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Jamie saß auf einem Hocker mit spindeldürren Beinen in Shektars Krankenrevier. Das Oberteil seines Overalls war heruntergezogen, und er hatte eine Manschette zum Messen des Blutdrucks um den linken Unterarm und ein halbes Dutzend medizinische Sensorpflaster auf Brust und Rücken.

»Die erste Expedition ist vierundfünzig Sols geblieben«, sagte er. »Warten wir, bis wir ihren Rekord gebrochen haben.«

»Du bist ein Spielverderber, Jamie.« Vijay schnitt ein Gesicht, irgendwo zwischen einem Schmollen und einem Grinsen.

»Oder noch besser, warten wir, bis wir etwas mehr zu feiern haben als ein Kalenderdatum.«

Vijay warf einen Blick auf die Monitore, auf denen Jamies Blutdruck, Puls, Temperatur und Haut-PH-Wert angezeigt wurden. Als sie wieder zu Jamie schaute, tanzten ihre Augen.

»Nun«, sagte sie, »Weihnachten steht vor der Tür — auf der Erde.«

»Schön. Wir können Weihnachten feiern.«

»Ohne Baum.«

»Wir machen uns einen aus Aluminium. Oder aus Plastik.«

Sie begann, die Sensorscheiben abzuziehen. »Du bist langweilig gesund, Kamerad. Nur deine Hautfarbe ist nicht so gut. Du solltest dich öfter mal unter die Höhensonne legen.«

»Ich könnte ohne Raumanzug in die Luftschleuse gehen«, schlug er grinsend vor, während er den Overall wieder hochzog und einen Arm in den Ärmel fummelte.

»Das UV-Licht da drin ist ein bisschen zu stark fürs Braunwerden.«

»Hätte nie gedacht, dass jemand mit meiner Hautfarbe Höhensonne brauchen würde«, sagte Jamie.

»Und was ist mit mir?«

»Du hast eine Dauerbräune.«

»Ja, das ist mir auch aufgefallen, als ich zum ersten Mal in eine Drogerie gegangen bin und hautfarbenes Pflaster kaufen wollte.«

Jamie musterte sie eingehend. In ihrer Miene war keine Spur von Boshaftigkeit. Ganz im Gegenteil.

»Du bist ja heute Morgen so gut gelaunt«, sagte er und drückte den Klettverschluss vorn an seinem Overall zu.

»Und du bist sachlich und nüchtern, wie immer.«

»Das ist mein Job.«

»Du solltest dir mal ein bisschen Entspannung gönnen«, sagte sie. »Du weißt schon: Arbeit macht das Leben süß, Faulheit stärkt die Glieder.«

Jamie überlegte rasch. »Wie wär's mit einem Spaziergang?«

»Draußen?«

»Wo sonst?«

»Trudy joggt jeden Tag in der Kuppel. Sie hat sich eine regelrechte Route zurechtgelegt.«

»Nein«, sagte Jamie. »Ich meine draußen.«

»Denkst du, wir sollten?«

»Ich hab heute Nachmittag ein bisschen Zeit, kurz vor dem Abendessen. Willst du mit mir spazieren gehen?«

»Mit dem größten Vergnügen.«

»Du bist bestimmt seit dem Tag, an dem wir gelandet sind, nicht mehr draußen gewesen«, sagte Jamie leichthin.

»Oh nein, das stimmt nicht. Dex und ich sind ein paar Mal rausgegangen. Aber seit er so mit der Planung dieser Exkursion zum Ares Vallis beschäftigt ist, natürlich nicht mehr.«

»Natürlich nicht«, erwiderte Jamie. Das war ein echter Dämpfer gewesen.

Vijay kicherte. »Dex wollte mich überzeugen, dass wir zu zweit in einen Raumanzug passen.«

»Ach wirklich?«, knurrte Jamie.

Sie grinste ihn breit an. »Was meinst du, Jamie? Du bist ein bisschen kräftiger als Dex. Glaubst du, wir beide könnten uns in einen Anzug kuscheln?«

Jamie wusste nicht, was er sagen sollte, bis ihm ein alter Spruch eines Kommilitonen an der Uni einfiel. »Du solltest deinen Mund keinen Scheck ausstellen lassen, Vijay, den dein Körper nicht einlösen kann.«

Nun war ausnahmsweise einmal sie sprachlos.

