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»Es wäre ganz hilfreich gewesen.«

»Vielleicht hatte er Angst, du würdest die Exkursion absetzen, wenn du's wüsstest.«

Jamie schüttelte den Kopf. »Das könnte ich nicht. Wenn jemand wie Trumball erst mal glaubt, er könnte einen rumkommandieren, dann wird man ihn nie wieder los.«

Ein knappes, zustimmendes Nicken. »Da ist was dran.«

»Ich hoffe nur, dass nichts passiert, während Dex dort draußen ist«, sagte Jamie.

»Hast du das nicht sowieso gehofft? Schon vor Trumballs Anpfiff, meine ich.«

»Ja sicher, aber … du weißt, was ich meine.«

»Ja, ich glaub schon.«

»Du hast mit ihm geschlafen, stimmt's?«, entfuhr es Jamie.

»Mit Dex?«

»Während des Fluges.« Jamie war schockiert, dass er das Thema ansprach. Die Worte waren herausgekommen, bevor ihm klar wurde, was er sagen würde.

Vijay nickte. Ihre Miene war unergründlich. »Ja. Einmal.«

»Einmal«, wiederholte er.

Mit einem seltsamen kleinen Lächeln sagte Vijay: »Man erfährt eine Menge über einen Mann, wenn er die Hosen runtergelassen hat.«

Jamie wusste nicht, was er darauf erwidern sollte.

»Ich hab dir gesagt, er ist ein Alpha-Männchen«, fuhr sie fort. »Genau wie du.«

Er nickte bedrückt.

»Ich fühle mich zu Alpha-Männchen hingezogen.«

»Du fühlst dich also zu ihm hingezogen.«

»Damals, ja. Jetzt fühle ich mich zu dir hingezogen.«

»Zu mir?«

Sie lächelte. »Siehst du sonst noch jemanden hier?«

Jamie war durcheinander. Sie macht sich über mich lustig. Sie macht sich bestimmt über mich lustig.

Vijay stellte ihren Becher auf den Rand der Konsole. »Du fühlst dich doch auch zu mir hingezogen, nicht?«

»Äh … sicher.«

Sie stand auf und streckte ihm die Hand entgegen. »Bleibt also nur noch eine Frage: zu mir oder zu dir?«

Jamie erhob sich langsam. Er war nicht sicher, ob seine Beine ihn tragen würden. »So einfach ist das nicht, Vijay. Das hast du selbst gesagt.«

»Das war damals. Jetzt ist jetzt.«

»Aber …«

Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Mein Gott, Jamie, du bist ja genauso schlimm wie die meisten Aussie-Kerle!«

»Ich wollte nicht …«

Sie trat zu ihm und legte ihm die Arme um den Hals. »Fühlst du dich nie einsam?«, sagte sie leise. »Hast du nie Angst? Wir sind so allein hier. So weit weg von zu Hause. Macht dir das nie zu schaffen?«

Jetzt war ihr Ton nicht mehr neckisch. Er hielt sie fest und spürte, wie sie zitterte. Unter all dem flapsigen Gerede zitterte sie vor Angst.

»Ich will heute Nacht nicht allein sein, Jamie.«

»Ich auch nicht«, gestand er. »Ich auch nicht.«

DOSSIER: VARUNA JARITA SHEKTAR

Es war schon schlimm genug, eine weitere Tochter in einer Familie mit vier Mädchen und einem Jungen zu sein. Dass sie intelligent und attraktiv war, machte die Sache nur noch schlimmer. Dass sie als dunkelhäutige Hindu-Frau in Melbourne unter blonden Aussies aufwuchs, die gegenüber Frauen entweder kein Wort herausbrachten oder den aggressiven Macho mimten, half auch nicht gerade.

In der Grundschule riefen die Lehrer sie bei dem Namen, der in der Schulakte stand: V.J. Shektar. Die anderen Kinder tauften sie sofort Vijay, und sie nahm den Namen beglückt an, weil sie sich damit wohler fühlte als mit Varuna Jarita, den Namen, die ihre Eltern ihr gegeben hatten.

Ihre Mutter hatte sie als Baby der mächtigen Göttin Sakti geweiht, deren Name ›Energie‹ bedeutet. In dem weit gespannten Hindu-Pantheon verkörpert Sakti jungfräuliche Unschuld und blutrünstige Zerstörung: eine ewige Jungfrau, aber auch die Göttin der verbotenen Freuden.

Ihr Vater ignorierte sie meistens, außer wenn er sich den Kopf darüber zerbrach, woher er angesichts seines kargen Gehalts als beeidigter Wirtschaftsprüfer bei einem kleinen Rechnungsführer, dessen Klientel fast ausschließlich aus lokalen indischen Firmen bestand, das Geld für eine weitere Mitgift nehmen sollte.

