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Jemand hatte die Lautsprecheranlage eingeschaltet und ließ ein beruhigendes klassisches Klavierstück laufen. Beethoven, dachte Jamie. Er erinnerte sich, dass die Kosmonauten bei der ersten Expedition Tschaikowski und andere russische Komponisten gespielt hatten.

Trotzdem kam ihm die Kuppel auf subtile Weise verändert vor. Ihr Neuwagengeruch war verschwunden. Die erste Expedition hatte sie nur fünfundvierzig Tage bewohnt, aber das hatte gereicht, um sie ihres Glanzes zu berauben. Er fühlte sich in ihr zwar zu Hause, das schon, aber nicht auf die gleiche Weise wie in seiner Erinnerung.

»Klos funktionier'n nich.«

Jamie drehte sich um und sah Possum Craig im Eingang stehen, einen düsteren Ausdruck auf dem Hängebacken-Gesicht. Die Falttür war offen geblieben, sodass Craig nicht hatte anklopfen müssen.

»Beide Klos?«, fragte Jamie.

Craig nickte verdrossen. »'scheinlich is die Wasserleitung verstopft. Oder eingefroren.«

Offiziell war Craig Geochemiker. Man hatte ihn von einer texanischen Ölgesellschaft rekrutiert und ihm die Verantwortung für die Bohranlage übertragen. Die Biologen vertraten die Theorie, das marsianische Leben gedeihe im Untergrund, vielleicht Kilometer tief im Boden, und die Flechte, die sie im Oberflächengestein gefunden hatten, sei nur ein Fortsatz dieser unterirdischen Ökologie, die sie ›plutonische Biosphäre‹ nannten.

Inoffiziell war Craig der Handwerker der Expedition. Es gab kein Werkzeug, mit dem er nicht fachmännisch hantieren konnte. Er war Klempner, Elektriker und Faktotum in einem. Binnen einer Woche nach ihrem Start zum Mars hatte Trumball angefangen, ihn ›Wiley J. Coyote‹ zu nennen, nachdem Craig geschickt einen defekten Computerbildschirm repariert hatte, und zwar mit wenig mehr als einem Schraubenzieher und einer Pinzette aus der medizinischen Ausrüstung.

Craig zog den neuen Namen dem üblichen ›Possum‹ vor, einer alten, von den Ölfeldern stammenden Anspielung auf seine überdimensionale Nase.

»Du glaubst, sie ist eingefroren?« Jamie durchquerte sein Abteil mit zwei Schritten und ging an Craig vorbei in den offenen Bereich der Kuppel hinaus.

»Höchstwahrscheinlich. Wir hätten sie sofort eingraben sollen.«

»Und das Wiederaufbereitungssystem ist noch nicht in Betrieb.«

»Ich könnte die Leitung unter Überdruck setzen, aber ich will nich das Risiko eingehen, das Rohr kaputtzumachen. So 'n Schlamassel können wir echt nich gebrauchen, nich schon gleich in der ersten Nacht.«

Stacy Deschurowa kam zu ihnen, zwei besorgte Furchen zwischen den dicken Augenbrauen. Ihr Haar war sandbraun; sie trug es in einem kurzen Pagenschnitt, der aussah, als hätte sie sich eine Schüssel aufgesetzt und alles, was darunter hervorschaute, eigenhändig abgeschnitten.

»Hat Possum dir erzählt, was los ist?«, fragte sie düster.

Jamie nickte. Jenseits des offenen Bereichs, bei der Reihe von Spinden neben der Luftschleuse, fädelte Rodriguez die Arme ins Oberteil seines Raumanzugs ein, wie er sah.

»Geht Tomas raus?«

»Die chemischen Toiletten sind im Lander. Er holt sie für heute Nacht hier herein.«

»Es ist schon dunkel draußen.« Das hieß, die Temperatur sank drastisch ab.

»Wir brauchen Toiletten«, sagte Deschurowa in entschiedenem Ton. Sie war fast immer düster und ernst, eine eindrucksvolle und sehr tüchtige Frau, deren einschüchterndes Äußeres einen ausgeprägten, trockenen Humor verbarg. Aber im Moment war ihr nicht nach Spaßen zumute. »Toiletten sind sehr wichtig.«

»Wer geht mit Tomas?«, fragte Jamie. Die Sicherheitsvorschriften untersagten es, dass jemand allein hinausging, selbst wenn es ein von der NASA ausgebildeter Astronaut war.

»Ich«, sagte Craig ohne große Begeisterung.

