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Vijay schien ganz in Gedanken zu sein.

»Was soll ich seinetwegen unternehmen?«, fragte Jamie.

Ihre dunklen Augen richteten sich wieder auf Jamie. »Da kannst du nicht viel tun, Er ist nicht übergeschnappt. Und ich bezweifle, dass er gefährlich ist, außer …« Sie verstummte.

»Außer?«, hakte Jamie nach.

Vijay biss sich sekundenlang auf die Lippe, dann antwortete sie: »Außer er hat diese Unfälle selbst verursacht und projiziert die Schuld nun auf Stacy.«

Jamie war wie betäubt.

»Ich glaube nicht, dass es so ist«, fügte Vijay rasch hinzu.

»Es war nur so ein Gedanke.«

»Toller Gedanke.«

»Was meinst du zu all dem? Bist du überzeugt, dass diese Unfälle wirklich zufällig passiert sind?«

»War ich, aber jetzt … ich weil? es einfach nicht.«

»Ich verstehe.«

»Ich werde auch langsam paranoid«, sagte Jamie.

»Nicht ungewöhnlich unter diesen Umständen. Jeder verdächtigt jeden.«

»Was soll ich tun?«, fragte Jamie erneut.

Vijay hob die nackten Schultern. »Du kannst nicht viel tun, Jamie. Behalte ihn im Auge. Hör ihm verständnisvoll zu. Muntere ihn auf. Ich werde einen Grund finden, zu euch zu kommen und mit ihm zu reden.«

»Okay. Gut.«

»Tut mir Leid, mehr hab ich dir im Moment nicht zu bieten, Kamerad.«

»Es ist schon eine Erleichterung, einfach nur mit dir dar

über sprechen zu können.«

Sie lächelte erneut, aber jetzt lag eine Spur Traurigkeit darin. »Ja, es ist schön, mit dir zu sprechen, das finde ich auch.«

Er wollte ihr sagen, dass er sie vermisste, wollte ihr sagen, dass er ihre Wärme, ihren Trost brauchte, dass ihm ein Leben ohne sie öde und leer erschien. Aber es gelang ihm nicht, die Worte zu formen. Stattdessen sagte er einfach nur:

»Danke, Vijay.«

Sie schien ebenfalls nicht die richtigen Worte zu finden.

Eine ganze Weile sahen sie sich gegenseitig über ihre Bildschirme an.

Endlich sagte Vijay: »Nacht, Jamie.«

»Gute Nacht.«

Ihre Bild erlosch. Der Bildschirm wurde dunkel. Jamie zog seine Unterwäsche aus und streckte sich auf seiner Liege aus. Er grinste in die Schatten der abgedunkelten Kuppel hinauf.

Sie kommt her! Sie wird schon eine Ausrede dafür finden.

Ich sollte Mitsuo dankbar sein.

Sein letzter Gedanke, bevor er einschlief, galt ihren nackten Schultern. Hatte sie überhaupt etwas angehabt, als sie miteinander gesprochen hatten? War sie vielleicht ganz nackt gewesen?

Fuchidas Laune schien sich zu bessern, als Trudy sich zu ihm gesellte. Die beiden Biologen fingen sofort an, miteinander zu schwatzen, als sie durch den Zugangstunnel kam.

Am nächsten Morgen fuhren sie an den Buckyball-Seilen zum Boden des Canyons hinunter, um gemeinsam an den Flechten zu arbeiten.

Auch Tomas war augenscheinlich besserer Dinge. Er und Trudy teilten ganz offen das Bett, ohne dass jemand dumme Fragen stellte. Jamie musste zugeben, dass Trudy alles freundlicher aussehen ließ. Wenn sie nur nicht jeden Morgen vor Tagesanbruch ihre unablässigen Joggingrunden in der Kuppel gedreht hätte.

Die einzigen negativen Töne kamen von Dex. Er rief Jamie jeden Tag an, um über den Fortschritt der Vorbereitungen für die nächste Expedition zu berichten.

»Der liebe alte Dad hat seine ärztlichen Untersuchungen überstanden«, sagte Dex traurig. »Sein Blutdruck war vollkommen normal. Gott weiß, welchen Medikamenten-Cocktail er vorher eingenommen hat.«

Am nächsten Tag berichtete Dex: »Mein alter Herr hat mir

'ne Nachricht geschickt. Es ging um unseren Versuch, das IUK dazu zu bewegen, Anspruch auf unser Territorium auf dem Mars zu erheben. Er hat so gelassen und kühl wie ein Gletscher hinter seinem verdammten großen Schreibtisch gehockt und mir erklärt, wenn ich so 'ne Nummer noch mal abzöge, würde er mich enterben.«

»Oh nein«, stöhnte Jamie.

