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»Was soll das heißen?«

Shektar schaute ihm wieder in die Augen. »Ihr seid beide geborene Anführer. Ihr müsst beide der Leithammel sein.

Das ist geradezu ein Rezept für Probleme. Vielleicht sogar für eine Katastrophe.«

Jamie war genervt, beinahe verärgert. »Warum habt ihr Psychologen dann zugelassen, dass wir beide an dieser Mission teilnehmen?«, fragte er.

»Weil Dex schlau genug war, es zu verbergen«, antwortete sie. »Er wusste, wonach die Psychologen mit ihren Tests suchten, und hat sie alle an der Nase rumgeführt.«

»Dich auch?«

»Mich auch«, gab sie zu. »Erst als ihr beiden euch auf dem Herflug in die Haare gekriegt habt, wurde mir klar, was für einen Fehler wir gemacht haben.«

»Du meinst, ich habe das gleiche psychologische Profil wie er?«

»Ihr seid beide Alphamännchen, das ist so klar wie Kloßbrühe. Ihr seid natürliche Konkurrenten.«

Jamie schüttelte den Kopf, eher erstaunt als ungläubig.

Sie missdeutete die Geste. »Schau dir dein eigenes Verhalten bei der ersten Expedition an. Du hast die Macht an dich gerissen, oder nicht? Du hast den russischen Kosmonauten

– den eigentlichen Leiter des Bodenteams – untergebuttert und sogar den Missionsleiter dazu gebracht, dich zum Grand Canyon fahren zu lassen, stimmt's?«

»Nun … ja …«

Sehr ernst sagte sie: »Das ist Alphamännchen-Verhalten, Jamie. Typisch Leithammel. Herr im Haus. Kleiner König.«

»Und du meinst, Dex ist genau wie ich?«

»Dasselbe Profil. In vieler Hinsicht eine andere Persönlichkeit, aber ihn reiten dieselben Teufel wie dich.«

Jamie stieß die Luft aus. Dann fragte er: »Hast du ihm das auch erzählt?«

»Noch nicht. Ich wollte zuerst mit dir sprechen.«

»Glaubst du, es nützt was, mit ihm zu reden?«

»Nein. Offen gesagt, glaub ich das nicht.«

»Hm.«

»Er kann seine grundlegende Persönlichkeit ebenso wenig ändern wie du. Man kann kein anderer Mensch werden. Ich habe das Thema nur aus einem einzigen Grund dir gegen

über zur Sprache gebracht, nämlich weil du der Missionsleiter bist, und ich fand, dass du wissen solltest, was dir bevorsteht.«

»Was uns allen bevorsteht«, sagte Jamie.

»Richtig«, stimmte Shektar zu. »Wir sitzen alle im selben Kanu, nicht wahr?«

Jamie ließ sich das eine Weile schweigend durch den Kopf gehen. Shektar beobachtete ihn reglos, ohne ihm ihr Handgelenk zu entwinden.

»Okay«, sagte er schließlich. »Ich weiß nicht, ob es viel bringt, wenn man Dex darauf anspricht.«

»Es könnte seinen Konkurrenzdrang verstärken. Ihn anspornen, sich noch mehr ins Zeug zu legen.«

»Dann lass es bleiben«, sagte Jamie rasch. »Überlass es mir, die Sache zu regeln.«

Sie löste sich sanft aus seinem Griff. »Ich werde versuchen, dir zu helfen, so gut ich kann, Jamie.«

Er grinste kläglich. »Vielleicht könntest du ihm ein paar Kilo Tranquilizer in seinen Vitaminvorrat schmuggeln.«

Sie lächelte zurück. »Tut mir Leid, dass ich dich schon gleich in der ersten Nacht damit behellige, aber ich fand, du solltest lieber so bald wie möglich Bescheid wissen.«

»Ganz recht. Danke.«

Sie trank ihren restlichen Orangensaft mit ein paar großen Schlucken aus, sagte dann gute Nacht und machte sich auf den Weg zu ihrer Unterkunft.

Jamie saß allein in der matten Nachtbeleuchtung. Der Kuppelbau wurde von einem elektrischen Strom verdunkelt, der den Kunststoff polarisierte, damit die Wärme im Innern nicht in die eisige Nacht entwich. Alle anderen schliefen oder waren zumindest in ihren Quartieren.

Jamie schaute Shektar nach, und ihm wurde erneut bewusst, dass Sex früher oder später zu einem Problem werden würde. Sie konnte sechs Mäntel tragen, und es würde trotzdem nichts nützen, so viel war klar. Das Gleiche galt für die anderen Frauen. Wenn man Monat für Monat so eng mit ihnen zusammenlebte … vielleicht wird sie anfangen müssen, uns Triebdämpfer ins Essen zu mischen.

