»Feuersbrünste und Blut.«
»In Ordnung«, sagte Newell und hob beide Hände. Das muntere Geplauder verstummte sofort.
Er lächelte sie an. »Sie kriegen ihre Virtual-Reality-Sendungen also nicht zu ihren Abonnenten, richtig?«
»Nicht, bis sie die Ausrüstung repariert haben.«
»Ihre Abonnenten müssen also zu uns umschalten, um ihre Neuigkeiten über den Mars zu erfahren, stimmt's?«
»Oder zur Konkurrenz.«
»Und was machen wir? Wir können nicht jeden Abend zehn bis fünfzehn Sekunden darauf verwenden, unserem Publikum zu erzählen, dass auf dem Mars nichts passiert ist.«
»Wir könnten eine kurze Wissenschaftsreportage bringen«, sagte die übergewichtige Frau.
Alle stöhnten. Mit Wissenschaftsreportagen verlor man Zuschauer, daran glaubten sie alle felsenfest. Wissenschaft war langweilig. Mit Wissenschaftsreportagen reichte man das Publikum quasi auf direktem Wege an die Konkurrenz weiter.
»Wollen wir den Mars einfach ganz ignorieren?«
Die älteste Frau am Tisch — sie musste mindestens schon auf die Vierzig zugehen — tippte sich mit einem Zeigefinger ans Kinn. »Ich weiß noch …«
»Was denn?«, fragte Newell.
»Etwas, das sie uns in der Schule gezeigt haben … da war ich — nein! Es war in dem Kurs über Mediengeschichte, den ich vor ein paar Jahren besucht habe.«
»Was denn?«, wiederholte Newell einigermaßen genervt.
»Cronkite hat das gemacht! Ja, so war's.«
»Was denn?«, riefen die anderen im Chor.
»Es gab da irgendeine Krise. Geiseln oder so. Hat sich über ein Jahr hingezogen. Am Ende jeder Sendung hat Cronkite gesagt: ›Das ist der vierundfünfzigste Tag‹, wovon auch immer.«
»So eine Art Countdown?«
»Eher eine Erinnerung. Ein Kalender, sozusagen.«
Newell legte den Kopf schief, ein Zeichen, dass er überlegte. Die anderen blieben stumm.
»Das gefällt mir«, sagte er schließlich. »Am Ende der Abendnachrichten wird der Anchor ab jetzt immer sagen: ›Das ist der vierundfünfzigste Tag, den unsere Forscher auf dem Mars sind.‹«
»Je nachdem, wie die richtige Zahl lautet.«
»Natürlich.«
»An der Formulierung muss noch gefeilt werden, finde ich.«
»Dafür haben wir Autoren«, sagte Newell ein bisschen verstimmt.
»Auf diese Weise erinnern wir das Publikum daran, dass diese Leute noch auf dem Mars sind.«
»Aber wir verschwenden keine Sendezeit mit einer Wissenschaftsstory.«
»Außer, wenn ihnen was zustößt.«
»Oh, wenn sie in Schwierigkeiten geraten, springen wir mit beiden Füßen zugleich rein«, versprach Newell. »Geht doch nichts über echte Gefahr, um die Quoten in die Höhe zu treiben.«
BOSTON
Darryl C. Trumball war viel zu beschäftigt gewesen, um sich die letzte Virtual-Reality-Übertragung vom Mars zu Gemüte zu führen. Er hatte sich die ersten zwei angesehen, die sein Sohn an den ersten beiden Tagen nach ihrer Ankunft auf dem Planeten durchgeführt hatte. Das reichte.
Natürlich hielt er sich auf dem Laufenden, was die Einkünfte aus den VR-Übertragungen betraf. Die ersten beiden Sendungen hatten etwas mehr als zwanzig Millionen Zuschauer gehabt. Zwanzig Millionen zahlende Zuschauer — zehn Dollar pro Kopf — hatten den Forschern am Tag ihrer Landung auf dem Mars und am darauf folgenden Tag zugesehen, als Dex eine Führung durch die Kuppel veranstaltet hatte, in der sie für die nächsten anderthalb Jahre leben würden.
Und dann war die Zuschauerzahl rasch auf ungefähr drei Millionen geschrumpft. Wer wollte die Steine auf dem Mars schon zweimal oder öfter sehen, außer Schulkinder und spinnerte Weltraumfans? Aber drei Millionen waren ganz ordentlich: Sie brachten der Expedition pro Sendung dreißig Millionen Dollar ein.