Dex' Grinsen war wild. »Als ob ich sein verdammtes Geld brauchte. Ich kann mir meinen Lehrstuhl an den Unis nach Belieben aussuchen, wenn ich nach Hause komme.«

Jamie warnte ihn sanft: »Das Gehalt eines Professors ist nicht ganz dasselbe wie die Art Geld, die du gewohnt bist, Dex.«

Mit einer ungeduldigen Handbewegung sagte Dex: »Ich weiß, wie man Geld macht, Kumpel. Hab meinem Vater mein Leben lang dabei zugesehen. Soll er mich ruhig aus seinem Testament streichen! Ist mir scheißegal! Ich werd ihm zeigen, dass ich verdammt gut ohne ihn und sein Geld leben kann!«

Na klar doch, antwortete Jamie stumm. Laut sagte er zu Dex: »Schneid dir nicht ins eigene Fleisch …«

»Blödsinn!«, fauchte Dex. »Er versucht mir die Eier abzuschneiden. Dem werd ich's zeigen!«

Erst Stunden später wurde Jamie bewusst, dass es ihm kein Kopfzerbrechen mehr bereitete, ob Dex und Vijay wieder etwas miteinander anfangen würden. Vor ein paar Monaten hätte ihn eine solche Erkenntnis sehr glücklich gemacht, aber jetzt beunruhigte ihn vor allem die Sache mit Dex' Vater, der herkommen wollte, um diesen Teil des Mars für seine geschäftlichen Pläne zu beanspruchen.

Er fragte sich, warum er sich keine Sorgen mehr wegen Vijay und Dex machte. Es lag nicht daran, dass Vijay ihm gleichgültig war. Er machte sich mehr aus ihr, als er ihr gegenüber zugeben konnte. Aber hier auf dem Mars waren all diese persönlichen Beziehungen verworren. Sie hat Recht, wenn sie verhindert, dass es zu ernst wird. Was zwischen uns ist, werden wir erst dann wirklich klären können, wenn wir zur Erde zurückkehren, sagte sich Jamie. Falls überhaupt.

Jetzt ist es zunächst einmal wichtig, ja sogar unbedingt notwendig, Darryl C. Trumball daran zu hindern, dem Mars das anzutun, was seine Vorväter den amerikanischen Ureinwohnern angetan haben.

Jamies Großvater kam erneut zu ihm, in einem Traum.

Aber nicht gleich. Jamies Traum begann in dem nackten, kalten, verlassenen Felsenbauwerk. Er ging mit langsamen, zielstrebigen Schritten durch all die stummen, leeren Kammern, wie er es nun schon seit vielen Monaten jeden Tag tat. Diesmal trug er jedoch keinen Raumanzug, sondern nur seinen fadenscheinigen, abgenutzten Overall.

Er berührte die Wände, strich mit den Fingerspitzen über die anmutigen, gebogenen Linien der in die Steine geritzten Schrift. Er spürte die Sonnenwärme, die von den geheimnisvollen Symbolen ausging.

Außer ihm war niemand da. Er drehte sich um und verließ den aufgegebenen Tempel, dann kletterte er langsam die schmalen, steilen Stufen hinunter, die so mühsam in die zerklüftete Felswand gehauen worden waren. Unten am Grund des Canyons, wo der Fluss friedlich durch üppige, blühende Felder strömte, wartete das Dorf auf ihn.

Die Angehörigen des Volkes waren da, lebendig und vital wie er selbst, aber sie schenkten ihm keine Aufmerksamkeit.

Sie gingen ihren Verrichtungen nach; Männer versammelten sich auf dem zentralen Platz, unterhielten sich und zeigten zu einem fernen Horizont, einem Rendezvous mit der Zukunft. Frauen saßen auf ihren Türschwellen und flochten Körbe, während ihre Kinder lärmend herumliefen und spielten. Überall ertönte Gelächter, alles war von der Wärme des Lebens erfüllt.

Sie waren real, und er war ein blasser Geist, nahezu unsichtbar für sie. Er kannte ihre Gesichter, die robusten, breitwangigen Gesichter seiner Ahnen. Ihre dunklen Haare und noch dunkleren Augen. Er suchte seinen Großvater, fand ihn aber nicht.

Dann ein Durcheinander am anderen Ende des Dorfes.

Ein Tumult. Leute blieben wie festgewurzelt stehen und blickten die lange Straße hinunter. Männer liefen mit finsteren Gesichtern, aus denen Zorn oder vielleicht auch Furcht sprach, auf den Lärrn zu.

Fremde waren dort, bleiche Männer auf schnaubenden, aufstampfenden Pferden. Jamie erkannte einen von ihnen: Es war Darryl C. Trumball. Er rief Befehle und deutete mit einer Hand hierhin und dorthin, während er mit der anderen sein bockendes, wieherndes Pferd im Zaum hielt.