Als jüngste Tochter der Familie hatte sie Mut und Energie in die Wiege gelegt bekommen. Ihre Mutter versuchte, Vijay mädchenhafte Tugenden beizubringen, während ihre älteren Schwestern anfingen, sich mit Jungen zu treffen, und dann eine nach der anderen von der höheren Schule abgingen, um zu heiraten und selbst Babies zu kriegen. Ihr Bruder ging ans College, der Stolz seines Vaters.

Vijay weigerte sich, die Schule zu verlassen und sich einen Mann zu suchen. Als ihr Vater drohte, ihr Gehorsam einzubläuen, zog sie zu Hause aus und lebte auf sich allein gestellt mit mehreren Freunden und Freundinnen zusammen. Nachts arbeitete sie in Restaurants, Videoläden und überall, wo man eine ernsthafte, ehrliche High-School-Absolventin im letzten Schuljahr einstellte, die nicht die Absicht hatte, sich von einem Mann verführen zu lassen.

Anschließend ging sie mit einem Stipendium aus dem australischen Ausbildungsförderungsprogramm an die Melbourne University und versprach, dem Staat den größten Teil davon zurückzuzahlen, sobald sie ihren Abschluss in der Tasche hatte und ihr eigenes Geld verdiente. Während sie ihren Lebensunterhalt immer noch aus eigener Kraft bestritt, qualifizierte sie sich mit Leichtigkeit für ein Medizinstipendium. Ihre Mutter gab alle Hoffnung auf, dass sie jemals heiraten und eine anständige Familie gründen würde. Ihr Vater erlag in ihrem letzten Jahr an der Universität einem Krebsleiden und gab erst auf dem Totenbett zu, dass er stolz darauf war, was sie erreicht hatte.

Zu der Zeit, als Vijay ihr Praktikum im Universitätskrankenhaus ableistete, hatte sie gelernt, dass Sex nicht nur Spaß machte, sondern auch als Machtmittel eingesetzt werden konnte. Für gewöhnlich wählte sie den Spaß, obgleich sie es auch ziemlich oft genoss, von der Macht Gebrauch zu machen, die der Sex ihr verlieh. Während die meisten ihrer Freundinnen sich beklagten, die australischen Männer seien ›entweder Flegel oder Trottel‹, stellte Vijay fest, dass es in ihrer Welt eine Menge intelligenter und nachdenklicher Männer gab. Die meisten waren anfangs schüchtern, aber das machte sie nur umso anziehender, soweit es sie betraf. Für Vijay war Sex eine Art des Lernens statt eine alles verzehrende Leidenschaft. Sie genoss die Macht, die er ihr verlieh, und sie bewahrte sich die Freiheit, sich auszusuchen, wen, wann und was sie wollte. Natürlich wurde sie verletzt; mehr als einmal. Doch als sie in dem heruntergekommenen Krankenhaus des St.-Kilda-Viertels, wo sie aufgewachsen war, als Notärztin zu arbeiten begann, hielt sie sich für eine erfahrene, weltläufige Frau.

Unglücklicherweise verliebte sie sich bis über beide Ohren in einen älteren Mann, einen verheirateten Arzt. Vijay stellte fest, dass selbst eine weltläufige Frau auf einen kultivierten, wohlhabenden Schuft hereinfallen kann, der überzeugend zu lügen vermag. Als sie der Wahrheit schließlich ins Auge blickte, wusste sie, dass sie von diesem Mann weg musste, weg aus Melbourne und aus Australien überhaupt. Und sie wusste, dass sie sich nie wieder so von der Liebe überwältigen lassen würde.

Ihre Reise nach Kalifornien war zunächst ein Urlaub, eine Zeit, um ihre seelischen Wunden verheilen zu lassen und frische Luft zu schöpfen. Sie blieb fünf Jahre und schlug eine neue Laufbahn in der Raumfahrtmedizin ein. Anfangs bei der amerikanischen NASA, später dann bei der Masterson Aerospace Corporation wurde Vijay Spezialistin für die Auswirkungen geringer Schwerkraft auf den menschlichen Körper und Geist.

Sie verbrachte dreimal neunzig Tage auf Raumstationen und erwog gerade, sich für ein Jahr auf die Mondbasis zu verpflichten, als sie von der zweiten Marsexpedition hörte.

Vijay Shektar bekam den Posten der Expeditionsärztin und — psychologin. Leicht war das nicht. Sie musste ihr Können in der Chirurgie, der Strahlenmedizin und sogar der Notfall-Zahnmedizin unter Beweis stellen. Das Auswahlverfahren war ungemein anspruchsvoll. Aber sie gewann. Obwohl sie sich schwor, dass sie mit keinem der Entscheidungsträger schlafen würde, bekam sie den Posten.