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Oder wenn wir Spuren intelligenten Lebens …

Jemand klopfte an seine Tür.

Beinahe verärgert über die Störung, rief Jamie: »Wer ist da?«

»Vijay.«

Jamie schwang die Beine von der Liege und stand auf.

»Augenblick.« Er griff sich seinen abgelegten Overall und schlüpfte hinein. Während er den Klettverschluss vorne zudrückte, ging er zur Tür und entriegelte sie.

»Irgendwas nicht in Ordnung?«, fragte er.

Sie hatte den Overall, den sie sonst immer trug, gegen einen unförmigen, weiten, knubbeligen Rollkragenpullover und eine formlose, ausgebeulte Hose eingetauscht. Man kann nicht gerade behaupten, dass sie ihren Körper zur Schau stellt, dachte Jamie, aber sie mag leuchtende Farben.

Der Pullover war korallenrot, die Hose sonnengelb.

»Nein, alles okay.« Sie hielt einen verschlossenen Plastikbeutel hoch. »Bloß der Vitaminlieferservice, Kamerad.«

»Oh.« Jamie nahm ihr den Beutel ab.

»Deine Ergänzungspräparate für diese Woche«, sagte sie.

Während des gesamten Fluges zum Mars hatte Shektar die Vitaminpräparate jedem Mitglied der Expedition stets persönlich ausgehändigt.

»Gut.«

»Wir wollen ja nicht, dass du Skorbut kriegst«, sagte sie beinahe schelmisch. Genau das war dem gesamten Bodenteam der ersten Expedition passiert, als dessen Vorrat an Vitaminpräparaten verdorben war.

»Nein«, pflichtete Jamie ihr bei, »einmal reicht.«

»Hast du Zeit für einen Schlummertrunk, oder willst du schon schlafen gehen?«

Er hätte beinahe geschnaubt. »Nach eurem Besäufnis gerade eben willst du noch einen Schlummertrunk?«

»Orangensaft, Jamie. Blutzucker.«

»Ich dachte eher, du bräuchtest Aspirin.«

»Keine Sorge«, sagte sie und ging zur Kombüse voran.

»So viel hab ich noch längst nicht intus.«

Die Kuppel war jetzt nur noch matt erleuchtet; da die Trennwände der privaten Abteile nur zweieinhalb Meter hoch waren, wurde die Beleuchtung bei Nacht gedämpft.

»Wo hast du diese Lieder gelernt?«, fragte er, während er ihr durch den halbdunklen Raum folgte.

»Die Vorteile einer Collegeausbildung.«

»Tolle Ausbildung.«

Vijay sah ihn neugierig an. »Hast du dich auf dem College nie betrunken und unanständige Lieder gesungen?«

»Nein, ich glaube nicht«, sagte Jamie und dachte an die vielen im Vollrausch herumtorkelnden Navajos, die er gesehen hatte.

»Du brauchst nicht so missbilligend dreinzuschauen«, sagte sie mit einem Lächeln.

»Tu ich das? Ist mir gar nicht aufgefallen.«

»Du machst ein Gesicht wie eine aufgeschlitzte Schlange.«

»Wie eine was

»Ich meine, es ist ja nicht so, als ob wir komplett von der Rolle gewesen wären. Niemand hat sich auf mich gestürzt.«

Sie hat weder einen in der Krone noch einen Kater, merkte Jamie. Sie ist die Expeditionspsychologin und unsere Ärztin. Diese kleine Visite ist nicht persönlicher, sondern beruflicher Natur. Sie will mir auf den Zahn fühlen.

Er fragte sich, ob sie Parfüm aufgelegt hatte. Ein leichter, blumiger Duft kitzelte ihn in der Nase. Vielleicht will sie mit Parfüm den Körpergeruch überdecken. Ohne das Wasser aus dem Aufbereiter hatten sie nach ihrem langen Tag voller anstrengender körperlicher Arbeit auf eine Dusche verzichten müssen.

»Ich wünschte, jemand hätte Bier mitgebracht«, sagte Shektar, als sie einen Spritzer Orangensaft aus dem Spender zapfte. Sobald die Wasserleitung wieder frei war, würden sie Pulverkonzentrat mit Trinkwasser mischen und den kostbaren abgepackten Proviant für Notfälle aufbewahren.

»Wozu willst du Bier, wenn du doch Champagner hattest?«, fragte Jamie.

Sie zuckte die Achseln, und die Bewegung erregte ihn trotz des unförmigen Pullovers. »Aussie-Bier ist viel besser als Aussie-Schampus«, sagte sie.

