»Nein«, brüllte Rodriguez. »Trudy ist da drin!«
Jamie kam bis zur Luke, aber die Hitze und der dicke schwarze Rauch trieben ihn zurück; er hustete und rieb sich die Augen. Rodriguez drängte sich an ihm vorbei und stürzte sich durch die Luke.
»Warte!«, brüllte Jamie, aber es war zu spät. Rodriguez verschwand im Rauch.
»Hier, nimm das.« Jamie drehte sich um und sah, dass es Vijay war. Sie gab ihm eine Sauerstoffmaske.
»Schnelle Reaktion«, sagte er und zog sich das Plastikding über Mund und Nase.
Vijay klatschte ihm den kleinen Sauerstoffbehälter auf den Rücken und befestigte ihn mit Klettband.
»Fertig«, rief sie über das Prasseln der Flammen hinweg.
Der kalte, metallische Geruch des Sauerstoffs stieg Jamie in die Nase.
»Macht die Luke hinter mir zu«, sagte er.
»Nein!«, entfuhr es Vijay.
»Macht sie zu!«, befahl er.
»Ich mach's«, sagte Dex. »Klopf einfach, wenn ich sie wieder aufmachen soll.«
Mit einem Nicken tauchte Jamie durch die Luke. Sofort begannen ihm die Augen zu tränen. Im Tunnel war es heiß; es kam ihm vor, als würde er in einen Hochofen hineingehen.
Mit zusammengekniffenen Augen, sich vor den Flammen duckend, die ihm entgegen schlugen, rückte Jamie langsam vor. Dann fühlte er, wie sich von hinten ein Schwall Wasser über ihn ergoss.
Dex schloss zu ihm auf und grinste ihn durch die Plastikmaske an. Er hielt eine tropfende Kiste in beiden Händen, in der Wasser schwappte.
»Fuchidas Idee«, sagte er.
Jamie nickte. »Mach dich auch nass.«
Durch die offene Luke sah Jamie, dass das Gewächshaus ein Meer aus Flammen und rußigem Rauch war. Da drin kann nichts leben, heulte eine Stimme in seinem Kopf. Da drin ist nichts mehr am Leben.
Aber Jamie arbeitete sich Schritt für Schritt weiter voran.
Er spürte die Hitze der Flammen auf seinem Gesicht. Dex blieb an seiner Seite.
Direkt bei der zweiten Luke sah er zwei ausgestreckt daliegende Körper: Rodriguez auf Trudy, beide rußgeschwärzt und voller Brandblasen.
Dex übergoss sie mit seinem restlichen Wasser, warf die Kiste dann weg, bückte sich und half Jamie, das verletzte Paar durch die Luke herauszuziehen.
»Sag ihnen, sie sollen die Innenluke schließen!«, befahl Jamie. Dex drehte sich um und eilte durch den Tunnel zurück. Jamie stellte sich vor, dass die Wände glühend heiß sein mussten.
Die Luke schwang zu, und die beißende, sengende Hitze blieb dahinter zurück. Jamie sank zu Boden. Durch den dünnen Stoff seines Overalls fühlten sich die Bodenplatten warm an. Der Rauch begann sich zu verziehen. Dex, Mitsuo und Wiley erschienen.
»Sind sie tot?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Jamie. »Ich glaube, zumindest Tomas atmet noch.«
Behutsam hoben sie die verbrannten Körper hoch und trugen sie in die Hauptkuppel. Sobald die Männer sie auf den Boden gelegt hatten, begann Vijay, mit einer winzigen chirurgischen Schere ihre Overalls aufzuschneiden. Rodriguez stöhnte; seine Beine bewegten sich ein wenig.
Stacy kam aus dem Kommunikationszentrum. Sie war völlig ruhig, hatte alles im Griff. »Das Feuer ist aus. Ich habe die Luft aus dem Gewächshaus abgepumpt, sobald die Innenluke zu war.«
»Sie sind beide am Leben«, verkündete Vijay. »Bringen wir sie ins Krankenrevier. Nein, da ist nur ein Bett drin.
Bringt Trudy ins Krankenrevier, die hat's schlimmer erwischt. Schafft Tommy in seine Kabine.«
Jamie, Dex und Mitsuo trugen den Astronauten; sein Overall war am ganzen Oberkörper verbrannt, die Haut war geschwärzt und nässte. Stacy und Wiley nahmen Trudy, während Vijay zum Krankenrevier vorauslief.
Nachdem sie Rodriguez auf seine Liege verfrachtet hatten, merkte Jamie, dass ihm die Knie weich wurden. Dex legte ihm einen Arm um die Schultern und sagte leise: »Komm mit, Kumpel, du hast dir 'n Gläschen O-Saft verdient.«
Als sie müde am Tisch in der Messe saßen, sah Jamie, dass Fuchida in der Nähe stand und ihn ernst ansah.
