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»Wie konnte Gott dann zulassen, dass seine eigene Schöpfung vernichtet wurde?«

»Wir können die Wege des Herrn nicht ergründen«, sagte der Beichtvater.

»Es ist nicht richtig«, flüsterte DiNardo rauh. »Sie alle umzubringen … ausnahmslos alle …«

Der Beichtvater schwieg eine Weile. Dann sagte er leise:

»Auf dem Mars hat das Jüngste Gericht bereits stattgefunden.«

Dieser Gedanke verschlug DiNardo den Atem.

»Offenbar hatte Gott beschlossen«, fuhr der Beichtvater fort, »den Weg der Marsianer durch das Tal der Tränen zu Ende zu bringen. Er hat sie zu sich gerufen. Ihre Zeit der Prüfungen endete vor fünfundsechzig Millionen Jahren.«

»Das Jüngste Gericht«, murmelte DiNardo.

»Es ist nicht an uns, Gottes Handlungen infrage zu stellen.

Wir müssen akzeptieren, was er getan hat.«

»Das Jüngste Gericht«, wiederholte DiNardo.

»Es mag dir hart erscheinen, aber die Marsianer sind jetzt in ihrer himmlischen Heimat und schauen das Angesicht Gottes. Ist das grausam?«

DiNardo hätte beinahe laut gelacht. »Nein, Vater. Sie haben natürlich Recht. Ich habe es aus einer rein säkularen Perspektive betrachtet.«

»Um Buße zu tun, wäre vielleicht eine Zeit der Einkehr angebracht. Erneuere deine spirituelle Kraft, mein Freund.«

Einkehr? DiNardo erstarrte bei dem Gedanken. Er sollte eine Woche oder mehr im Gebet und in Meditation verbringen, abgeschottet vom Rest der Welt? Ohne die Neuigkeiten vom Mars zu erfahren?

Das wäre nicht nur eine Buße, sondern eine Strafe, dachte er.

VIERTES BUCH.

DIE ENTSCHEIDUNG

Hört die weisen Worte der Alten. Cojote ist der Listenreiche, der dem Volk Leiden beschert. Aber manchmal hilft er ihm auch. Niemand kann ganz und gar schlecht sein. Oder ganz und gar gut.

NACHMITTAG: SOL 342

»Ein Ding von Schönheit is 'n Glück für immer«, sagte Wiley Craig. In seinem Ton lag echte Anerkennung.

Die Ummantelung des Gartens neben der neuen Kuppel war endlich fertig, eine rechteckige Konstruktion aus Glasbausteinen, ausschließlich aus Stoffen erbaut, die im Marssand vorhanden waren. Craig und Rodriguez standen neben der großen Parabolschüssel des Solarspiegels, der ihnen die Hitze für den Brennofen geliefert hatte, und bewunderten ihr Werk.

Rodriguez nickte in seinem Helm. »Wir haben sie auch in Rekordzeit fertig gestellt.«

Craig lachte. »Na, war ja nich so 'n toller Rekord, den wir da zu schlagen hatten, Tom. Und dazu kommt, dass während der Bauarbeiten niemand verletzt worden is.«

Rodriguez bewegte seine zernarbte Hand im Handschuh und murmelte: »Ja, das stimmt.«

Die neue Kuppel stand zusammen mit ihrem Garten-Gewächshaus am Rand der Steilwand des Canyons. Vier Buckyball-Seile liefen an der Nische mit dem uralten Gebäude vorbei nach unten, bis zum Boden der Schlucht.

Hall und Fuchida waren dort unten und studierten die Flechte im Gestein, während ein neuer Bohrer vor sich hintuckerte und in der Tiefe lebende Bakterien aus dem Bereich unter der Permafrostschicht heraufholte.

Die neue Kuppel war mit der unbemannten Nachschubmission von der Erde gekommen, zusammen mit einem flexiblen Zugangstunnel, der sich per Fernsteuerung mit der Luftschleuse eines Rovers verbinden ließ, und zwar entweder aus dem Innern der Kuppel oder aus dem Innern des Rovers heraus. Nun konnten die Forscher den Weg vom Rover zur Kuppel und umgekehrt ohne Raumanzug zurücklegen.

Der Nachschub-Lander hatte auch einen ähnlichen Tunnel für die alte Kuppel mitgebracht, die noch immer an ihrem ursprünglichen Platz auf Lunae Planum stand. Deschurowa und Fuchida montierten ihn gerade an die Luftschleuse.