Deschurowa schüttelte den Kopf. »Nein, ich gehe mit.«

»Du nicht, Stacy«, entgegnete Jamie. »Nach Möglichkeit sollten nicht beide Astronauten zugleich draußen sein.«

Craig ging zu den Spinden. Nach einer kurzen Pause sagte Stacy: »Ich helfe ihnen, die Anzüge durchzuchecken.«

»Ist gut«, sagte Jamie.

Während er allein vor seiner Kabine zurückblieb, sah Jamie, dass sich die beiden anderen Frauen, Hall und Shektar, am Tisch in der Messe leise unterhielten. Trumball und Fuchida waren nirgends zu sehen; wahrscheinlich steckten sie in einem der Labors. Er ging wieder in sein Abteil, zog die Tür zu und startete seinen Laptop. Wird Zeit, dass ich meinen Bericht nach Tarawa schicke, sagte er sich und überlegte hin und her, ob das Toilettenproblem so wichtig war, dass er es erwähnen musste.

Wenn die Nachrichtenmedien rausfinden, dass unsere Klos nicht funktionieren, werden sie die nächsten zwei Wochen nichts anderes mehr bringen, sagte er sich.

Bei der Planung der Expedition hatte Jamie von Anfang an darauf bestanden, dass das ganze Team gemeinsam zu Abend essen sollte, wann immer es möglich war. Alle Bewohner der Kuppel mussten sich zur Abendmahlzeit einfinden; nur wer gerade auf Exkursion war, durfte fehlen. Einmal am Tag brauchten sie eine Gelegenheit, sich zu treffen, beiläufig und informell über die tägliche Arbeit zu sprechen, sich zu entspannen und der Geselligkeit zu frönen.

Nachdem die chemischen Toiletten in die Kuppel gebracht und in den beiden Waschräumen aufgestellt worden waren, wusch sich jeder mit Wasser aus dem mitgebrachten Vorrat, und dann versammelten sie sich in der Messe. Jamie fing an, die kleinen Tische zu einem großen zusammenzurücken; Fuchida kam sofort herüber und half ihm. Dann stellten sie sich alle an der Mikrowelle an und wärmten Fertigmahlzeiten aus ihren persönlichen Vorräten auf.

»Das war ein ereignisreicher Tag«, sagte Jamie, sobald sie alle Platz genommen hatten.

»Morgen wird's besser«, meinte Trudy Hall. Diesen Spruch hatte sie auf der Reise von der Erde hierher fast täglich von sich gegeben. Diesmal lag eine forcierte, beinahe verzweifelte Fröhlichkeit in ihrem Ton, die bewirkte, dass Jamie sich Gedanken über sie machte.

»Aber nur, wenn die Toiletten funktionieren«, fügte Stacy Deschurowa hinzu. Die gedrungene, grobknochige Russin saß direkt neben Hall, dem zierlichen, kleinen Spatz aus England.

»Das werden sie«, sagte Trumball zuversichtlich. Dann wandte er sich an Craig: »Oder, Wiley?«

»Klar, klar«, sagte Craig. Es klang wie »Chlor, Chlor«.

Rodriguez blickte von seinen Tamales mit gebackenen Bohnen auf. »Das will ich hoffen«, sagte er.

Jamie wollte von dem Thema wegkommen. »Dex«, rief er, »wie steht's mit dem Reserve-Wassergenerator? Werden wir ihn herholen müssen?«

Trumball saß Jamie direkt gegenüber. Jamie hatte absichtlich einen Platz mitten am Tisch gewählt. Er wollte nicht den Anschein erwecken, als beanspruche er den Platz am Kopfende. Trumball hatte den Stuhl auf der anderen Seite genommen.

Der Reserve-Wassergenerator war vor zwei Jahren mit derselben Trägerrakete hergeflogen worden wie der Methan-Treibstoffgenerator. Das unbemannte und ausschließlich computergesteuerte Landefahrzeug hatte über zwei Kilometer von der Kuppel entfernt aufgesetzt.

Bevor Trumball antworten konnte, sagte Craig: »Is doch nur 'n Reservegerät. Den Hauptgenerator haben wir selber mitgebracht'«

»Ich weiß«, sagte Jamie. »Aber was ist, wenn der Hauptgenerator mal eine Panne hat? Ist es klug, das Reservegerät für unsere Wasserversorgung zwei Klicks entfernt stehen zu lassen?«

Trumball kaute nachdenklich auf einem Bissen Roastbeef herum und antwortete dann: »Wir haben drei Möglichkeiten. Entweder wir legen eine Rohrleitung zum Reservegerät, oder wir laden das Modul irgendwo drauf und schleppen es mit einem der Traktoren näher an die Basis heran.«