»Du hattest Recht, Mitsuo«, sagte er matt.
»Ich wünschte, es wäre nicht so«, erwiderte der Biologe kopfschüttelnd.
»Wer von den beiden war's denn?«, fragte Dex, während er Jamie einen Becher Saft reichte und sich schwer auf den Stuhl neben ihm fallen ließ.
Jamie lehnte sich zurück und schaute in die Schatten der Kuppel hinauf. Es roch nach Rauch. Und Schweiß. Und Angst.
»Das ist nicht wichtig«, sagte er.
»Nein?«
Er zuckte die Achseln. »Nein. Das Wichtige ist, dass diese Expedition ruiniert ist. Wir können nicht länger hier bleiben. Es ist zu viel Schaden angerichtet worden. Wir müssen unsere Sachen packen und uns auf den Rückflug zur Erde machen.«
MORGEN: SOL 376
Jamie hatte Pete Connors noch nie so ernst gesehen. »Es ist wirklich ein totales Schlamassel«, sagte der Flugkontrolleur.
»Ihr habt Glück, dass ihr noch am Leben seid. Sie berufen eine Sondersitzung des IUK-Ausschusses ein; die werden die Sache garantiert als Unfall hinstellen wollen und sich irgendein Lügenmärchen zurechtbasteln. Niemand will der Öffentlichkeit erzählen, dass einer von euch ein Irrer ist.«
Jamie nickte, den Blick auf den Bildschirm gerichtet.
Draußen vor dem Kommunikationszentrum nahmen die anderen mechanisch ihr Frühstück ein.
»Tolles Timing übrigens«, fuhr Connors fort. »Die Nachschubmission hat genau elf Minuten, bevor eure Nachricht einging, die Triebwerke zum Einschuss in die Übergangsbahn gezündet. Sie sind auf dem Weg zum Mars. Werden an Sol fünfhundertzweiundzwanzig da sein, in fünf Monaten. Sie glauben, dass sie ein paar Wochen mit euch zusammen verbringen können, um sich einzurichten und zu orientieren. Jetzt werden sie allein landen und arbeiten müssen.«
Connors redete immer weiter, eher um etwas zu sagen, um das Gefühl zu haben, dass er etwas tat, als aus irgendeinem anderen Grund, dachte Jamie. Diese Katastrophe hat ihn fast ebenso hart getroffen wie uns.
»Ihr müsst rausbekommen, wer von den beiden es getan hat, wer der Verrückte ist. Wir werden nichts verlauten lassen, macht euch deswegen keine Sorgen. Niemand hier will zugeben, dass einer von unseren eigenen Leuten die Expedition sabotiert hat. Aber wir müssen es wissen, wir müssen uns das psychologische Profil und den Hintergrund anschauen. Für die Zukunft, um sicherzustellen, dass so jemand gar nicht mehr in die engere Auswahl für zukünftige Missionen kommt.«
Für zukünftige Missionen?, dachte Jamie. Wird es zukünftige Missionen geben? Sie werden es nicht ewig geheim halten können. Früher oder später wird jemand die Geschichte durchsickern lassen. Er sah schon die Schlagzeilen vor sich: Wissenschaftlerin verliert auf dem Mars den Verstand, versucht Expedition auszulöschen.
»Wenn ihr mich fragt«, fuhr Connors fort, »ich denke, es war Hall. Ich kann nicht glauben, dass ein Astronaut, ein Flieger, dermaßen durchdreht. Es war nicht Rodriguez; darauf würde ich meinen Kopf verwetten.«
Jamie nickte stumm und zustimmend.
Nachdem Connors sich verabschiedet hatte, stand Jamie auf und ging zur Gewächshausluke. Falls jemand bemerkte, dass er das Kommunikationszentrum unbeaufsichtigt verließ, so sagte er kein Wort.
Er stieß die Innenluke auf und betrat das Gewächshaus.
Nichts hatte sich verändert. Die Pflanzen waren zu Asche verbrannt, die Kästen nur noch verdrehte, verbogene Metallgebilde. Die Glasbausteine der Decke und einer Wand waren verrußt, der Boden mit verbranntem Schutt übersät.
In der Luft hing ein beißender, leicht muffiger Geruch, den Jamie seit seiner Kindheit nicht mehr gerochen hatte, als er sich in dem unbenutzten Kamin seines Elternhauses versteckt hatte. Nichts war nass. Nichts tropfte. Im ganzen Gewächshaus war kein Laut zu hören, es war so still wie der Tod. Ein Schlamassel. Ein schreckliches, sinnloses Schlamassel.