Einmal am Tag brauchten sie eine Gelegenheit, sich zu treffen, beiläufig und informell über die tägliche Arbeit zu sprechen, sich zu entspannen und der Geselligkeit zu frönen.
Nachdem die chemischen Toiletten in die Kuppel gebracht und in den beiden Waschräumen aufgestellt worden waren, wusch sich jeder mit Wasser aus dem mitgebrachten Vorrat, und dann versammelten sie sich in der Messe. Jamie fing an, die kleinen Tische zu einem großen zusammenzurücken; Fuchida kam sofort herüber und half ihm. Dann stellten sie sich alle an der Mikrowelle an und wärmten Fertigmahlzeiten aus ihren persönlichen Vorräten auf.
»Das war ein ereignisreicher Tag«, sagte Jamie, sobald sie alle Platz genommen hatten.
»Morgen wird's besser«, meinte Trudy Hall. Diesen Spruch hatte sie auf der Reise von der Erde hierher fast täglich von sich gegeben. Diesmal lag eine forcierte, beinahe verzweifelte Fröhlichkeit in ihrem Ton, die bewirkte, dass Jamie sich Gedanken über sie machte.
»Aber nur, wenn die Toiletten funktionieren«, fügte Stacy Deschurowa hinzu. Die gedrungene, grobknochige Russin saß direkt neben Hall, dem zierlichen, kleinen Spatz aus England.
»Das werden sie«, sagte Trumball zuversichtlich. Dann wandte er sich an Craig: »Oder, Wiley?«
»Klar, klar«, sagte Craig. Es klang wie »Chlor, Chlor«.
Rodriguez blickte von seinen Tamales mit gebackenen Bohnen auf. »Das will ich hoffen«, sagte er.
Jamie wollte von dem Thema wegkommen. »Dex«, rief er,
»wie steht's mit dem Reserve-Wassergenerator? Werden wir ihn herholen müssen?«
Trumball saß Jamie direkt gegenüber. Jamie hatte absichtlich einen Platz mitten am Tisch gewählt. Er wollte nicht den Anschein erwecken, als beanspruche er den Platz am Kopfende. Trumball hatte den Stuhl auf der anderen Seite genommen.
Der Reserve-Wassergenerator war vor zwei Jahren mit derselben Trägerrakete hergeflogen worden wie der Methan-Treibstoffgenerator. Das unbemannte und ausschließlich computergesteuerte Landefahrzeug hatte über zwei Kilometer von der Kuppel entfernt aufgesetzt.
Bevor Trumball antworten konnte, sagte Craig: »Is doch nur 'n Reservegerät. Den Hauptgenerator haben wir selber mitgebracht'«
»Ich weiß«, sagte Jamie. »Aber was ist, wenn der Hauptgenerator mal eine Panne hat? Ist es klug, das Reservegerät für unsere Wasserversorgung zwei Klicks entfernt stehen zu lassen?«
Trumball kaute nachdenklich auf einem Bissen Roastbeef herum und antwortete dann: »Wir haben drei Möglichkeiten. Entweder wir legen eine Rohrleitung zum Reservegerät, oder wir laden das Modul irgendwo drauf und schleppen es mit einem der Traktoren näher an die Basis heran.«
»Und die dritte Möglichkeit?«, fragte Deschurowa.
Mit einem lausbübischen Grinsen sagte Trumbalclass="underline" »Wir gehen jedes Mal zu Fuß hin, wenn der Hauptgenerator den Geist aufgibt.«
Die meisten am Tisch lachten höflich.
»Haben wir genug Rohre, um diese Entfernung zu überbrücken?«, fragte Jamie.
Trumball nickte. »Jede Menge.«
»Ich glaub nich, dass es so 'ne gute Idee is, 'ne Rohrleitung da raus zu verlegen«, sagte Craig. »Die friert uns jede Nacht ein, wenn wir sie nich ganz tief eingraben, noch unter die Permafrost-Grenze.«
Trumball zuckte gleichgültig die Achseln. »Dann müssen wir das Ding eben herholen.«
Craig nickte zustimmend.
Beim Plan Z war nur ein einziges Problem aufgetreten: Die vorausgeschickten Module ließen sich nicht präzise genug an die richtige Stelle steuern. Wegen der Kommunikationsverzögerung zwischen Erde und Mars konnten die Landungen der unbemannten Module von Tarawa aus nicht in Echtzeit kontrolliert werden. Bei einer Entfernung von hundert Millionen Klicks war ein Zwei-Kilometer-Radius praktisch schon ein Treffer ins Schwarze, aber für die Bedürfnisse der Forscher reichte das trotzdem nicht.
