»Komm schon, komm schon, mein Süßer«, redete Deschurowa dem alten Rover sanft zu, so leise, dass Jamie es kaum hören konnte. Dann verfiel sie ins Russische, ein sanftes, zärtliches Gurren.
Jamie, der hinter Trudys Sitz stand, staunte über die kühle, freundliche, beinahe mütterliche Sanftheit von Stacys eindringlichem Geflüster. Ist das dieselbe Frau, die noch vor ein paar Stunden wie ein Motorradrocker über einen Schraubenzieher geflucht hat?
Der Rover schwankte leicht, und Jamie hielt sich an der Rücklehne von Halls Sitz fest. Die Fahrmotoren heulten lauter. Jamie fand, dass es verbrannt roch.
»Komm schon, Baby«, gurrte Deschurowa.
Trumball sagte leise: »Er rührt sich nicht …«
Der Rover schaukelte erneut, und Jamie streckte die freie Hand aus, um sich an Trumball festzuhalten. Dex grapschte unbeholfen nach Jamies Arm, kippte in seinem Anzug nach hinten und wäre beinahe umgefallen.
»Da kommt er!«, rief Deschurowa.
Das abgerundete Ende des alten Rovers rollte in Zeitlupe auf sie zu, wurde größer und größer.
»Festhalten!«
Das Heck das alten Fahrzeugs prallte so heftig auf die Windentrommel an der Nase ihres Rovers, dass Jamie gegen das hintere Schott des Cockpits taumelte. Beide Fahrzeuge blieben stehen.
Einen langen Moment sagte keiner von ihnen ein Wort. Dann kicherte Trudy Hall und erklärte: »Schleudertrauma! Wo ist der nächste Anwalt?«
Sie lachten alle zittrig.
»Die Räder des alten Vogels waren wohl doch im Leerlauf«, gab Trumball zu.
»Ja, scheint mir auch so«, sagte Deschurowa.
Jamie sah, dass sie die Räder ihres Rovers in der Parkstellung arretierte, bevor sie sich vom Fahrersitz hochstemmte.
»Ich muss mal«, verkündete sie fröhlich.
Beim Abendessen überlegten sie, wie sie den alten Rover am besten zum Rand des Canyons hinaufschleppen konnten. Die beiden Frauen saßen wie üblich auf der einen unteren Liege, Jamie und Trumball auf der anderen.
»Warum nehmen wir ihn nicht gleich mit zur Basis?«, drängte Trumball.
»Würde ein Loch in unsere Treibstoffreserve reißen«, sagte Deschurowa und sah Jamie über den Klapptisch hinweg an.
»Aber nur ein kleines«, entgegnete Trumball.
Jamie sagte: »Sofern es um die Sicherheit geht, ist es deine Entscheidung, Stacy. Ich muss genau wissen, wie viel von unserem Treibstoff fürs Abschleppen draufgehen würde.«
»Ich kann dir eine Schätzung geben, aber wie hoch unser Verbrauch mit dem Ding im Schlepptau genau wäre, weiß ich nicht.«
»Dann eben eine möglichst exakte Schätzung«, sagte Jamie.
»Früher oder später werden wir den Rover ja doch in der Basis haben wollen«, fuhr Trumball fort. »Also können wir ihn auch gleich mitnehmen.«
»Falls wir's können«, sagte Jamie.
»Klar. Aber ich gehe jede Wette ein, dass wir das ohne große Probleme schaffen.«
»Wir werden sehen.«
»Ja, Daddy«, spöttelte Dex.
Nach dem Abendessen räumten sie den Tisch weg und klappten die oberen Liegen herunter. Trumball begab sich in den Waschraum, und die beiden Frauen gingen zusammen ins Cockpit. Jamie hockte sich im Schneidersitz auf seine Liege, klappte seinen Laptop auf und setzte sich mit der Basis in Verbindung. Rodriguez war am Kommunikationspult.
»Hast du das Bildmaterial gekriegt, das ich dir gestern Abend geschickt habe?«, fragte er mit einem besorgten Ausdruck in dem fleischigen Gesicht.
»Ja, ich hatte nur noch keine Gelegenheit, es mir anzuschauen.«
»Gibt nicht viel zu sehen. Der Schwebegleiter eignet sich nicht so gut für die Art Daten, die du haben wollest.«
Jamie zuckte die Achseln. »Was anderes haben wir im Moment aber nicht.«
»Ja, das stimmt.«
Er ging mit Rodriguez den Tagesbericht durch. Possum Craig hatte das Bohrgerät wieder zum Laufen gebracht. Fuchida plante seine Exkursion zum Olympus Mons. Rodriguez selbst begann mit der Montage des bemannten Raketenflugzeugs, das ihn und den Biologen zum Gipfel des höchsten Berges im Sonnensystem bringen würde.