Jamie grinste. »Sechzehn Uhr. Wir treffen uns bei den Spinden. Okay?«

Sie salutierte militärisch. »Aye-aye, Sir.«

Dex Trumball schäumte noch immer vor Wut über den Befehl seines Vaters. Die Planung der Exkursion zum Ares Vallis verschlang immer mehr Zeit, vor allem jetzt, wo sie das Lenksystem für die Trägerrakete des Treibstoffgenerators testeten. Jamie hatte eine einschneidende Änderung in Dex' und Craigs Arbeitsplänen genehmigt, sodass sie ihre Zeit nun weitgehend auf die Vorbereitung der Exkursion verwenden konnten; allerdings mussten sie dafür einen großen Teil ihrer regulären Arbeit aufschieben, unter anderem auch die stratigraphischen Untersuchungen, die so wichtig für das Verständnis der Zeiträume waren, in denen die geologischen Kräfte auf dem Mars ihr Werk verrichteten.

Jamie übernahm einen Teil dieser Arbeit, da er Geologe war. Er konnte versuchen, die Bedeutung der verschiedenen Gesteinsschichten zu analysieren und den Zeitpunkt ihrer Ablagerung festzustellen. Aber Dex wusste, dass er das eigentlich selbst machen sollte; er vernachlässigte seine eigene Arbeit — und Jamie ließ es zu. Na klar, dachte er. Wenn jemand sich über die Vernachlässigung der geologischen Arbeit beklagt, kann er mir die Schuld in die Schuhe schieben.

Dex hatte niemandem etwas davon erzählt, dass sein Vater ihm verboten hatte, auf die Exkursion zu gehen. Er hatte die widerwärtige Botschaft seines Vaters sofort gelöscht und sich in den Hauptcomputer der Expedition gehackt, um sich zu vergewissern, dass keine Kopie in den Unterlagen war. Er will nicht, dass ich fahre, knurrte Dex in sich hinein, während er auf das Display des Steuercomputers starrte. Possum Craig war draußen und brachte einen Satz Sensoren an der Trägerrakete an, sodass sie wissenschaftlichen Nutzen aus dem bevorstehenden Flug zur Xanthe-Terra-Region östlich vom Lunae Planum ziehen konnten. Stacy Deschurowa würde den Flug von der Basiskuppel aus steuern. Dex arbeitete mit ihr daran, sämtliche Flugparameter festzulegen.

Er will nicht, dass ich fahre, weil er glaubt, dass ich's vermassle. Er vertraut mir nicht. Ich bin auf dem Mars, verdammt noch mal, und er vertraut mir immer noch nicht! Selbst wenn alles bestens läuft und wir die alten Geräte hierher bringen, ohne dass es Probleme gibt, könnte er dann immer noch behaupten, ich hätte es ja nicht getan, ich hätte nicht den Grips oder den Mumm gehabt, loszufahren und sie zu holen.

Zur Hölle mit dir, Pop! Ich fahre. Und du kannst rein gar nichts dagegen tun. Ich fahre persönlich hin und zeige dir, dass ich's schaffe. Bevor du's erfährst, mein lieber Daddy, bin ich schon unterwegs. Deine Verbote kannst du dir sonst wo hin stecken, du alter Furzer. Du schreibst mir nichts mehr vor. Ganz gleich, was du sagst oder tust, hier draußen mache ich, was ich will.

»Hast du nicht gesagt, du hättest frei?« Vijays Stimme in Jamies Helmlautsprechern klang ein wenig belustigt.

Die beiden gingen zu dem Raketenflugzeug, das Rodriguez in den letzten Wochen zusammengebaut hatte. Wie die ferngesteuerten Schwebegleiter bestand es aus einer hauchdünnen Kunststoffhaut, die sich über einen Cerplast-Rahmen aus Keramik und Kunststoff spannte. Jamie fand, dass es wie ein überdimensionales Modellflugzeug aus einer Art Küchenfolie mit einem merkwürdig gebogenen sechsflügeligen Propeller an der Nase aussah.

Aber es war groß genug, um zwei Personen zu transportieren. Geradezu riesig im Vergleich zu den unbemannten Schwebegleitern. Rodriguez sagte, es sei nur ein Treibstofftank mit Flügeln. Die weit gespannten Tragflächen krümmten sich an den Spitzen nach unten.

Das Cockpit, nicht mehr als eine durchsichtige Blase am vorderen Ende, wirkte winzig. Den an der Nahtstelle von Flügelwurzeln und Rumpf angebrachten Raketentriebwerken traute man gar nicht zu, dass sie das Ding vom Boden hochbrachten, so klein waren sie.

Das Flugzeug sollte seine Raketentriebwerke zum Starten verwenden, aber sobald es eine gewisse Höhe erreicht hatte, würde es mit dem Propeller fliegen. Auf die Oberseiten der Tragflächen aufgesprühte Solarzellen würden den Strom für den Elektromotor liefern. In der Marsatmosphäre gab es zu wenig Sauerstoff für ein Düsentriebwerk; die Raketen waren der Hauptmuskel des Flugzeugs, die Solarzellen seine sekundäre Energiequelle.