»In Ordnung«, sagte Jamie langsam. »Morgen werden wir als Erstes das Reservegerät näher zu uns heranholen.«
»Und dann brechen wir zum Canyon auf«, meinte Trumball.
»Possum fängt an, nach Kernproben zu bohren«, sagte Jamie.
»Ich bringe den Garten aus dem Schiff in seine Kuppel«, sagte Fuchida mit einem glücklichen Lächeln.
»Während wir zum Canyon fahren«, beharrte Trumball.
»Während wir zum Canyon fahren«, gab Jamie nach.
Trumball nickte, anscheinend zufrieden.
»Wir haben eine große Aufgabe vor uns«, wandte sich Jamie an sie alle. »Wir werden anderthalb Jahre hier leben. Im Schiff ist es uns gelungen, Nahrungsmittel anzubauen; jetzt müssen wir wirklich anfangen, von dem zu leben, was dieser Planet hergibt – die Nahrungsmittel anbauen, die wir brauchen, und unsere Luft sowie unseren Brennstoff aus lokalen Ressourcen erzeugen. Wir müssen so autark wie möglich werden.«
Sie nickten alle.
»Der Mars wird uns auf die Probe stellen«, sagte Fuchida leise.
»Wie bitte?«
Der japanische Biologe schien überrascht zu sein, dass jemand seine Bemerkung gehört hatte. »Ich meinte nur, dass der Mars jeden von uns herausfordern wird.«
Jamie nickte. »Ja, er wird uns herausfordern … und uns Chancen bieten.«
»Macht euch nichts vor«, entgegnete Fuchida. »Jeder von uns wird vom Mars auf die Probe gestellt werden. Unsere Kraft, unsere Intelligenz, unser Charakter – alles wird von dieser fremden Welt geprüft werden.«
»Wir acht gegen den Mars«, murmelte Stacy Deschurowa.
Dex Trumball sagte: »So wie die Sieben gegen Theben.«
»Die was?«, fragte Rodriguez.
»Das ist ein uraltes griechisches Stück«, antwortete Trumball. »Von Euripides.«
»Von Alschylos«, verbesserte Fuchida.
Dex funkelte ihn an. »Euripides.«
»Euripides hat Die Phönizierinnen geschrieben«, sagte Fuchida selbstsicher. » Sieben gegen Theben ist von Alschylos.«
Jamie unterbrach ihren Disput. »Nein, nicht wir acht gegen den Mars. Wir sind hier, damit wir lernen, mit dem Mars zu leben. Und damit wir den anderen, die nach uns kommen, beibringen können, wie man hier lebt.«
»Ganz genau«, sagte Possum Craig leise.
Trumball gab ihm in diesem Punkt mit einem Nicken Recht und bohrte dann weiter: »Also, wann verlegen wir unsere Operationsbasis ins Canyon-Gebiet?«
Diese Diskussion hatten sie während des Fluges monatelang immer wieder geführt. Auf dem Boden des Grand Canyon war Leben gefunden worden; weshalb richteten sie die Expeditionsbasis nicht dort ein?
Jamie unterdrückte eine Aufwallung von Ärger. »Es wäre nicht sinnvoll, unsere Basis zu verlegen. Wir können zum Canyon fahren und in dem Gebiet nach einem geeigneten Standort für eine Nebenbasis suchen, wenn das nächste Team kommt.«
»Falls ein nächstes Team kommt«, murrte Trumball.
»Dies wird nicht die letzte Expedition zum Mars sein«, sagte Jamie in bestimmtem Ton. »Wir sind Bestandteil eines langfristig angelegten Programms …«
»Nicht, wenn wir nur rumdödeln und nichts zuwege bringen.«
Jamie merkte, wie es in ihm zu brodeln begann. »Wir sind hier, um verschiedene Ziele zu erreichen. Diese Basis ist gut gelegen und funktioniert bestens.«
»Bis auf die Toiletten«, warf Deschurowa ein. Sie sagte es mit einem komischen Grinsen, aber niemand lachte.
»Es würde einen Monat oder länger dauern, dieses Lager zu verlegen«, fuhr Jamie verkniffen fort. »Und wenn wir zum Canyon umziehen, entfernen wir uns von den Vulkanen.«
»Hör mal«, sagte Trumball und beugte sich ungeduldig vor, »die Vulkane interessieren mich genauso wie dich. Ich bin schließlich Geophysiker.«
Bevor Jamie etwas erwidern konnte, fuhr Dex fort: »Aber die Leute, die das Geld für diese Expedition aufgebracht haben, wollen Resultate sehen. Sie können es alle gar nicht erwarten zu erfahren, was es mit dieser Flechte auf sich hat.