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Am Tisch wurde es still.

»Wenn die Flechten tatsächlich nutzbares Wasser aus den Hydraten extrahieren, müssen sie ausgezeichnete Chemiker sein und über eine außergewöhnliche chemische Ausrüstung verfügen.«

Mitsuo Fuchida, der am Ende des Tisches saß, ergriff das Wort. »Da kommt mir gerade ein Gedanke: Was passiert mit den Lichenoiden, wenn sie das gesamte Wasser in einem gegebenen Stein verbraucht haben?«

Alle drehten sich zu ihm um.

Fuchida fuhr fort: »Ein einzelner Stein enthält nur eine begrenzte Menge Wasser, nicht wahr? Was machen die Lichenoiden also, wenn sie das ganze Wasser im Stein aufgebraucht haben?«

»Sie werden wohl an Austrocknung sterben«, sagte Hall widerstrebend.

»Aber vorher werden sie sich bestimmt vermehren und ihre Samen zu anderen Steinen schicken«, meinte Vijay Shektar.

»Vielleicht gehen sie in ein Sporenstadium über«, schlug Trumball vor, »und warten, bis eine andere Wasserquelle verfügbar wird.«

»Wir haben keine Sporen gesehen.«

»Ihr habt auch nicht nach welchen gesucht.«

»Das stimmt«, gab Hall zu.

»Augenblick mal«, sagte Jamie. »Da stellt sich eine bedeutsame Frage, nicht? Es gib nur eine begrenzte Menge hydrathaltiger Steine. Was passiert, wenn die Flechten alle trockengelegt haben?«

»Vielleicht sind die Steine ohne Hydrate von den Flechten schon früher leergesaugt worden«, sagte Trumball.

Hall schüttelte den Kopf. »So etwas würde Jahrtausende dauern … äonenlang, um Himmels willen.«

»Das is der Zeitrahmen für planetare Entwicklungen«, sagte Craig. »Wie schon der alte Carl Sagan gesagt hat: Abermilliarden von Jahren.«

»Es ist auch der Zeitrahmen für die evolutionäre Entwicklung von Lebensformen«, fügte Fuchida hinzu.

»Jesus und alle Heiligen«, sagte Trumball leise. »Es ist genau, wie Lowell gesagt hat — dieser Planet stirbt.«

»Lowell … war das der mit den Kanälen?«, fragte Stacy Deschurowa.

Mit einem Nicken erwiderte Trumbalclass="underline" »Er glaubte, Kanäle gesehen zu haben, und behauptete, der Mars sei von intelligenten Wesen bewohnt, die ums Überleben kämpften.«

»Tun wir das nicht alle?«, witzelte Trudy.

»Was?«

»Ums Überleben kämpfen.«

»Nein, im Ernst«, sagte Trumball. »Lowells Kanäle resultierten aus Ermüdungserscheinungen der Augen und optischen Täuschungen. Aber sein zentraler Gedanke war, dass der Mars seine Luft und sein Wasser verlor, dass der ganze Planet starb …«

Trudy Hall sagte mit gedämpfter Stimme: »Und genau das zeigen unsere Forschungsergebnisse.«

»Die Flechten kämpfen ums Überleben«, sagte Jamie, »aber ihnen gehen die notwendigen Ressourcen aus.«

»Sie verbrauchen die Hydrate im Gestein.«

»Und sterben langsam ab.«

»Aber sie sterben.«

»Oder gehen in ein Sporenstadium über«, rief Trumball ihnen ins Gedächtnis. »Vorübergehende Einstellung aller Lebensfunktionen. Sie warten auf bessere Bedingungen, unter denen sie wieder zum Leben erwachen können.«

»Wie lange können sie das durchhalten?«, fragte Craig.

Fuchida sagte: »Auf der Erde sind schon Sporen aus der Zeit der Dinosaurier wieder belebt worden.«

»Also Millionen Jahre.«

»Dutzende Millionen.«

»Sporen haben sogar auf dem Mond überlebt«, erklärte Deschurowa. »Trotz Vakuum und harter Strahlung.«

»Lunare Sporen?«, fragte Trumball.

»Sporen, die wir mitgebracht hatten, ohne es zu wissen«, antwortete die Kosmonautin. »Sie warteten in der alten Apollo-Abstiegsstufe, als wir über vierzig Jahre später dorthin kamen.«

»Haben sie die Mondfähre nicht dekontaminiert, bevor sie zum Mond geflogen sind?«

»Doch, natürlich, aber das hat nicht alle Bazillen umgebracht. Die sind sehr zäh.«

Craig schnaubte verächtlich. »Da fragt man sich, was wir so alles mit uns rumschleppen, nich?«

»Der entscheidende Punkt ist doch folgender«, sagte Jamie. »Die Flechte deutet offenbar darauf hin, dass der Mars früher einmal viel reicher an Leben war. Und dass er jetzt stirbt.«

Sie nickten alle zustimmend. Jamie dachte: Ja, der Mars stirbt. Früher hat es hier Leben in Hülle und Fülle gegeben. Früher hat es hier intelligente Marsianer gegeben, die ihre Städte in die Felswände gebaut haben. Ich weiß es! Ich muss hinfahren und es beweisen.

