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Ich bin ein toter Mann.

Kalte Panik traf ihn wie ein Schlag aufs Herz. Deshalb hörst du die Luftzirkulationsventilatoren nicht mehr! Die Anzugbatterie muss beim Aufprall an die Wand beschädigt worden sein.

Das Herz schlug Fuchida dröhnend laut in den Ohren. Beruhige dich, befahl er sich. So schlimm ist es nicht. Die Luft im Anzug reicht noch für mindestens eine Stunde. Und der Anzug ist sehr gut isoliert; erfrieren wirst du nicht — zumindest nicht in den nächsten Stunden. Du kommst auch ohne kühlendes Gebläse aus. Für eine Weile.

Erst als er aufzustehen versuchte, bekam er es wirklich mit der Angst. Schmerz loderte in seinem rechten Knöchel auf. Er ist gebrochen oder böse verstaucht, dachte Fuchida. Ich kann nicht darauf stehen. Ich komme hier nicht heraus!

Dann wurde ihm die Ironie der Situation klar. Ich könnte der erste Mensch sein, der auf dem Mars an einem Hitzschlag stirbt.

Das Problem ist, dachte Rodriguez, dass wir nur ein Klettergeschirr mitgebracht haben, und das trägt Mitsuo. Bis ich zum Flugzeug zurückgegangen bin, das andere Geschirr geholt habe, wieder hier bin und es angelegt habe, könnte er tot sein. Ich muss da runter, und zwar ohne Seil, ohne auch nur eins der Kletterwerkzeuge, die er bei sich hat.

Scheiße! Rodriguez schüttelte den Kopf. Ich kann ihn nicht da unten lassen. Es wird schon dunkel, und die Nacht überlebt er nicht.

Andererseits stehen die Chancen verdammt gut, dass wir beide da unten sterben.

Scheiße hoch zwei.

Eine Zeit lang starrte er sinnlos in die dunklen Tiefen der Caldera hinunter, die jetzt, wo die Sonne näher an den fernen Horizont herankroch, vollständig im Schatten lag.

Zeig keine Furcht, wiederholte Rodriguez bei sich. Nicht einmal dir selbst gegenüber. Er nickte in seinem Helm.

Ja, leicht gesagt. Jetzt musst du nur noch die Schlangen in deinem Bauch davon überzeugen, dass du dich wirklich nicht fürchtest. Trotzdem machte er sich auf den Weg nach unten. Langsam und bedächtig stieg er in die Tiefe und hielt sich dabei Hand über Hand am Seil fest.

Kaum hatte er den Rand der Caldera ein paar Schritte hinter sich gelassen, wurde es auch schon vollständig dunkel. Das einzige Licht stammte von seiner Helmlampe, und das dunkle Gestein überall um ihn herum schien es gierig zu schlucken. Er setzte seine Stiefel vorsichtig und bedächtig auf, weil er wusste, dass das Kohlendioxid aus der Luft bereits an dem bitterkalten Stein auszufrieren begann.

Rodriguez schaute zum dunkler werdenden Himmel hinauf wie ein Gefangener, der noch einen letzten, verzweifelten Blick auf die Freiheit erhascht, bevor er sein Verlies betritt.

Immerhin kann ich dem Seil folgen, dachte er. Seine Bewegungen waren schwerfällig und besonnen, weil er Angst hatte, auf vereisten Stellen auszurutschen. Wenn ich außer Gefecht gesetzt werde, sind wir beide im Arsch, sagte er sich. Immer mit der Ruhe. Nur nichts überstürzen. Mach keine Fehler.

Langsam, ganz langsam stieg er hinunter. Als er am Seil entlang zur Mündung des Lavaschlots gelangte, konnte er das kleine Stückchen Himmel oben nicht mehr sehen; es war absolut schwarz. Falls ihn dort oben Sterne anfunkelten, so drang ihr Licht nicht durch die getönte Sichtscheibe seines Helms.

Er spähte in den Tunnel. Es war, als würde man in einen pechschwarzen Schacht starren.

»Hey, Mitsuo!«, rief er. »Kannst du mich hören?«

Keine Reaktion. Er ist entweder tot oder bewusstlos, dachte Rodriguez. Er liegt irgendwo tief drin in diesem Tunnel, und ich muss ihn finden. Oder das, was von ihm übrig ist.

Er holte tief Luft. Keine Furcht, rief er sich ins Gedächtnis.

Er stapfte in den dunklen Tunnel hinein, ohne das Flattern in seinen Eingeweiden oder die Stimme in seinem Kopf zu beachten, die ihm erklärte, er sei weit genug gegangen, der Bursche sei tot, es habe keinen Sinn, wenn er hier unten auch noch umkomme, also nichts wie raus hier, und zwar sofort.

