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»Das ist doch kein Zuhause, Jamie. Es ist eine sehr fremde Welt, die dich im Bruchteil einer Sekunde töten könnte.«

Er richtete den Blick einen Moment lang auf ihre vom Raumanzug umhüllte Gestalt. »Der Mars ist eine sanfte Welt, Vijay. Er will uns nichts Böses.«

»Warte ab, bis dir die Luft in deinem Anzug ausgeht.«

Er versuchte, die Achseln zu zucken. »Ja, das stimmt natürlich.«

»Jedes Geschöpf will überleben«, sagte sie. »Irgendwann macht sich die Realität bemerkbar. Sie setzt unseren Träumen Grenzen.«

»Mag sein.«

Sie stapften zur schützenden Zuflucht zurück. Jamie sah, wie der runde Buckel der Kuppel bei jedem Schritt ein kleines Stück höher über den Horizont stieg. Er spürte ein gewisses Widerstreben; er wusste, er würde eigentlich lieber über das Dünenfeld gehen, hinaus ins Unbekannte, über das Antlitz dieser roten Welt.

»Du warst mit Joanna Brumado verheiratet, nicht wahr?«

Überrascht von ihrer Frage, antwortete Jamie: »Es hat nicht funktioniert.«

»Gibst du dir die Schuld daran?«, fragte Vijay.

Er blieb stehen, sodass sie ebenfalls stehen bleiben und sich zu ihm umdrehen musste.

»Arbeitest du gerade wieder an meinem psychologischen Profil?«, fragte er kalt.

»Schon möglich.«

»Wenn das so ist: Nein, ich gebe mir nicht die Schuld an der Scheidung. Ich gebe niemandem die Schuld. Es hat einfach nicht geklappt, das ist alles.«

»Ich verstehe.«

»Scheidung in gegenseitigem Einvernehmen. Niemand hat Schuld.«

»Ja.«

Jamie fragte sich, warum er so wütend war. »Ich verstehe nicht, was meine Ehe mit meiner Arbeitsleistung hier zu tun hat. Zum Teufel, die Ehe hat nicht mal drei Jahre gehalten.«

»Tut mir Leid, dass ich gefragt habe«, sagte Vijay. »Ich wusste nicht, dass dich das derart aufwühlen würde.«

»Ich bin nicht aufgewühlt!«

»Nein, das sehe ich.«

TAGEBUCHEINTRAGUNG

Was wirklich schmerzt, ist, dass sie mich nicht respektieren. Sie dulden mich in ihrem Kreis, aber hinter meinem Rücken lachen sie über mich. Ich bin so gut wie jeder von ihnen, aber sie halten mich alle für zweitklassig oder schlimmer. Alle. Ohne Ausnahme.

ABEND: SOL 21

Jamie trank gemächlich eine Tasse dünnen Kaffee. Er war beinahe zufrieden.

»Viertausend Kilometer«, sagte Vijay. »Niemand hat bisher auch nur die Hälfte dieser Distanz geschafft.«

Sie saß als Einzige noch mit Jamie am Tisch in der Messe. Das Abendessen war vorbei, der Tisch abgeräumt, bis auf ihr Geschirr. Rodriguez und Fuchida waren ins Biologielabor abgezogen, während Trumball, Craig und Deschurowa ins Geologielabor gegangen waren. Sie planten zwei Exkursionen: eine fast viertausend Kilometer weite Fahrt zum Ares Vallis und einen Flug zum höchsten Berg im Sonnensystem. Hall hatte die letzte Schicht im Kommunikationszentrum übernommen, bevor sie alle schlafen gingen.

»Ich glaube, der Ausflug zum Olympus Mons wird bei den Medien größere Aufmerksamkeit erregen«, sagte Jamie.

»Dex ist aber so begeistert über die Bergung der alten Pathfinder-Sonde. Glaubst du, die Medien werden auch begeistert sein?«

Er zuckte die Achseln. »Vermutlich, wenn die beiden erst mal dort sind. Aber Dex und Possum werden etliche Wochen durch die Gegend fahren. Ziemlich langweilig.«

»Außer wenn sie in Schwierigkeiten geraten.«

»Ja«, sagte Jamie. »Das stimmt natürlich.«

Er war ein wenig überrascht gewesen, als die technischen Leiter in Tarawa ihre Zustimmung zu der Fernexkursion gegeben hatten. Gott weiß, was für einen Druck Trumball und die anderen Finanziers auf sie ausgeübt haben, dachte Jamie. Muss ziemlich heftig gewesen sein.

»Glaubst du wirklich, dass der Flug zum Vulkan die Aufmerksamkeit die Medien mehr fesseln wird?«, fragte Vijay.

