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Vijay hatte nämlich gelernt, wie sie ihre Wünsche realisieren konnte. Und sie wusste, wenn sie hart genug arbeitete, all ihre Kraft und ihre Fähigkeiten einsetzte, bekam sie für gewöhnlich, was sie wollte. Das Kunststück war, zu wissen, was sie wollte. Das war das Schwierige.

Sie dachte oft an ihre Schutzgöttin. Liebe und Zerstörung, die beiden untrennbaren Attribute von Sakti. Sie glaubte nicht an die alte Religion, aber sie war sicher, dass der Liebe eine schreckliche Zerstörungskraft innewohnte, eine Macht, von der sie sich unter gar keinen Umständen noch einmal verletzen lassen wollte.

MORGEN: SOL 49

Gleich nach dem Astronauten kletterte Mitsuo Fuchida steif die Leiter vom Cockpit des Flugzeugs hinunter und setzte den Fuß auf den Gipfel des höchsten Berges im Sonnensystem.

Im blassen Licht der aufgehenden Sonne sah dieser Gipfel für ihn gar nicht wie einer aus. Er war in Japan und Kanada viel geklettert, und dies hier hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den zerklüfteten, schneebedeckten Granitbrocken, auf denen der Wind wie ein geworfenes Messer pfiff und die Wolken unter einem vorbeizogen.

Er schien sich auf nichts Dramatischerem als einer ausgedehnten, ziemlich flachen Ebene aus nacktem Basalt zu befinden. Da und dort lagen ein paar Kieselsteine und größere Felsbrocken herum, aber es waren weit weniger als bei der Basiskuppel. Von den Kratern, die sie aus der Luft erblickt hatten, war keine Spur zu entdecken; zumindest sah er nichts, was einem Krater ähnelte. Doch als er den Blick hob, erkannte er, wie hoch oben sie waren. Der Himmel hatte nicht seine übliche Karamellfarbe, sondern er war tiefblau; die Staubpartikel, die den Marshimmel röteten, waren tief unter ihnen. Auf der Erde wären sie in dieser Höhe bereits in den oberen Bereichen der Stratosphäre gewesen.

Fuchida fragte sich, ob er durch seine Sichtscheibe irgendwelche Sterne sehen, vielleicht sogar die Erde entdecken konnte. Er drehte sich um und versuchte, sich an der aufgehenden Sonne zu orientieren.

»Vorsicht«, warnte ihn Rodriguez' Stimme in seinen Helmlautsprechern. »Es ist …«

Fuchidas Stiefel rutschte unter ihm weg, und er fiel schmerzhaft auf den Hintern.

»… glatt«, schloss Rodriguez lahm.

Der Astronaut schlurfte vorsichtig zu Fuchida, mit den Bewegungen eines Mannes, der in Straßenschuhen eine Eisbahn überquert. Er streckte eine Hand aus, um dem Biologen aufzuhelfen.

Fuchida, dem ohnehin alles wehtat und der noch völlig steif war von der im Sitzen verbrachten Nacht im Cockpit, verspürte nun auch noch einen pochenden Schmerz am Hintern. Ich werde da einen hässlichen blauen Fleck bekommen, sagte er sich. Was für ein Glück, dass ich nicht auf dem Tornister gelandet bin und mir das Lebenserhaltungssystem kaputtgemacht habe.

»Fühlt sich an wie Eis unter den Füßen«, sagte Rodriguez.

»Unmöglich. Wir sind zu hoch oben, als dass sich Wassereis bilden könnte …«

»Trockeneis vielleicht?«

»Ah.« Fuchida nickte in seinem Helm. »Trockeneis. Kohlendioxid aus der Atmosphäre schlägt sich am kalten Gestein nieder.«

»Ja.«

»Aber Trockeneis ist nicht glatt …«

»Dieses Zeug hier schon.«

Fuchida überlegte rasch. »Vielleicht bewirkt der Druck unserer Stiefel auf dem Trockeneis, dass eine dünne Schicht verdunstet …«

»… und wir eine Schicht Kohlendioxidgas unter den Stiefeln haben.« Rodriguez erfasste die Situation sofort.

»Genau. Wir schlittern auf einem Gasfilm dahin, wie gasgeschmierte Kugellager.«

»Dann werden wir aber verdammte Schwierigkeiten haben, hier herumzulaufen.«

Fuchida wollte sich den Hintern reiben, obwohl er wusste, dass es in dem Raumanzug unmöglich war. »Die Sonne wird das Eis wegbrennen.«

»Glaub nicht, dass es hier oben warm genug wird, damit es verdunstet.«

»Es sublimiert bei achtundsiebzig Komma fünf Grad Celsius unter Null«, sagte Fuchida.

