Выбрать главу

Mit einem Lachen versichert ihr Vijay, dass diese Psycho-Sitzungen strikt privat waren. »Außer natürlich, du hast eine Beschwerde vorzubringen.«

Trudy schüttelte erneut den Kopf. »Dex und Jamie laufen mit einer Jammermiene rum, als würde das Gewicht der ganzen Welt auf ihren Schultern lasten. Und Mitsuo … na ja, Mitsuo hat mir immer das Gefühl vermittelt, dass er mich irgendwie für nicht ganz menschlich hält.«

Eine subtile Form des Rassismus, dachte Vijay. Davon hast du bei den Weißen, weiß Gott, genug gesehen.

Aber sie behielt ihre Gedanken für sich. Sie beendete die Sitzung mit Trudy und verabschiedete sich, dann diktierte sie eine halbe Stunde lang ihre Gedanken und Eindrücke für die Missionsunterlagen.

Diese Berichte werden eine Reihe von Artikeln in den Psychologiezeitschriften ergeben, wenn wir nach Hause kommen, dachte sie beim Diktieren. Dann bin ich ganz oben auf der Erfolgsleiter und kann mir die besten unkündbaren Stellen an den besten Universitäten der Erde aussuchen. Sexuelle Einstellungen und Verhaltensweisen in einer isolierten Umgebung über eine Periode von achtzehn Monaten. Das könnte der Titel der zentralen Abhandlung sein.

Vielleicht mache ich sogar ein knackiges Buch daraus: Sex auf dem Mars. Ein Bestseller, keine Frage.

Aber noch während sie diese Ideen entwickelte, fragte sie sich, was mit Jamie los war. Und mit Dex. Und mit ihr selbst. Was für ein Schlamassel ich angerichtet habe, in jeder Hinsicht. Was für ein dummes, trostloses Schlamassel.

Vijay hatte ganze Abende damit verbracht, die wissenschaftliche Literatur über zwischenmenschliche Beziehungen bei anderen Expeditionen zu durchforsten, besonders bei den Wissenschaftlerteams, die in Antarktisstationen überwintert hatten. Sie hatte jede Menge Informationen über sozialen Stress und die Auswirkungen von Einsamkeit und Langeweile in Verbindung mit physischer Gefahr gefunden, aber so gut wie nichts, was ihr geholfen hätte. Männer hatten in Antarktisstationen Mordversuche unternommen. Männer waren auf monatelangen Unterwasserpatrouillenfahrten in Atom-U-Booten Amok gelaufen. Aber in den Berichten stand wenig darüber, wie sich Beziehungen zwischen Männern und Frauen herausbilden und verändern konnten. Und nichts darüber, wie Sex alles in unterschiedliche Perspektiven verzerrte.

Jetzt, wo außer ihr nur noch Wiley und die beiden Astronauten da waren, kam ihr die Kuppel leer vor. Als sie in ihrer kleinen Kabine saß und auf den dunklen Bildschirm ihres Laptops starrte, fragte sich Vijay zum tausendsten Mal, ob sie Tomas auf der nächsten Fahrt zum Canyon begleiten und dort ein oder zwei Tage mit den vier Wissenschaftlern verbringen sollte.

Mit Jamie, meinst du. Oder mit Dex. Ist es Jamie, den du willst? Ist Jamie trotz allem, trotz seiner verdammten Selbstlosigkeit wirklich derjenige, aus dem du dir etwas machst?

Bei ihm musst du dich mit dem zweiten Platz begnügen; er ist vor allem in den Mars verliebt.

Und wie steht's mit Dex? Er ist … kraftvoll. Dynamisch.

Vijay schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht über Dex nachdenken. Er war eine Komplikation. Zu verwirrend.

Sie sprang von ihrem Stuhl auf und verließ rasch ihr Abteil. Bring das Blut zum Zirkulieren, sagte sie sich, als sie mit so harten Schritten über den Plastikboden stapfte, dass deren Stakkato durch die Kuppel hallte.

Stacy war mit Tomas draußen und belud einen der Rover für die nächste Fahrt zum Canyon. Wiley schob Dienst im Kommunikationszentrum. Vijay warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und sah, dass es fast Zeit für sie war, ihn abzulösen, damit er sich wieder an seine geologische Arbeit machen konnte.

Ich könnte mit ihnen in den Rover steigen, sagte sie sich.

Sie brauchen mich hier nicht; Tommys Hand ist gut verheilt, und es gibt keine medizinischen Notfälle, über die ich mir Sorgen machen müsste. Ihr kam zu Bewusstsein, dass ihre ärztliche Arbeit auf dem Mars fast vollkommen pharmazeutischer Natur gewesen war. Ich habe Pillen, Vitamine und Nahrungszusätze ausgegeben – und psychologische Profile erstellt. Eher Psychologie als Medizin, sagte sie sich. Aber wenn es um deine eigenen emotionalen Probleme geht, steckst du in einem hoffnungslosen Kuddelmuddel. Doktor, heile dich selbst!

