Die Mikrowelle gab einen Glockenton von sich. Dex ignorierte ihn und setzte sich auf seine eigene Liege, gegenüber von Craig. »Dann werd ich die anderen dazu bringen, dich Wiley zu nennen. Oder Peter, wenn dir das lieber ist.«
»Wiley 's okay.«
Ein Lächeln kroch über Trumballs Gesicht. »Gut. Dann also von jetzt an Wiley. Ich sorge schon dafür, dass Jamie und die anderen es mitkriegen.«
Mit verlegener Miene murmelte Craig: »Irgendwie albern, was.«
»Nein, nein«, sagte Dex. »Wenn Jamie und die anderen dir auf die Nerven gehen, hast du jedes Recht, dich darüber zu beschweren.«
Bei sich dachte Trumbalclass="underline" Falls und wenn es so weit kommt, dass ich die Sache mit Jamie austragen muss, brauche ich Wiley an meiner Seite. Wiley und so viele andere, wie ich kriegen kann.
Nach dem Abendessen sprach Jamie fast eine Stunde lang mit Rodriguez und Fuchida auf dem Olympus Mons. Sie verbrachten die Nacht sitzend im Cockpit des Flugzeugs. So als wollte man in einem Passagierflugzeug schlafen, dachte Jamie. In der Touristenklasse. In den Raumanzügen. Er beneidete sie wahrhaftig nicht. Anschließend sah er — immer noch im Kommunikationszentrum — die Nachrichten durch, die sich während des langen, ereignisreichen, kräftezehrenden Tages angesammelt hatten. Dafür brauchte er mehr als eine weitere Stunde: alles von einer Bitte des Internationalen Rats der naturwissenschaftlichen Lehrkräfte um mehr VR-Sendungen bis zu einer Erinnerung, dass sein wöchentlicher aktueller Lagebericht morgen früh fällig war.
Eine Nachricht kam von Darryl C. Trumball. Da sie mit PERSÖNLICH UND VERTRAULICH gekennzeichnet war, speicherte Jamie sie ab, weil er sie sich eigentlich in seiner Kabine ansehen wollte. Doch als er alle anderen Nachrichten durchgearbeitet hatte, blickte er vom Bildschirm auf und sah, dass die Kuppel bereits für die Nacht abgedunkelt worden war. Er fröstelte auf einmal, als würde die Kälte der Marsnacht durch die Kunststoffwände der Kuppel einsickern. Offenbar war niemand mehr wach. Keine Stimmen, nur die Hintergrundgeräusche der Geräte und, wenn er konzentriert genug lauschte, das leise Seufzen des Nachtwinds draußen.
Also öffnete er Trumballs persönliche Nachricht.
Darryl C. Trumballs Augen loderten. Sein totenschädelartiges Gesicht sah so grimmig aus wie der Tod.
»Wer, zum Teufel, hat Ihnen erlaubt, meinen Sohn auf diese Exkursion zur Sagan-Station zu schicken?«, begann er wütend, ohne Einleitung.
»In Dreiteufelsnamen, Waterman, ich hatte ausdrückliche Anweisung gegeben, dass Dex nicht auf diese Exkursion gehen darf!«
Und so ging es weiter, fast fünfzehn mörderische Minuten lang. Jamie betrachtete Trumballs zorniges Gesicht, zuerst sprachlos, dann zunehmend wütend.
Doch während der ältere Mann weiterschimpfte, verflog Jamies Wut langsam. Hinter Trumballs Tirade erblickte er einen Mann, der sich Sorgen um die Sicherheit seines Sohnes machte, einen an Macht und Autorität gewöhnten Mann, der nun jedoch völlig frustriert war, weil es keine Möglichkeit gab, die Männer und Frauen auf dem Mars zu kontrollieren. Keine Möglichkeit, seinen eigenen Sohn zu kontrollieren.
Er kann nicht mal von Angesicht zu Angesicht mit uns sprechen, dachte Jamie. Er kann nur toben und schimpfen und abwarten, ob wir darauf reagieren.
Schließlich ging Trumball langsam die Luft aus, und er schloss mit: »Merken Sie sich eins, Waterman: Sie können nicht einfach ungestraft gegen meine Anweisungen handeln. Dafür werden Sie bezahlen! Und wenn meinem Sohn etwas zustößt, werden Sie mit Ihrem gottverdammten Blut bezahlen!«
Der Bildschirm wurde dunkel. Jamie ließ die ganze Botschaft noch einmal von vorn ablaufen und fror Trumballs zorniges Gesicht mit den gefletschten Zähnen dann am Schluss ein. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und fragte sich, ob er hart oder konziliant sein sollte. Eine linde Antwort stillt den Zorn, dachte er, aber Trumball wird sich nicht so leicht beschwichtigen lassen. Hier geht es nicht nur um einen Zank zwischen Trumball und mir, sagte er sich. Dieser alte Mann ist der Motor der Finanzierungskampagne für diese Expedition — und für die nächste. Wenn du der nächsten Expedition den Weg ebnen willst, sagte sich Jamie, musst du dafür sorgen, dass Trumball im Team bleibt.
