»Ach, komm schon, Vijay …«
Sie lachte fröhlich. »Schon besser. Mann, warst du vorhin verkrampft!«
»Wissen sie Bescheid?«
»Ich hab nichts gesagt, aber so wie du dich benommen hast, müssen sie's erraten haben.«
»Verdammt.«
»Kein Grund, sich zu schämen.«
»Ich weiß, aber …«
»Es ist nun mal passiert, Jamie. Jetzt vergiss es. Mach einfach so weiter wie bisher. Du brauchst dich zu nichts verpflichtet zu fühlen. Daran liegt mir nichts.«
Er war erleichtert und enttäuscht zugleich. »Vijay, ich … sieh mal, das kompliziert irgendwie alles.«
Sie schüttelte den Kopf. »Keine Sorge, Kamerad. Keine Komplikationen. Es ist passiert, und es war sehr nett. Vielleicht wird's wieder passieren, wenn der Mond richtig steht. Vielleicht auch nicht. Denk nicht weiter drüber nach.«
»Wie, zum Teufel, soll ich das anstellen, nicht weiter darüber nachzudenken?«
Ihr Lächeln kehrte zurück. »Das wollte ich von dir hören, Jamie. Das ist alles, was ich hören wollte.«
NACHMITTAG: SOL 49
Rodriguez fühlte, wie ihn ein eisiger, beklemmender Schauer überlief, als er in die Caldera starrte. Es war, als stünde man am Rand eines riesigen Lochs in der Welt, eines Lochs, das bis in die Hölle hinunterführte.
»Nietzsche hatte Recht«, sagte Fuchida. In Rodriguez' Helmlautsprechern klang seine Stimme ehrfürchtig, fast ängstlich.
Rodriguez musste den gesamten Oberkörper drehen, um den japanischen Biologen anzusehen, der neben ihm stand. In seinem klobigen Raumanzug war er nur an den blauen Streifen an den Armen zu erkennen.
»Du meinst das mit dem Abgrund, in den man schaut, und der dann irgendwann in einen zurückschaut.«
»Hast du Nietzsche gelesen?«
Rodriguez grunzte. »Auf Spanisch.«
»Das muss interessant gewesen sein. Ich habe ihn auf Japanisch gelesen.«
Mit einem leisen Glucksen sagte Rodriguez: »Deutsch kann also offenbar keiner von uns beiden, hm?«
Es war eine so gute Art wie jede andere, die Spannung zu lösen. Die Caldera war riesig, eine Mammutgrube, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte. An ihrem Rand zu stehen und in die dunklen, schattigen Tiefen zu schauen, die wer weiß wie weit hinabreichten, war ausgesprochen verstörend.
»Das ist 'n höllisches Loch«, murmelte Rodriguez.
»Es könnte den kompletten Mount Everest schlucken«, sagte Fuchida. Seine Stimme klang ein wenig dumpf vor Ehrfurcht.
»Wie lange ist dieses Biest schon tot?«
»Mindestens zehn oder zwanzig Millionen Jahre. Vielleicht auch viel länger. Das ist eins der Dinge, die wir hier herausfinden wollen.«
»Was meinst du, ist demnächst 'n neuer Ausbruch fällig?«
Fuchida lachte zittrig. »Wir würden ausreichend vorgewarnt werden, keine Angst.«
»Was, ich und Angst?«
Sie begannen, die Ausrüstung abzuladen, die sie auf dem Schlitten mitgeschleppt hatten. Die beiden Kufen waren mit kleinen, teflonbeschichteten Rädern bestückt, sodass die Muskelkraft der beiden Männer ausreichte, um ihn auch über unebenen Boden zu ziehen. Ein großer Teil der Ausrüstung war Bergsteigermateriaclass="underline" Klemmkeile, Haken und lange Rollen Buckyball-Seil.
»Willst du wirklich da runter?«, fragte Rodriguez, während er Löcher in den harten Basalt bohrte, damit Fuchida Geo/Met-Baken aufstellen konnte.
»Ich habe viel Zeit mit der Erforschung von Höhlen verbracht«, antwortete Fuchida, der eine der Baken in seiner beschuhten Hand hielt. »Ich habe mich lange darauf vorbereitet.«
»Dann bist du also fest entschlossen, da runter zu gehen, hm?«
Fuchida merkte, dass er eigentlich nicht gehen wollte. Jedes Mal, wenn er auf der Erde eine Höhle betrat, hatte er eine irrationale Furcht verspürt, aber er hatte sich gezwungen, die Kavernen zu erforschen, weil er wusste, dass es ein wichtiger Punkt war, der im Wettbewerb um einen Platz bei der Marsexpedition zu seinen Gunsten sprechen würde.
