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Trudy Hall, die auf ihrer Liege saß, ihren Laptop auf den ausgestreckten Beinen, rief ihnen zu: »Hört euch meinen Vortrag nach dem Abendessen an, der wird all eure Fragen beantworten.« Dann machte sie ein nachdenkliches Gesicht und fügte hinzu: »Na ja, zumindest einige.«

Halls improvisierter Vortrag begann, nachdem sie die Überreste ihres Abendessens in den Wiederaufbereitungseimer geworfen und den Klapptisch saubergewischt hatten. Jamie holte sich seine zweite Tasse heißen Kaffee und setzte sich dann auf seine Liege. Dex, der neben ihm saß, trank langsam und bedächtig einen Becher Fruchtsaft. Die oberen Liegen waren noch an die gekrümmte Wand geklappt. Stacy Deschurowa war vorn im Cockpit und überprüfte das Diagnosesystem des Rovers, eine lästige Pflicht, der sie sich jeden Abend unterzog.

Hall stellte ihren Laptop auf den Tisch und zeigte den beiden Männern mit Hilfe von Fotos und Grafiken auf dessen Bildschirm, dass die Flechte ihre Wärmeenergie vom Sonnenlicht bezog, das tagsüber die Steine erwärmte — »auf bis zu zwölf Grad Celsius bei direkter Sonneneinstrahlung«, berichtete sie.

»Dann sind sie also nicht auf den Wärmestrom aus dem Boden angewiesen«, sagte Jamie.

»Ganz und gar nicht.«

»Deshalb also …«

»Und nicht nur das«, fuhr sie fort. »Sie sorgen sogar dafür, dass ihre Temperatur immer höher ist als die Umgebungstemperatur!«

»Wie bitte?«

Mit vor Aufregung leuchtenden Augen erklärte Hall den beiden Männern: »Das Gestein, das Flechten enthält, ist sechs bis zwölf Grad wärmer als das Gestein ohne Flechten.«

»Wie machen sie das?«, fragte Trumball.

»Die Flechten speichern Wärme, als wenn sie Warmblüter wären!«

»Aber es sind Pflanzen, keine Tiere«, wandte Jamie ein.

Hall wedelte mit der Hand. »Ich meine natürlich nicht, dass sie wirklich Warmblüter sind. Aber irgendwie schaffen sie es, eine höhere Temperatur beizubehalten als die flechtenfreien Steine. Sie speichern tatsächlich Wärme! Das ist einmalig!«

»Bist du sicher?«

»Wie viel Kälte können sie denn vertragen?«, fragte Trumball.

Hall hob die schmalen Schultern. »Sie existieren schon weiß Gott wie lange. Und die nächtlichen Tiefsttemperaturen liegen weit unter hundert Grad minus.«

»Was ist mit Staubstürmen?«, wollte Jamie wissen.

»Was soll damit sein?«, gab sie zurück.

»Na ja, das Gestein kann manchmal tagelang oder vielleicht sogar noch länger von Staub bedeckt sein …«

»Ah, ich verstehe.« Hall nickte kurz. »Die Flechte muss imstande sein, so eine Abdeckung zu überleben.« Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich weiß nicht, wie eine Staubschicht die Gesteinstemperatur beeinflussen würde. Ist der Staub ein thermischer Isolator oder würde solares Infrarotlicht ohne größere Absorption durchgehen?«

Jamie und Trumball schüttelten beide den Kopf. Hall gab über die Tastatur ihres Laptops eine Anmerkung ein. »Damit müssen wir uns noch genauer befassen, nicht wahr?«

»Wenn die Flechte ihr Wasser aus der Feuchtigkeit in der Atmosphäre bezieht«, sagte Trumball, »dann würde sie doch austrocknen, wenn sie mehrere Tage mit Staub bedeckt wäre, oder?«

»Offenbar nicht«, erwiderte Hall. »Sonst wäre sie ja schon längst ausgestorben.«

Jamie sagte: »Dann kann sie eine Weile ohne jede Wasserzufuhr überleben.«

»Anscheinend. Sofern sie nicht Wasser aus einer anderen Quelle bekommt.«

»Zum Beispiel?«

Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Dex, du sagtest, du hättest keinen Permafrost im Boden gefunden, ist das richtig?«

»Noch nicht«, antwortete Trumball. »Er könnte tiefer liegen, als ich mit meiner Sonde komme.«

»Hast du die Feuchtigkeit des Erdreichs geprüft?«

Trumball, der neben Jamie auf der Liege saß, hing schlaff an der gekrümmten Wand des Rovers. »Gehört zum automatischen Analyseprogramm. Bisher liegt der Ha-zwei-oh-Gehalt unter der Messgrenze.«

»Die Flechten müssen sozusagen überwintern können«, meinte Jamie. »Wenn sie kein Wasser kriegen, müssen sie imstande sein, ihren Stoffwechselprozess zu verlangsamen und abzuwarten.«

»So machen sie's auf der Erde«, pflichtete Hall ihm bei.