Dex Trumball sah Jamies Gesichtsausdruck und wusste genau, was im Kopf des Indianers vorging. Er errichtet ein theoretisches Kartenhaus, um sich zu beweisen, dass es keine Fata Morgana war, was er in dieser Nische im Canyon gesehen hat, sondern ein von intelligenten Marsianern erbautes Gebilde.

Dex behielt seine Meinung jedoch für sich und hielt bis zum Ende der Diskussion bei Tisch durch; die anderen kamen bald vom Hundertsten ins Tausendste, wiederholten sich, überlegten laut und stellten wilde Vermutungen an, nur um sich reden zu hören. Er blieb die ganze Zeit sitzen, weil er die fröhlich debattierende Runde nicht als Erster verlassen wollte. Schließlich tippte Jamie jedoch auf seine Armbanduhr und schlug vor, dass sie den Tisch abräumten und schlafen gingen.

Dex lächelte innerlich. Er sagt immer »geht schlafen«. Nie »geht ins Bett«. Ich möchte wissen, wie lange es her ist, dass er mit jemandem im Bett war. Zum Teufel, es ist schon bei mir viel zu lange her, und er führt sich auf wie ein heiliger Mann der Navajos. Er ist wirklich ein Heiliger, unser edler Führer: Sankt Jamie vom Mars.

Dex lachte in sich hinein und ging in seine Unterkunft. Er schaltete den Laptop ein. Dad müsste meine letzte Nachricht inzwischen beantwortet haben. Tatsächlich, da war eine Botschaft von seinem Vater. Und auch eine von Mom. Viel länger als die von Dad. Dex ignorierte die Nachricht seiner Mutter und holte das hagere, strenge Gesicht seines Vaters auf den Bildschirm. Er sieht aus wie eine Eisskulptur, dachte Dex: kalt und hart, unmenschlich. Dad war offenbar in seinem Büro. Durch das Fenster hinter dem Schreibtisch sah Dex die Skyline von Boston.

»Dex, ich finde es eine gute Idee, die alte Pathfinder-Sonde zu bergen. Ich habe schon ein paar ausgewählte Persönlichkeiten kontaktiert und ihren Speichelfluss aktiviert. Wir könnten bei diesem Geschäft ein ganz anständiges Sümmchen einstreichen.«

Sag: Gute Arbeit, Dex, dachte er. Oder: Ich bin stolz auf dich, mein Junge.

Aber der Alte fuhr fort: »Mir ist allerdings klar, dass dein Plan nicht ungefährlich ist. Ich habe mich mit den Leuten unterhalten, die sich mit diesen Dingen auskennen, und sie sagen mir, es sei zwar technisch machbar, aber riskant. Wenn etwas schief geht, bestehen nur sehr geringe Aussichten auf Hilfe.«

Das stimmt, Dad, antwortete er stumm. Du sagst doch immer, ich hätte noch nie meinen Arsch riskiert, bei gar nichts. Ich hätte es immer leicht gehabt. Jetzt werde ich dir mal zeigen, wie sehr du dich in mir irrst.

»Aus diesem Grund will ich sicherstellen, dass diejenigen Personen für diese Mission ausgewählt werden, die für den Erfolg und die Sicherheit der Expedition am unwichtigsten sind. Sorg dafür, dass Dr. Waterman diesen mexikanischen Astronauten losschickt, Rodriguez. Und den Texaner, wie heißt er noch gleich … Craig, stimmt's? Die werden sich gut verstehen, und wenn ihnen was zustößt, ist das kein so großer Verlust.«

Dex starrte mit großen Augen auf den kleinen Bildschirm. »Du hast doch keinen blassen Schimmer, Dad«, sagte er leise. »Du hast doch nicht die mindeste Ahnung.«

Aber sein Vater sagte: »Du darfst unter gar keinen Umständen an dieser Mission teilnehmen. Hörst du, Dex? Ich verbiete es dir ausdrücklich. Du bleibst dort, wo du in Sicherheit bist. Sollen die anderen die Arbeit machen; du heimst dann den Ruhm ein.«

MORGEN: SOL 21

»Drei Wochen auf dem Mars«, sagte Vijay Shektar. »Wir sollten heute Abend feiern.«