In dreien der zwölf Räume der Behausung gab es Inschriften an den Wänden; in einem Raum pro Stockwerk. Jamie dachte über diese Tatsache nach, während er sich die neueste Beurteilung der zur Kuppel geschickten Steinproben durchlas. Wiley Craig hatte eine sehr ordentliche spektrographische Analyse der Splitter und Späne gemacht, die er und Dex von den Steinwänden des Gebäudes abgeschabt hatten.

Es war genug Kalium im Stein, um anhand der radioaktiven Zerfallsrate eine einigermaßen zuverlässige Datierung zu bekommen. Wenn die Zerfallsraten auf dem Mars denen auf der Erde entsprechen, dachte Jamie. Es gibt zwar keinen Grund, warum das nicht der Fall sein sollte; Atome sind Atome, und sie verhalten sich im ganzen Universum gleich.

Aber hier könnten andere Faktoren mitspielen, Faktoren, die wir nicht kennen, subtile Faktoren, die anders sind als auf der Erde.

Wir wissen es einfach nicht, musste Jamie sich eingestehen.

Jedenfalls war der Stein über hundert Millionen Jahre alt.

Genauso alt wie die Gesteinsschicht im hinteren Bereich der Nische, wo die Marsianer die zum Bau der Behausung benutzten Blöcke herausgeschlagen hatten.

Aber das nützt uns nicht viel, dachte Jamie. Uns interessiert ja nicht das Alter des Gesteins, sondern das des Gebäudes. Wann haben die Marsianer diese Steine gehauen und damit ihren … Tempel erbaut?

Jamie lehnte sich auf dem gepolsterten Stuhl in seinem Abteil zurück; ihm wurde klar, dass er das Bauwerk nicht mehr als Wohngebäude betrachtete. Sie haben nicht darin gelebt. Es war eine Art Tempel, ein Ort, den sie besuchten, um dort heilige Riten zu vollführen. Zum Beispiel, indem sie ihre Geschichte an die Wände schrieben? Wenn es sich bei den Wandzeichen darum handelte, hatten sie eine verdammt kurze Geschichte. Drei Wände voller kunstvoller Zeichen, einige davon Piktogramme, die meisten jedoch allem Anschein nach eher Buchstaben oder ganze Worte.

Und auf jeder Wand entarten sie zu gekritzelten, krakeligen Botschaften, die wie das Werk von Kindern aussehen. Oder wie das Werk verzweifelter, bedrängter Leute in tödlicher Hast.

Ein einzelnes Klopfen an die Tür seines Abteils schreckte Jamie aus seinen Gedanken auf. Bevor er antworten konnte, glitt die Falttür auf, und Dex trat ein.

»Du hast Wileys Analyse auch auf dem Bildschirm«, sagte er ohne weitere Einleitung. »Gut.«

»Gute Arbeit, keine Frage«, stimmte Jamie zu, »aber sie nützt uns nicht viel.«

Dex setzte sich auf den Rand von Jamies ungemachtem Bett. »Da hast du Recht. Wir müssen uns was einfallen lassen, wie wir das Gebäude selbst datieren können.«

»Irgendeine Idee?«

Dex schüttelte den Kopf. »Ich hab die Literatur durchgesehen und mit den Archäologen daheim gesprochen.«

»Ohne Erfolg.«

Dex sprang impulsiv auf. »Das Problem ist, auf der Erde haben wir die Stratigraphie, die radioaktive Datierung, es gibt sogar schriftliche Aufzeichnungen, die wir entziffern können. Hier ist alles so verdammt ungewiss.«

»Es ist eben ein neues Gebiet.«

»Was du nicht sagst.« Dex fuhr sich mit beiden Händen durch die dunklen Haare. Jamie bemerkte, dass sie strähniger waren, nicht mehr so lockig wie bei ihrer ersten Begegnung. Keine Feuchtigkeit auf dem Mars, dachte er.

Schlecht für die Frisur.

»Vielleicht sollten wir lieber mit Astronomen als mit Archäologen reden«, schlug Jamie vor.

Dex warf ihm einen verwirrten Blick zu.

»Mit den Astronomen, die Meteoriten datieren«, erklärte Jamie. »Die befassen sich mit Steinen, die Hunderte Millionen Jahre alt sind. Sogar Milliarden Jahre.«

Dex setzte sich wieder auf den Rand der Liege. »Ja, das stimmt«, sagte er nachdenklich. »Sie können feststellen, wann ein Meteorit entstanden ist und wann er durch Kollisionen mit anderen Meteoroiten zerbrochen ist.«