte, dunkle Wüstennacht hinaus. Sein Atem gefror in der Luft. Er schaute zu den Sternen hinauf.

Und sah schimmernde Schleier aus zartem Rosarot, Blassgrün und flackerndem Weiß über den Himmel pulsieren. Sie tanzten stumm, glitzerten, kräuselten sich und überzogen den Himmel mit ihrem geisterhaften Glanz.

Das Nordlicht, wie Jamie wusste. Auf der Sonne musste es eine gewaltige Eruption gegeben haben. Dann sagte der Navajo in ihm: die Himmelstänzer. Sie kommen Al holen.

Jamie stand wie angewurzelt da und beobachtete das zarte, Ehrfucht gebietende Schauspiel am Nachthimmel. Er erinnerte sich, dass man auf dem Mars fast jede Nacht Polarlichter hatte sehen können, selbst durch die getönte Sichtscheibe des Raumanzughelms hindurch, aber hier auf der Erde waren die Himmelstänzer selten. Aber so schön, dass sie sogar dem Tod einen Teil des Schreckens nahmen.

Schließlich bückte er sich und ging wieder in den Hogan hinein. Sein Großvater lag reglos da, das Gesicht zu einem letzten Lächeln erstarrt. Die Frau war an sein Bett getreten und strich die Decke über ihm glatt.

»Adieu, Großvater«, sagte Jamie. Er hatte das Gefühl, dass er weinen sollte, aber es kamen keine Tränen.

Er verließ den Hogan wieder und ging langsam zu seinem Minivan. Jetzt ist niemand mehr da, sagte er sich. Nichts und niemand hält mich noch hier.

Tief unten am zerklüfteten Horizont sah ihn das starre rote Auge des Mars unverwandt an, leuchtend und lockend. Zwei Wochen später hob er mit einer Clippership-Rakete vom Kennedy Space Center ab und trat die erste Etappe seiner Rückkehr zum Mars an.

DATENBANK

Die erste Marsexpedition bestätigte viele Entdeckungen früherer Robotersonden auf dem Roten Planeten.

Der Mars ist eine kalte Welt. Er zieht seine Bahn im etwa anderthalbfachen Abstand der Erde um die Sonne. Seine Atmosphäre ist bei weitem zu dünn, um die Sonnenwärme zu halten. An einem klaren Sommertag kann die Bodentemperatur am marsianischen Äquator bis auf 21 Grad Celsius steigen; in der gleichen Nacht wird sie jedoch auf 70 Grad unter Null oder tiefer stürzen.

Die Atmosphäre des Mars ist so dünn, dass man sie selbst dann nicht atmen könnte, wenn sie aus reinem Sauerstoff bestünde, was nicht der Fall ist. Die marsianische ›Luft‹ besteht zu über 95 Prozent aus Kohlendioxid und enthält fast 3 Prozent Stickstoff, eine winzige Menge freien Sauerstoff und noch weniger Wasserdampf. Der Rest der Atmosphäre besteht aus trägen Gasen wie Argon und Neon, einem Hauch Kohlenmonoxid und einer Spur Ozon.

Im Gegensatz zu all den automatischen Landern und Orbitern entdeckte die erste Marsexpedition jedoch noch etwas anderes: Leben.

Ganz unten auf dem Grund der gewaltigen Valles Marineris — des Grand Canyon, der sich rund dreitausend Kilometer weit über das rötliche Antlitz des Planeten erstreckt — klammern sich spärliche Kolonien flechtenartiger Organismen, die sich ein paar Millimeter unter der felsigen Oberfläche verstecken, an ein permanent bedrohtes Leben. Tagsüber saugen sie Sonnenlicht auf und entnehmen das erforderliche Wasser aus den verschwindend geringen Spuren von Wasserdampf in der Luft. Nachts treten sie in den Ruhezustand ein und warten auf die neuerliche Berührung der Sonnenwärme. Ihre Zellen sind von einer alkoholhaltigen Flüssigkeit umgeben, die verhindert, dass sie erfrieren, selbst wenn die Temperatur auf siebzig und mehr Grad unter Null sinkt.

Mars ist der vierte Planet, von der Sonne aus gerechnet. Er kommt nie näher als 56 Millionen Kilometer an die Erde heran und ist in dieser Position immer noch über hundert Mal so weit von ihr entfernt wie der Mond. Er ist eine kleine Welt, ungefähr halb so groß wie die Erde, und seine Oberflächenschwerkraft beträgt etwas mehr als ein Drittel derjenigen der Erde. Hundert irdische Kilo wiegen auf dem Mars nur achtunddreißig.

Der Mars ist als der Rote Planet bekannt, weil seine Oberfläche im Wesentlichen eine knochentrockene Wüste aus sandigen Eisenoxiden ist: rostiger Eisenstaub.

Trotzdem gibt es Wasser auf dem Mars. Der Planet hat helle Polarkappen, die zumindest teilweise aus gefrorenem Wasser bestehen. Den größten Teil des Jahres über sind sie von Trockeneis bedeckt, gefrorenem Kohlendioxid. Die erste Marsexpedition bestätigte, das riesige Gebiete des Planeten von Permafrost unterlegt sind: Ein Meer aus gefrorenem Wasser liegt unter dem roten Sand.

Der Mars ist der erdähnlichste Planet im Sonnensystem. Es gibt Jahreszeiten auf dem Mars — Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Weil er weiter von der Sonne entfernt seine Bahn zieht, ist das Marsjahr annähernd doppelt so lang wie das irdische Jahr (ein paar Minuten weniger als 689 Erdentage), und seine Jahreszeiten sind folglich fast doppelt so lang wie die auf der Erde. Der Mars dreht sich beinahe genauso schnell um seine Achse wie die Erde. Ein Erdentag dauert 23 Stunden, 56 Minuten und 4,09 Sekunden. Ein Tag auf dem Mars ist nur geringfügig länger: 24 Stunden, 37 Minuten und 22,7 Sekunden.

Um Konfusion zwischen Erdzeit und marsianischer Zeit zu vermeiden, bezeichnen die Raumforscher den Marstag als ›Sol‹. Ein Marsjahr umfasst also 669 Sol sowie überständige vierzehn Stunden, sechsundvierzig Minuten und zwölf Sekunden.

Die Entdeckung der felsenbewohnenden Marsflechte warf unter den Wissenschaftlern neue Fragen auf: Ist die Flechte die einzige Lebensform auf dem Planeten? Oder gibt es ein ökologisches Netz verschiedener Organismen? Wenn ja, warum wurden außer der Flechte keine gefunden?

Sind diese niedrigen Organismen die höchste Errungenschaft des Lebens auf dem Mars?

Oder sind sie die zähen Überlebenden einer ehemals reicheren und komplexeren Ökologie?

Falls sie die einzigen Überlebenden sind, was hat dann all die anderen Lebensformen auf dem Mars ausgelöscht?

ERSTES BUCH

DIE ANKUNFT

MARS-HABITAT: SOL 1

»Wir sind wieder da, Großvater«, sagte Jamie Waterman leise. »Wir sind zum Mars zurückgekehrt.«