Im Verlauf der letzten sechs Monate hatten die Forscher die Verbreitung der Flechte über das gesamte Antlitz des Mars kartiert. Fuchida war erneut zum Olympus Mons geflogen, um noch mehr Proben der Ares olympicus-Bakterien zu sammeln, und hatte dann – mit fast schon delirösem Entzücken – ähnliche Arten steinfressender Bakterien in zwei weiteren Tharsis-Schildvulkanen entdeckt.

Deschurowa hatte trotz ihrer brennenden Sehnsucht, wieder einmal in die Luft zu kommen, nur bei einem dieser Flüge mit Fuchida am Steuerknüppel gesessen. Die Pflichten der Missionsleiterin lasteten schwer auf ihr, aber sie konnte ihre Liebe zum Fliegen nicht ganz überwinden. »Mit dem Rang sind immerhin einige Privilegien verbunden«, sagte sie in bestimmtem Ton, als sie ihre Entscheidung bekannt gab, das Raketenflugzeug zu fliegen.

Fuchida organisierte sämtliche Exkursionen zu den Vulkanen und führte sie auch selber durch. Trudy Hall war eigentlich für die Hälfte davon eingeteilt, aber die beiden Biologen erklärten, Trudy wolle sich lieber mit der Flechte auf dem Boden des Canyons beschäftigen und Fuchida die Vulkane überlassen.

Als Dex Trudy damit aufzog, dass sie wohl Angst vorm Fliegen hätte, sprang ihr Tomas bei. »Glaubst du etwa, es ist nicht Furcht einflößend, an diesem Seil vier Kilometer rauf und runter zu fahren? Mann, ich fühl mich erheblich sicherer, wenn ich in irgendwas sitze, das wenigstens Flügel hat.«

Stacy arbeitete einen präzisen Arbeitsplan für alle acht aus. Dieser Plan sah vor, dass Jamie in der neuen Kuppel am Canyon blieb, während Stacy selbst die meiste Zeit in der alten Basis auf Lunae Planum verbrachte. Jamie staunte darüber, wie sie es schaffte, Vijay fern zu halten, wenn er und Dex am selben Ort waren. Er sah Vijay, wenn Dex nicht da war, und er wusste, dass sie Dex sah, wenn er nicht da war.

Jamie hatte nicht mehr mit Vijay geschlafen, seit er von seinem Posten als Missionsleiter zurückgetreten war. Er sagte sich immer wieder, dass sie mit Dex auch nicht schlief.

Er gab sich alle Mühe, es zu glauben, und meistens gelang es ihm auch. Aber es gab Momente, wenn Dex mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht von einer Fahrt zur alten Kuppel zurückkehrte, da brannte Jamie innerlich.

Trotzdem verstand er sich gut mit Dex. Wenn Vijay nicht da war, arbeiteten und aßen sie Seite an Seite. Sie stellten Vermutungen über das marsianische Bauwerk und die Marsianer selbst an. Und sie machten sich Gedanken über den Tag, an dem Dex' Vater eintreffen würde, um seine kommerziellen Operationen in Angriff zu nehmen.

»Warum bringen wir das IUK nicht dazu, dieses Gebiet zu beanspruchen?«, schlug Dex eines Abends vor, als sie beide über zwei Bechern Kaffee in der Messe der neuen Kuppel hockten.

Jamie wandte sich über Connors an Dr. Li und über Li an den Vorstandsvorsitzenden des IUK.

Walter Laurences normalerweise stets gelassene Miene wirkte gequält, als er schließlich auf Jamies flehende Botschaften antwortete. Jamie wartete bis spät in der Nacht, ehe er Laurences Botschaft öffnete; in der Kuppel war es still, die Beleuchtung war gedämpft, die meisten anderen schliefen bereits.

Selbst auf dem Bildschirm von Jamies Laptop machte der Direktor des Internationalen Universitätskonsortiums einen aufgeregten, unglücklichen Eindruck.

»Dr. Waterman«, begann er steif, und seine erdbraunen Augen schauten etwas zu weit nach unten, auf sein Bild auf dem Monitor statt in die Kamera darüber, »der gesamte IUK-Vorstand hat ihre Bitte sehr ausführlich erwogen.«

Jamie sah schweigend zu, wie Laurence sich durch ein langes, verschlungenes Sortiment von Ausreden wand. Der Mann fuhr sich immer wieder mit einer Hand durch seine dichte, silberne Mähne, als wäre er in großen Nöten.

»Also, langer Rede kurzer Sinn«, schloss Laurence endlich, »der Vorstand ist der Ansicht, dass es unangebracht wäre, wenn das IUK das Nutzungsrecht für irgendeinen Teil des Mars beanspruchen würde – ebenso wie für irgendeinen anderen Himmelskörper im Sonnensystem. Wir haben uns der wissenschaftlichen Forschung verschrieben, nicht der Grundstückserschließung.«