Während des fünfmonatigen Fluges zum Mars hatte es keine Probleme gegeben, was Sex betraf; wenn jemand mit jemand anderem ins Bett gegangen war, so hatten sie es heimlich getan, außer in einer Nacht. In der war Dex mit von der Partie gewesen, wie Jamie wusste. War Vijay seine Partnerin gewesen? Er hatte nie gefragt, hatte es eigentlich auch gar nicht wissen wollen.

Jamie erinnerte sich an Dr. Lis zaghafte kleine Lektion vor sechs Jahren:

»Wir haben alle einen gesunden Geschlechtstrieb«, hatte der Leiter der ersten Expedition gesagt. »Wir werden nahezu zwei Jahre zusammenleben. Als Ihr Expeditionskommandant erwarte ich, dass Sie sich entsprechend benehmen.

Wie erwachsene Menschen, nicht wie kindliche Affen.«

Guter Rat, dachte Jamie. Benehmt euch wie Erwachsene.

Toller Rat.

Vijay und Dex. Eine Sache für eine Nacht, sagte er sich.

Hat nichts zu bedeuten. Jedenfalls nicht viel. Warum warnt sie mich dann vor ihm? Was treibt sie für ein Spiel?

Er saß lange Zeit an dem Tisch in der Messe, lauschte dem Tuckern und Summen der Geräte, die sie auf dem Boden des Mars am Leben erhielten, und wartete darauf, dass die vertrauten Geräusche ihn beruhigten, ihm bestätigten, dass alles normal war.

Es funktionierte nicht. Jamie lehnte sich zurück und spähte in die Schatten der Kuppel hinauf, versuchte, nichts von alledem an sich herankommen zu lassen. Finde das Gleichgewicht, befahl er sich. Finde den Weg. Er schloss die Augen und verlangsamte bewusst seine Atmung. Dann hörte er es. Das leise Heulen des Windes draußen, der sanft über die Plastikblase aus einer anderen Welt strich.

Hörst du das, Großvater?, fragte er stumm. Das ist der Atem des Mars, die Stimme der roten Welt. Es ist eine sanfte Welt, Großvater. Sie heißt uns willkommen.

Hier auf dem Mars haben wir nichts zu befürchten, dachte Jamie. Wir haben die richtige Ausrüstung, wir können uns schützen und hier leben und arbeiten. Der Mars will uns nichts Böses. So lange wir nichts Törichtes tun, wird der Mars gut zu uns sein.

Die echten Gefahren sind diejenigen, die wir in uns tragen: Neid, Ehrgeiz, Eifersucht, Furcht, Habgier und Hass. Wir tragen es alles in uns, verschlossen in unseren Herzen. Selbst hier auf dem Mars haben wir uns nicht verändert. Es ist alles hier bei uns, weil wir es selbst mitgebracht haben.

Über dem Seufzen des kalten Nachtwinds glaubte er das wahnsinnige Gelächter von Cojote, dem Listenreichen, zu hören.

DOSSIER:

JAMES FOX WATERMAN

Es war ein Schock für Jamie, als ihm klar wurde, dass er nicht zu den Kandidaten für die zweite Marsexpedition gehörte.

Drei Jahre lang war er in der internationalen Wissenschaftlergemeinde eine Art Berühmtheit gewesen: der Mann, der darauf bestanden hatte, die Valles Marineris zu erforschen. Der Mann, dessen störrische Entschlossenheit zur Entdeckung von Leben auf dem Mars geführt hatte.

Er hatte Joanna Brumado geheiratet, eine der beiden Biologinnen und eigentlichen Entdeckerinnen. Joanna und ihre Kollegin, Ilona Malater, hatten gemeinsam einen speziellen Nobelpreis für ihre Entdeckung bekommen. Jamie reiste mit seiner brasilianischen Braut zu Konferenzen in aller Welt, oftmals begleitet von ihrem Vater, Alberto Brumado, dem zum Aktivisten gewordenen Astronomen, der sein Leben damit verbracht hatte, die Staaten und Konzerne der Welt zur Finanzierung einer bemannten Expedition zum Roten Planeten zu bewegen.

Die Ehe war von Anfang an ein Fehler gewesen. Geboren aus der erzwungenen Intimität der langen Jahre des Trainings und der eigentlichen Expedition zum Mars, ging sie praktisch schon in dem Moment in die Brüche, als Jamie und Joanna in der prachtvollen alten Candelaria-Kirche in Rio de Janeiro den Treueschwur ablegten. Jamie war eine Berühmtheit in Wissenschaftlerkreisen, aber Joanna war ein internationaler Star, ein Liebling der Medien, die Frau, die Leben auf dem Mars entdeckt hatte; wo immer sie auftauchte, hefteten sich sofort die Paparazzi an ihre Fersen.