Doch als er das kalte, wütende Gesicht auf dem Monitor ansah, begann es erneut in Jamie zu gären. Trumball hat kein Recht, mich oder sonst jemanden derart anzupfeifen. Wenn er wütend auf seinen Sohn ist, sollte er es an Dex auslassen, nicht an mir. Und wenn ich ihm den Eindruck vermittle, dass er mich rumschubsen kann, wird er weitere Forderungen stellen. Er ist ein Tyrann; je mehr ich ihm nachgebe, desto mehr wird er verlangen.
Was ist der beste Weg, Großvater? Wie kann ich die Sache regeln, ohne noch mehr Schmerz zu verursachen?
Er atmete tief durch und aktivierte dann mit einem Tastendruck die winzige Kamera des Computers. Jamie sah, wie ihr rotes Auge aufleuchtete, direkt über Trumballs Standbild auf dem Monitor.
»Mr. Trumball«, begann er langsam, »ich kann Ihre Sorge um die Sicherheit Ihres Sohnes verstehen. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie eine Nachricht geschickt hatten, der zufolge Dex nicht an der Exkursion zur Bergung der Pathfinder-Handware teilnehmen sollte. Eine solche Nachricht ist nicht an mich adressiert worden. Und bei allem gebührenden Respekt, Sir, nicht Sie haben das Kommando über diese Expedition, sondern ich. Sie sind nicht berechtigt, irgendjemandem Anweisungen zu erteilen.«
Jamie schaute direkt in die Kamera und fuhr fort: »Weder Dex noch sonst jemand hier wird irgendwelche Sonderprivilegien erhalten. Es war seine Idee, den Pathfinder zu bergen, und er wollte zweifelsohne auf diese Exkursion gehen. Selbst wenn mir Ihre Wünsche bekannt gewesen wären, hätte ich sie Ihnen abschlagen müssen, fürchte ich. Das ist Dex' Job, und ich bin sicher, er wird ihn erledigen, ohne dass es Probleme gibt.
Er hat unseren besten Mann bei sich: Dr. Craig. Falls sie in Schwierigkeiten geraten, werden sie zur Basis zurückkehren. Ich hatte … ich habe nicht die Absicht, das Leben meiner Leute durch törichte Aktionen aufs Spiel zu setzen.«
Jamie beugte sich unbewusst näher zur Kamera und schloss: »Ich weiß, dass Sie geholfen haben, den größten Teil des Geldes für diese Expedition aufzubringen, und wir sind alle sehr dankbar dafür, aber das gibt Ihnen nicht die Befugnis, Entscheidungen über unsere Arbeit hier zu treffen. Sie können zum IUK gehen und sich dort beschweren, wenn Sie wollen. Aber offen gesagt, ich wüsste auch nicht, was man dort für Sie tun könnte. Wir sind hier, über hundert Millionen Kilometer von der Erde entfernt, und wir müssen unsere eigenen Entscheidungen treffen.
Tut mir Leid, dass diese eine Entscheidung Sie derart aufgeregt und beunruhigt hat. Vielleicht werden Sie anders empfinden, wenn Dex mit dem Pathfinder und dem Sojourner zurückkommt. Gute Nacht.«
Er tippte zweimal auf die Tastatur: einmal, um die Kamera abzuschalten, das zweite Mal, um die Nachricht an Trumball abzusenden. Erst dann löschte er das Bild des alten Mannes vom Monitor.
»Ich hätte ihm gesagt, er soll es sich in den Arsch stecken.«
Jamie fuhr herum und sah Vijay im Eingang an der Trennwand lehnen. Sie hielt einen dampfenden Becher in beiden Händen, als wollte sie sich daran wärmen.
»Wie lange bist du schon hier?«
Sie kam herein und setzte sich neben ihn. »Ich hab mir gerade was zu trinken geholt, als ich Dex' Dad schimpfen hörte.«
Sie trug ihren unförmigen, korallenroten Rollkragenpullover und weite Jeans statt des üblichen Overalls, und sie saß so nahe bei ihm, dass Jamie den zarten Duft des Kräutertees roch, den sie trank, und seine Wärme spürte.
»Der alte Mann muss Dex verboten haben, auf diese Exkursion zu gehen«, erklärte er, »aber Dex hat mir nichts davon gesagt.«
Vijay trank einen Schluck aus dem dampfenden Becher. »Hätte er das tun sollen?«