Ich kann ihn nicht hier lassen, rief Rodriguez der Stimme wortlos zu. Ob er nun tot oder lebendig ist, ich kann ihn nicht hier unten lassen.

Ist deine Beerdigung, entgegnete die Stimme.

Ja, klar. Und wenn ich wohlbehalten zur Basis zurückkomme, aber ohne ihn? Was werden sie von mir denken? Wie soll ich …

Er sah die zusammengesunkene Gestalt des Biologen, ein unförmiger Haufen aus einem Raumanzug und einem Wirrwarr von Ausrüstungsgegenständen an einer Wand des Tunnels.

»Hey, Mitsuo!«, rief er.

Die Gestalt rührte sich nicht.

Rodriguez eilte zu dem Biologen und versuchte, durch die Sichtscheibe seines Helms zu schauen.

»Mitsuo«, rief er. »Alles in Ordnung?« Es klang idiotisch, kaum dass er die Worte ausgesprochen hatte.

Aber Fuchida hob plötzlich die Hand und packte ihn an den Schultern.

»Du bist am Leben!«

Immer noch keine Antwort. Sein Funkgerät ist kaputt, erkannte Rodriguez. Und die Luft ist so dünn, dass sie meine Stimme nicht trägt.

Er legte seinen Helm an den von Fuchida. »He, Mann, was ist denn passiert?«

»Batterie«, antwortete der Biologe. Seine Stimme war gedämpft, aber verständlich. »Batterie funktioniert nicht. Und mein Knöchel. Kann nicht laufen.«

»Herr im Himmel! Kannst du aufstehen, wenn ich dich stütze?«

»Weiß ich nicht. Mein Lüftung ist aus. Ich habe Angst, mich zu bewegen; ich will keine zusätzliche Körperwärme erzeugen.«

So ein Mist, dachte Rodriguez. Ob ich ihn wohl bis zur Oberfläche hinauftragen muss?

Als Fuchida dort in der Falle saß wie ein dummer Schuljunge bei seiner ersten Höhlenerkundung, wünschte er sich, er hätte seinen buddhistischen Mentoren mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Dies wäre ein guter Zeitpunkt, um zu meditieren, nach innerem Frieden zu suchen und einen ruhigen Alpha-Zustand zu erreichen. Oder war es ein Beta-Zustand?

Da das Belüftungssystem nicht arbeitete, gab es in dem stark isolierten Anzug so gut wie keine Luftzirkulation. Die von seinem Körper erzeugte Wärme konnte nicht zum Wärmetauscher im Tornister abgeführt werden; die Temperatur im Anzug stieg stetig. Noch schlimmer, es wurde immer schwieriger, das ausgeatmete Kohlendioxid aus dem Anzug zu befördern und atembare Luft hereinzubekommen. Er konnte an seinen eigenen Gasen ersticken. Da gab es nur eins: Er musste möglichst still liegen, sich nicht bewegen, nicht einmal zwinkern. Sei ruhig. Erreiche den Zustand der Leere. Rühr dich nicht. Warte. Warte auf Hilfe.

Rodriguez wird mich holen kommen, sagte er sich. Tomas lässt mich nicht hier unten sterben. Er kommt mich holen.

Wird er rechtzeitig kommen? Fuchida versuchte, die Möglichkeit des Todes aus seinen Gedanken auszuschließen, wusste jedoch, dass er letzten Endes unvermeidlich war.

Das Verrückte daran ist, dass ich einen Beutel voller siderophiler Bakterien habe! Ich werde berühmt sein. Postum.

Dann sah er das tanzende Licht einer Helmlampe auf sich zukommen. Vor Erleichterung wäre er fast in Tränen ausgebrochen. Rodriguez tauchte auf, in dem klobigen Raumanzug eine schwerfällig dahintappende, roboterartige Kreatur. Für Fuchida war er schöner als ein Engel.

Sobald Rodriguez begriffen hatte, dass sie ihre Helme aneinander legen mussten, um sich zu verständigen, fragte er: »Wie, zum Teufel, hast du das angestellt, dich so rumstoßen zu lassen?«

»Hydrothermalschlot«, antwortete Fuchida. »Hat mich quer durch den Tunnel geschleudert.«

Rodriguez grunzte. »Old Faithful schlägt auf dem Mars zu.«

Fuchida versuchte zu lachen; heraus kam ein zittriges Kichern.

»Kannst du dich bewegen? Aufstehen?«

»Ich glaube schon …« Als Rodriguez ihn unter den Achseln packte und hochzog, kam Fuchida langsam auf die Beine. Er holte tief Luft, dann hustete er. Als er versuchte, das Gewicht ein Stück weit auf seinen schlimmen Knöchel zu verlagern, wäre er beinahe zusammengebrochen.