Jamie hätte gern heißen Kakao getrunken, begnügte sich aber mit einem Teebeutel und einem Spritzer heißen Wassers.

»Hoher Rang hat seine Vorrechte«, meinte Shektar, als sie sich an den Tisch setzten.

Jamie blinzelte sie verwirrt an.

»Du hast dir was von unserer Wasserreserve genommen«, erklärte sie.

»Ach so. Wir nehmen den Generator ja morgen in Betrieb.

Das Wasser wird schon nicht knapp werden.«

Sie lehnte sich so entspannt in ihrem Stuhl zurück, als wären sie in einem Cafe um die Ecke. »Und wenn doch, müssen wir zur Erde zurück, oder?«

»Nein.«

»Du bist sehr zuversichtlich.«

Jamie zwang sich, sie anzulächeln. »Ist das ein Psychotest?«

Sie lächelte zurück. »Nein, eigentlich nicht. Ich hab nur eine Gelegenheit gesucht, ein paar Minuten unter vier Augen mit dir zu sprechen. Auf dem Schiff war das schwer.«

»Hier ist es einfacher.«

»Ja. Viel mehr Platz in der Kuppel.«

»Und?«

Shektar trank einen Schluck Saft und stellte ihren Plastikbecher dann auf den Tisch. Sie beugte sich ein wenig näher zu Jamie und sagte: »Zwischen Dex und dir wird's bald knallen, wenn du nicht aufpasst.«

Darum geht es also, dachte Jamie. Laut erwiderte er:

»Nein, wird es nicht. Dafür werde ich schon sorgen.«

»Wie willst du's denn verhindern?«

Jamie zögerte, dann antwortete er: »Ich werde nicht die Beherrschung verlieren. Ich verstehe, was in ihm vorgeht, aber ich werde nicht zulassen, dass es mir Probleme bereitet.«

»Es bereitet dir ja jetzt schon Probleme. Das sieht doch ein Blinder.«

»Hör zu«, sagte Jamie, »ich weiß, dass Dex' Vater eine zentrale Rolle bei der Finanzierungskampagne für diese Expedition gespielt hat. Aber jetzt sind wir weit weg von Daddy. Dex wird das schon noch begreifen, und zwar ganz von selbst. Hier auf dem Mars ist es völlig unwichtig, wen man zum Vater hat oder was auf der Erde geschehen ist.

Hier auf dem Mars zählt nur eins, nämlich was man kann, was man zuwege bringt.«

»Hübsche Theorie, aber …«

»Ich werde nicht zulassen, dass er mir zu sehr auf die Nerven geht«, beharrte Jamie und verhinderte mit einer bewussten Anstrengung, dass sich seine Hände zu Fäusten ballten. »Unsere Arbeit hier ist zu wichtig, als dass wir sie von persönlichen Querelen stören lassen dürften.«

»Glaubst du wirklich, du kannst anderthalb Jahre hier leben, ohne dass es eine irgendwie geartete Konfrontation gibt?« Shektars Miene war vollkommen ernst; sie sah Jamie unverwandt in die Augen.

»Ja«, sagte er. Er konnte den Blick nicht von diesen Augen abwenden: so tief und dunkel, leuchtend und ernst. Ihr mitternachtsschwarzes Haar war nach hinten gekämmt und im Nacken festgesteckt. Jamie fragte sich, was sie tun würde, wenn er dort hinlangte und es löste, sodass es ihr locker um die Schultern fiel. Ihm wurde bewusst, dass er seit fast einem Jahr nicht mehr mit einer Frau geschlafen hatte.

Shektar schien etwas zu spüren. Sie wandte den Blick einen Moment lang ab.

»Das krieg ich schon hin«, versicherte ihr Jamie und bemühte sich, seiner Stimme einen lockeren, entspannten Klang zu verleihen. »Ich lasse nicht zu, dass er mich in Rage bringt.«

»Der stoische Indianer, was?«, sagte sie ohne Humor.

»Auch wenn deine Feinde dich auf dem Scheiterhaufen verbrennen, du gibst keinen Mucks von dir.«

Jamie packte sie an ihrem schmalen Handgelenk. »Niemand verbrennt mich, und niemand wird hier sterben. Wir werden diesen Planeten so umfassend wie möglich erforschen, und Dex muss einfach lernen, dass er ein Mitglied des Teams ist und nicht der Missionsleiter.«

»Er ist ein Alphamännchen, weißt du. Genau wie du.«