»Es ist nicht ganz das Gleiche wie die Erstbesteigung des Mount Everest«, erwiderte er, »aber es dürfte eine Menge Interesse erregen.«

Sie schien darüber nachzudenken, bevor sie ihm zustimmte. »Wenn das Virtual-Reality-Gerät funktioniert, können Millionen Menschen mit dabei sein.«

Die VR-Ausrüstung machte seit über einer Woche Mucken.

»Ich hätte nicht auf diesen Felsblock klettern sollen«, gab Jamie zu. »Dabei hab ich wohl irgendwas lose gerüttelt.«

»Das ist der Terminus technicus dafür«, sagte Vijay mit einem Grinsen.

Possum Craig hatte sich das VR-Gerät kurz angesehen und keinen erkennbaren Defekt gefunden. Dennoch funktionierte die Ausrüstung jetzt nur noch sporadisch; eine Weile ging alles gut, dann stellte sie unversehens den Betrieb ein.

»Ich wünschte, Possum hätte mehr Zeit«, sagte Jamie. »Tarawa macht mir Druck, weil es nur noch so wenige VR-Übertragungen gibt.«

»Dex sagt, wir verlieren Geld. Er meint, wir verdienen nicht so viel, wie wir könnten, wenn die VR-Sendungen glatt gingen.«

Jamie nickte düster. »Ich habe ein halbes Dutzend Botschaften von Dex' Vater bekommen. Mit dem ist nicht gut Kirschen essen.«

»Dürfte ich mir die wohl mal anschauen?«, fragte sie.

Jamie merkte, wie er die Augenbrauen hochzog. »Trumballs Botschaften an mich?«

»Es könnte mir helfen, Dex zu verstehen«, erklärte sie. »Wenn ich sehe, was für einen Vater er hat.«

Jamie überlegte kurz, dann sagte er: »Okay, komm mit.«

Er stand auf und machte sich auf den Weg zum Kommunikationszentrum. Vijay ging neben ihm her. Als sie sich dem Geologielabor näherten, hörten sie die leidenschaftlichen Stimmen von Dex und Stacy, die hitzig diskutierten. Dann unterbrach Craig die beiden mit seinem ruhigen, näselnden texanischen Akzent. »Ihr beiden kriegt euch völlig umsons' in die Haare. Is doch egal, welche Stelle ihr als Landeplatz für den Treibstoffgenerator aussucht, der wird sowieso nicht genau da landen, darauf könnt ihr eur'n Arsch verwetten.«

Jamie warf einen Blick hinein, als sie an der offenen Labortür vorbeikamen. Dex funkelte Possum an, aber Stacys ausgeprägte, grobe Züge wirkten gleichmütig und emotionslos.

»Er hat Recht, Dex«, sagte die Kosmonautin. »Ich kann den Vogel genau da landen, wo du ihn haben willst, aber ich wette, dass exakt an der Stelle ein Haufen großer, blöder Felsbrocken rumliegt und wir ihn zu einem ebeneren Gebiet umdirigieren müssen.«

»Aber wir haben doch die Satellitenbilder von dem Gelände«, beharrte Dex.

»Ja, mit 'ner Auflösung von einem Meter«, knurrte Craig. »Hast du 'ne Ahnung, was ein metergroßer Stein mit den Landebeinen deiner Treibstoffmühle anstellen kann?«

Vijay lachte leise. »Es ist schwer, mit Possum zu diskutieren. Er macht den Mund erst auf, wenn er die Fakten kennt.«

»Wenn er bloß rausfinden könnte, was mit dem VR-Gerät los ist«, sagte Jamie.

»Wie steht's mit dem Ersatzgerät?«

»Das nimmt Mitsuo mit auf die Exkursion zum Olympus Mons.«

»Oh. Natürlich.«

Sie gingen durch die offene Tür ins Kommunikationszentrum. Obwohl die Trennwände nur zweieinhalb Meter hoch waren, kam der Raum Jamie wärmer vor als jeder andere in der Kuppel. Vielleicht liegt es daran, dass die Geräte permanent laufen und Wärme abgeben, dachte er. Aber das Lebenserhaltungssystem lief auch immer, und in jenem Teil der Kuppel fand er es nicht so warm. Mit einem unmerklichen Achselzucken sagte er sich: Es ist nur Einbildung. Spielt sich alles bloß in deinem Kopf ab.

Trudy saß an der Hauptkonsole und wippte im Rhythmus der urtümlichen Rockmusik aus dem Kopfhörer, den sie aufgesetzt hatte. Jamie hörte den schweren, dumpfen Beat trotz ihres Kopfhörers.

Sie drehte sich um und nahm das Headset ab. Ein Schwall schrillen Lärms ergoss sich ins Kommunikationszentrum; Trudy stellte die Musik rasch aus.