»Bei normalem Druck«, betonte Rodriguez.

Furchida warf einen Blick auf das Thermometer an seiner rechten Manschette. »Wir haben jetzt schon zweiundvierzig Grad minus«, sagte er, und zum ersten Mal hob sich seine Laune. »Außerdem, je niedriger der Druck, desto niedriger der Siedepunkt.«

»Ja. Das stimmt.«

»Diese Stelle ist offenbar von der Tragfläche des Flugzeugs beschattet worden«, meinte Fuchida. »Ansonsten scheint der Boden eisfrei zu sein.«

»Dann wollen wir mal an den Strand und uns bräunen«, sagte Rodriguez humorlos.

»Nein, wir gehen zur Caldera, wie geplant.«

»Glaubst du wirklich, wir können gefahrlos herumlaufen?«

Fuchida nickte in seinem Helm und machte einen zögernden Schritt. Der Boden fühlte sich glatt an, aber nicht glitschig. Noch ein Schritt, und noch einer.

»Vielleicht hätten wir Fußballstollen mitbringen sollen.«

»Nicht nötig. Der Boden ist jetzt in Ordnung.«

Rodriguez grunzte. »Sei trotzdem vorsichtig.«

»Aber ja.«

Während Rodriguez über Anzugfunk seinen morgendlichen Bericht durchgab, der von dem stärkeren Sender im Flugzeug weitergeleitet wurde, entriegelte Fuchida die Luke der Ladebucht und ließ ihren Ausrüstungsschlitten zu Boden gleiten. Wieder staunte er darüber, dass dieses Flugzeug aus Kunststoff und anderem hauchdünnem Material sie und ihre Ausrüstung tragen konnte. Es schien völlig unmöglich zu sein, dennoch war es so.

»Bist du so weit?«, fragte er Rodriguez. Er konnte es kaum erwarten, endlich loszuziehen.

»Jawohl. Ich will nur eben noch den Kreiselkompass checken …«

Fuchida wartete nicht ab, bis der Astronaut mit seinem Check fertig war. Er kannte die Richtung zur Caldera, als wären ihre Koordinaten in sein Herz eingeprägt.

Beim Aufwachen stellte Jamie fest, dass er allein war. Seine Augen fühlten sich verklebt an, und er wünschte sich sehnlichst, noch ein oder zwei Stunden schlafen zu können. Doch das rote Digitaldisplay der Uhr zeigte 06.58 an, und sieben Uhr war der offizielle Beginn des Arbeitstages.

Er setzte sich auf und lächelte. Die Liege roch nach Sex. Es war großartig gewesen: zuerst hastig, gierig und fordernd, dann träger, sanfter, liebevoller. Zwischen den Aufwallungen der Leidenschaft hatten sie miteinander geredet, miteinander geflüstert. Jamie erfuhr ein wenig über die Dinge, mit denen eine dunkelhäutige Frau in einer männlich geprägten Welt fertig werden musste: in der Familie, der Schule, ja sogar in ihrem Beruf — Vijay hatte es nicht leicht gehabt. Ihre Attraktivität hatte ihr ebenso viel geschadet wie genützt.

Er blinzelte, rieb sich die Augen und versuchte, sich zu entsinnen, wie viel er ihr von sich erzählt hatte. Er erinnerte sich, dass er von Al und dem verborgenen Zug von Navajo-Mystizismus gesprochen hatte, der bei seinem Großvater hin und wieder durchgebrochen war. Er hatte ihr von den Himmelstänzern erzählt und versprochen, sie ihr heute Nacht zu zeigen.

Heute Nacht. Jamies Lächeln verblasste zu besorgter Unsicherheit. War die letzte Nacht eine einmalige Sache, oder ist es der Anfang von etwas Ernstem? Er wusste es nicht. Seine letzte Beziehung mit einer Frau hatte auf dem Mars begonnen und mit der Scheidung geendet.

Mit einem bekümmerten Seufzen stand er auf und blickte dem Tag ins Auge.

Blasses Morgenlicht fiel schräg durch die gekrümmte Windschutzscheibe des Rovers, während Dex stetig über die wellige, mit Steinen übersäte Ebene fuhr. Jeder Kiesel, jede Rinne warf lange Morgenschatten. Das Sonnenlicht sieht hier anders aus, dachte Dex. Schwächer, rosafarbener … irgendwas.

Er und Craig waren seit ungefähr einer Stunde unterwegs, als Dex plötzlich ein rotes Licht an der Kontrolltafel aufleuchten sah.