»Ja, ich bin fest entschlossen«, antwortete der Biologe und rammte ächzend die erste Bake in ihr Loch.
»Ist ein schmutziger Job«, scherzte Rodriguez über das Elektromotorgeheul des Bohrers hinweg, »aber irgendjemand muss es ja machen.«
»Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss«, gab Fuchida mit derselben gespielten Tapferkeit wie sein Teamkamerad zurück.
Rodriguez lachte. »Das ist nicht von Nietzsche.«
»Nein. Von John Wayne.«
Sie stellten die restlichen Baken auf und gingen zum Rand der Caldera zurück. Langsam. Widerwillig, dachte Rodriguez. Na ja, sagte er sich, selbst wenn wir uns beim Rumstöbern da unten das Kreuz brechen, haben wir zumindest die Baken fertig.
Fuchida blieb stehen, um die Messdaten der Baken zu überprüfen.
»Sender alle okay?«, fragte Rodriguez.
»Ja«, kam die Antwort in seinen Helmlautsprechern. »Interessant …«
»Was?«
»Der Wärmestrom aus dem Boden ist hier viel stärker als bei der Kuppel oder sogar unten im Canyon.«
Rodriguez fühlte, wie seine Augenbrauen nach oben krochen. »Du meinst, er ist noch aktiv?«
»Nein, nein, nein. Unmöglich. Aber da unten gibt es immer noch eine gewisse Menge thermischer Energie.«
»Wir hätten also Grillwürstchen mitbringen sollen.«
»Vielleicht. Oder vielleicht ist da unten etwas, das nur darauf wartet, uns zu verspeisen.« Die Stimme des Biologen klang aufgeregt.
»Was soll das heißen?«
»Wärmeenergie! Energie für Leben, vielleicht.«
Rodriguez sah blitzartig ein Bild aus schlechten Filmen vor sich: schleimige Alien-Monster mit Tentakeln und hervorquellenden Augen. Er zwang sich, nicht laut zu lachen. Keine Sorge, die sind nur scharf auf Blondinen mit dicken Titten.
Fuchida rief: »Hilf mir, die Seile zu befestigen, und vergewissere dich, dass die Anker fest eingebettet sind!«
Kein Widerwille mehr, dachte Rodriguez. Er kann es kaum erwarten, in dieses riesige Loch runterzusteigen und nachzusehen, was für außerirdische Kreaturen er dort finden kann.
»Wasserstoff is das sturste Zeug im Universum, verdammich noch eins«, brummte Craig am Steuer des Rovers. Das rote Warnlämpchen an der Kontrolltafel leuchtete immer noch.
Dex, der neben ihm saß, sagte: »Aber Gott muss Wasserstoff geliebt haben …«
»… weil er so viel davon gemacht hat«, beendete Craig den Satz für ihn. »Ja, ich weiß.«
»Neunzig Prozent des Universums bestehen aus Wasserstoff, Wiley. Oder noch mehr.«
»Deshalb is das Universum ja auch so verdammt eigensinnig.«
»Was hast du denn gegen Wasserstoff — mal abgesehen davon, dass er aus den Brennstoffzellen entweicht?«
»Entweicht aus allem, das Zeug is 'n echter Schleicher, sickert durch Verschlüsse und Dichtungen, durch die nichts andres durchkommt.«
»Die Dichtungen dieser Brennstoffzellen sollten keinen Wasserstoff durchlassen«, sagte Trumball in ernsterem Ton. »Der Hersteller wird eine Geldstrafe zahlen müssen, weil er die Dichtungen nicht wasserstofffest gemacht hat.«
»Wird uns höllisch viel nützen, wenn wir hier draußen krepieren.«
»He, Kopf hoch, Wiley! So schlimm ist es nicht. Wir kommen schon klar.«
»Gefällt mir nich, dass wir mit 'ner toten Reservestromversorgung immer weiter von der Basis wegfahren.«
»Wenn wir beim Treibstoffgenerator sind, können wir Wasserstoff nachfüllen«, sagte Trumball.
»Mh-mh. Der Generator erzeugt Methan und Sauerstoff. Keinen Wasserstoff.«
»Der Wasseraufbereiter ist auch mit dabei, erinnerst du dich?«
»Ja.«
»Also«, Trumball wedelte mit der Hand, »nehmen wir zusätzliches Wasser an Bord und zerlegen es elektrolytisch in Sauerstoff und Wasserstoff. Voilà!«