Natürlich bezahlten nicht alle ihre zehn Dollar, wie Trumball sehr wohl wusste. Es kostete zehn Dollar pro Empfangsgerät, nicht zehn Dollar pro Kopf. Eine Schulklasse von dreißig Kindern bezahlte nur zehn Dollar. Eine Familie konnte ihre zehn Dollar hinlegen und all ihre Verwandten zuschauen lassen. Bars voller Betrunkener zahlten ihren Zehner, und das war's. Trumball kochte bei dem Gedanken, aber es gab keine praktikable Möglichkeit, dieses Nassauern zu unterbinden.
Jetzt war die VR-Ausrüstung ausgefallen. Dieser verdammte Indianer hatte irgendwas kaputtgemacht, als er draußen auf so einem verdammten Felsen herumgeturnt war.
Die sollen bloß zusehen, dass sie das schleunigst repariert kriegen, schimpfte Trumball. Wir verlieren dreißig Millionen Dollar pro Sendung.
NACHMITTAG: SOL 15
»Da ist er!«, rief Dex Trumball.
Jamie saß auf dem Beifahrersitz, während Stacy Deschurowa den Rover die sanfte Steigung des alten Erdrutschs hinauflenkte.
»Dachtest du, er wäre inzwischen weggefahren?«, fragte Trudy Hall fröhlich. Sie saß auf dem Notsitz hinter Jamie, Trumball auf dem Klappsitz hinter Deschurowa.
Jamie gab etwas auf der Kommunikationskonsole ein, und Mitsuo Fuchidas Gesicht erschien auf dem kleinen Monitor an der Kontrolltafel.
»Wir nähern uns dem alten Rover«, berichtete Jamie. »Wir werden Halt machen und ihn untersuchen.«
»Ich verstehe«, sagte Fuchida.
»Wie sieht's bei euch aus?«
Mit einer fast unmerklichen Verbeugung antwortete der Biologe: »Rodriguez und Craig reparieren das Bohrgerät. Vijay ist …«
»Sie reparieren den Bohrer?«, unterbrach ihn Jamie. »Was ist damit?«
Fuchida zwinkerte zweimal rasch hintereinander. »Die Hydraulikleitung zum Bohrkopf ist über Nacht eingefroren. Possum glaubt, dass das elektrische Heizsystem ausgefallen ist.«
»Wie schlimm ist es?«
Ein leichtes Zucken der schmalen Schultern. »Ich weiß es nicht. Possum schien nicht besonders aufgeregt zu sein.«
Jamie ließ sich in seinen Sitz zurücksinken. »Sag ihm bitte, er soll mich bei Gelegenheit anrufen.«
»Ja, mache ich. Wahrscheinlich schafft er es aber erst nach Einbruch der Dunkelheit.«
»Das ist schon okay. Bis dahin sind wir wohl sowieso draußen und überprüfen den alten Rover.«
Fuchida nickte und sagte dann: »Aus Boston sind noch ein halbes Dutzend Nachfragen nach dem VR-System gekommen.«
»Was immer daran kaputt ist«, sagte Dex hinter Jamie, »ich kann's jedenfalls nicht reparieren. Das muss warten, bis wir zur Kuppel zurückkommen.«
»Vielleicht könnte Possum von hier aus mit euch daran arbeiten«, schlug Fuchida vor.
»Die wissenschaftlichen Aufgaben haben Vorrang«, sagte Jamie. »Wir haben nicht viel Zeit, uns mit dem Unterhaltungssystem zu beschäftigen.«
Fuchida zog die Augenbrauen hoch. »Mr. Trumball in Boston ist sehr hartnäckig.«
»Ich schicke ihm heute Abend eine Nachricht«, sagte Dex. »Ich beruhige ihn schon.«
Jamie drehte sich zu Dex um. »Danke.«
Dex zuckte die Achseln.
Jamie wandte sich wieder dem Bildschirm zu und wartete darauf, dass Fuchida noch etwas sagte, doch als der Biologe weiterhin schwieg, merkte er, dass er fragen musste: »Was ist mit Vijay? Was macht sie?« Er merkte auch, dass seine Gefühle dabei zwischen Gereiztheit und Verlegenheit changierten.
Fuchida antwortete, als wäre es eine Routinefrage. »Sie hat fast den ganzen Tag über die Verbindung mit Tarawa gehalten. Im Moment sieht sie sich noch einmal unsere medizinischen Unterlagen an, glaube ich.«
»Irgendwelche Probleme?«
»Nicht dass ich wüsste. Wir scheinen alle recht gesund zu sein, auch wenn einige von uns ein oder zwei Kilo abgenommen haben.«
»Was kann man bei dieser vegetarischen Kost aus dem Garten schon anderes erwarten?«, mischte sich Trumball ein.
Fuchida lächelte. »Was ist, magst du keine Soja-Derivate? Die Gartenfrüchte ergeben eine vollkommen ausgewogene Diät.«