Jamie hörte zu, sah sich die Bestandsverzeichnisse an, die über seinen Bildschirm flimmerten, und wartete geduldig, bis er sich schließlich fragen hörte: »Und was hat Shektar gemacht?«
»Vijay? Die kümmert sich um Fuchidas Garten und um die Tierchen, die Possum mit seinem Bohrer raufholt. Willst du sie sprechen?«
»Klar. Ja.«
Trumball kam vom Waschraum zurück und beugte sich tief genug herunter, um Jamie anzugrinsen. »Bleib nicht zu lange auf, Chief. Großer Tag morgen.«
»Ja, ja, schon gut«, sagte Jamie. Er griff nach dem Headset, das zum Laptop gehörte, steckte sich den Stöpsel ins Ohr und zog den Mikrofonarm herunter, bis das Stiftmikro beinahe seine Lippen berührte.
Als Trumball sich auf die obere Liege schwang, wich Rodriguez' Gesicht auf dem Bildschirm dem von Vijay Shektar. Sie schien zu glänzen, als wäre ihre Haut eingeölt worden. Jamie dachte wieder, was für ein Vergnügen es wäre, sie mit Duftölen zu massieren.
Sie lächelte und plauderte ganz unverkrampft, beantwortete Jamies Fragen über die eisenfressenden Bakterien, die Craigs Bohrgerät jetzt aus etlichen Kilometern Tiefe heraufholte.
»Sie sind magnetisch aktiv«, berichtete sie. »Sie richten sich an Magnetfeldern aus.«
»Muss an dem Eisen liegen, das sie aufnehmen«, vermutete Jamie.
»Ja, aber was für einen Vorteil haben sie davon? Das Magnetfeld des Mars ist so schwach, dass ich nicht verstehe, wie ihnen das beim Überleben hilft.«
»Vielleicht tut es das gar nicht«, sagte Jamie. »Vielleicht ist es bloß Zufall.«
Sie machte ein skeptisches Gesicht.
»Kann auch sein, dass der Mars früher ein viel stärkeres Magnetfeld hatte«, meinte er, »und dass es sich mit der Zeit abgeschwächt hat.«
»Das wäre möglich«, sagte Vijay nachdenklich. Dann hellte sich ihre Miene auf. »Sie vermehren sich ganz ordentlich in der Kultur. Sie teilen sich im Schnitt jede Stunde.«
»Unter Umweltbedingungen?«
»Mitsuo hat eine spezielle Hochdruckbox für sie gebaut«, antwortete sie. »Man muss sie in totaler Dunkelheit halten. Licht tötet sie.«
»Was ist mit Wärme?«
Ihre Augen blitzten. »Oh ja, sie sind termophil. Bei sechsundzwanzig Grad schalten sie von Zellteilung auf Konjugation um. Du solltest sie sehen, Jamie. Die eifrigen kleinen Kerlchen paaren sich wie die Kaninchen!«
»Genau das, was wir brauchen«, sagte Jamie leise. »Sexbesessene Bakterien.«
»Sie sind halt wie die meisten Männer«, sagte Vijay mit einem strahlenden Lächeln. »Sie tun es nur im Dunkeln — und unter großem Druck.«
»Wie die meisten australischen Männer, meinst du«, sagte er.
»Gilt auch für manche Yanks.«
Darauf hatte er keine Antwort.
Immer noch lächelnd, fragte Vijay: »Und wie läuft's bei euch?«
Jamie war dankbar für den Themenwechsel. Er kehrte in die sicheren Gefilde der Arbeit zurück, die sie gerade machten. Als er ihr erzählte, wie sie den alten Rover aus dem Sand gezogen hatten, kam ihm der Gedanke, dass diese höchst begehrenswerte Frau die Expedition zugrunde richten konnte, wenn ihr der Sinn danach stand.
Er erinnerte sich an Ilona Malater, die selbst ernannte Sextherapeuten der ersten Expedition. Sie hatte Spannungen ausgelöst, die nahezu unerträglich geworden waren, besonders bei den Russen.
Vijay war anders. Jünger zum Beispiel. Und sie schien immer über irgendeinen geheimen, internen Witz zu lachen. Sie gab zu, einen bösartigen Humor zu besitzen, aber Jamie spürte, dass sie professionell genug war, ihn — und ihre anderen Leidenschaften — im Zaum zu halten.
Das will ich ihr auch geraten haben, sagte er sich.
Dann fragte eine Stimme in seinem Kopf: Und wenn sie's nicht tut? Was machst du dann?