Trumballs Augen leuchteten auf. »Wahrscheinlich gibt's Hydrate im Gestein. Die Flechten können sie vielleicht chemisch aufspalten und ihr Wasser benutzen!«

»Hat jemand …?«

Jamie schnitt Hall das Wort ab. »Es gibt Hydrate im Gestein«, sagte er, mehr zu Trumball als zu Trudy. »Das haben wir auf dem Rückweg von der ersten Expedition festgestellt. Nicht im Gestein oben auf dem Lunae Planum, aber die Steine, die wir hier unten im Canyon gesammelt hatten, enthielten definitiv Hydrate.«

»Wassermoleküle, die in den Silikaten des Gesteins gebunden sind«, sagte Trumball. »Ja.«

Auf der anderen Seite des Tisches setzte Trudy Hall sich aufrechter hin. »Wir müssen feststellen, ob die Flechte Wasser aus den Hydraten extrahieren kann«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte ein wenig vor Eifer.

Sie und Trumball stürzten sich in einen lebhaften Dialog darüber, wie man die Flechte testen könnte. Jamie sah die Aufregung in ihren Gesichtern, hörte die Leidenschaft in ihren Stimmen.

»Wir müssen Proben ziehen und sie zur Basis mitnehmen«, sagte Hall. »Ich habe hier nicht die Geräte für solche Untersuchungen.«

»Nehmen wir ganze Steine und bewahren wir sie in Probenkästen außerhalb des Rovers auf«, empfahl Trumball. »Wir sollten kein Risiko eingehen, sie zu kontaminieren.«

»Richtig. Aber wo können wir sie unterbringen?«

Trumball stand von der Liege auf, ging um den Tisch herum und setzte sich neben sie. Sie beugten sich über den Bildschirm des Laptops; ihre Köpfe berührten sich fast. Stacy Deschurowa kam aus dem Cockpit zurück und warf einen Blick auf die beiden, die miteinander schwatzten und auf der Tastatur des Laptops herumtippten.

»Was ist los?«, fragte sie Jamie.

»Sie versuchen rauszufinden, wo sie außen am Rover ein paar Probenkästen für die Rückfahrt aufhängen können.«

»Außen? Sucht es euch aus. An der Außenhaut gibt's alle paar Meter Befestigungspunkte.«

Nachdem dieses Problem gelöst war, schlüpfte Deschurowa an Jamie vorbei in Richtung Waschraum. Jamie saß allein auf seiner Liege und fühlte sich ausgeschlossen. Sie sind so aufgeregt wegen dieser Sache, dass sie alles andere vergessen, sagte er sich.

Dann blickte Hall vom Bildschirm auf und sagte: »Ist euch eigentlich klar, was das bedeutet? Das mit der Wärmespeicherfähigkeit der Flechte, meine ich.«

Trumball schaute einen Moment lang verwirrt drein.

Jamie begann zu überlegen: Wenn die Steine mit Flechten wärmer sind als die Steine ohne, dann heißt das …

»Wir könnten sie per Satellit kartieren!«, rief Trumball.

»Genau«, rief Trudy. »Die Infrarotsensoren in den Satelliten können Temperaturanomalien am Boden aufspüren …«

»Und die wärmeren Stellen werden die sein, wo die Flechten leben«, beendete Jamie ihren Satz.

»He, auf diese Weise könnten wir innerhalb von ein paar Stunden eine vollständige Karte des ganzen Planeten kriegen«, sagte Trumball. »Die uns genau zeigt, wo es Flechtenkolonien gibt!«

»Länger als ein paar Stunden wird es schon dauern«, dämpfte Jamie ihre Begeisterung. »Wir brauchen mehrere Überflüge, um sicherzustellen, dass die Daten zuverlässig sind, und wir müssen sie für jedes Gebiet mehrfach erheben, um die Temperaturunterschiede festzustellen.«

»Können die Satellitensensoren einen Unterschied von etwa sechs Grad messen?«, fragte Hall.

»Na klar«, sagte Trumball. »Mit Leichtigkeit.«

»Bodentemperaturen, meine ich.«

»Ich bin ziemlich sicher, dass das kein Problem sein wird, Trudy«, sagte Jamie. »Die Atmosphäre absorbiert nicht viel; sie ist so dünn, dass die Bodenwärme direkt in den Weltraum entweicht. Deshalb wird es jede Nacht so kalt, ganz gleich, wie hoch die Temperatur tagsüber war.«