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Jamie wartete, den Blick auf den leeren Bildschirm gerichtet. Kurz darauf war Rodriguez wieder da.

»Sie sitzt am Computer und unterhält sich mit Dex, wie's scheint.«

Jamie drehte sich auf dem Sitz im Cockpit um, und da hockte Dex tatsächlich auf seiner oberen Liege, über seinen Laptop gebeugt, den Widerschein des Bildschirms auf seinem grinsenden, jungen, hübschen Gesicht.

NACHT: SOL 7/8

»Jetzt kommt der schwierige Teil«, warnte Jamie.

Nachdem Deschurowa bereits den ganzen Tag gefahren war, steuerte sie nun den Rover auf dem stetig ansteigenden Gelände vorsichtig voran, umfuhr Felsblöcke von der Größe von Automobilen und schaltete herunter, als die Steigung stärker wurde.

Rechts von ihnen streifte die untergehende Sonne fast schon den zerklüfteten Horizont. Ihr blasser, rötlicher Schein fiel schräg ins Cockpit und warf lange Schatten auf den felsigen Boden. Die letzte Geo/Met-Bake des Tages war bereits vor zwei Stunden aufgestellt worden. Nur noch ein kleines Stück, dann hatten sie den größten Canyon im Sonnensystem erreicht.

»Der Rand kommt ganz plötzlich«, warnte Jamie fast im Flüsterton.

»Ich habe die Simulationen geflogen«, sagte Deschurowa ausdruckslos, ohne den Blick vom langsam vorbeiziehenden Boden zu nehmen.

»Entschuldigung«, murmelte Jamie.

Sie warf ihm einen raschen Blick zu. »Copiloten reden einem immer drein«, sagte sie mit unbeteiligter Miene.

Jame erhob sich halb aus seinem Sitz. »Ich glaube …«

»Ja.«

»Da ist er!«

Deschurowa trat so sanft auf die Bremse, dass Jamie kaum nach vorn geworfen wurde. Er saß da und starrte in die gigantische Schlucht hinab. Der Atem entwich aus seinen Lungen.

Da war er.

»Oora …«, sagte Stacy leise und gedehnt. Ihre Stimme war dumpf vor Ehrfurcht.

Sie schauten über den Rand des Grand Canyon, eines Spalts in der Welt, der so lang war wie die Strecke zwischen New York und San Francisco, über fünf Kilometer tief und so breit, dass man die andere Seite nicht sehen konnte. Der Boden fiel einfach jäh und ohne Vorwarnung ab. Tief, tief unten, in größerer Tiefe als die meisten Meeresböden auf der Erde, lag der Grund des Canyons, der sich bis zum Horizont und darüber hinaus erstreckte. Kein Nebelfetzen nahm ihnen die Sicht; sie konnten jede Einzelheit deutlich erkennen, soweit es die ungeheuren Entfernungen erlaubten.

»Kommt her und schaut euch das an!«, rief Deschurowa über die Schulter nach hinten.

»Sind wir da?«, fragte Trudy Hall, während sie und Trumball sich ins Cockpit drängten und hinter den Sitzen niederkauerten, um durch die Windschutzscheibe hinauszuschauen.

»Phantastisch«, flüsterte Hall.

Jamie warf einen Blick zu Trumball hinauf. Endlich war Dex einmal sprachlos; von Staunen überwältigt, blickte er auf das majestätische Tithonium Chasma hinaus.

Führe mich auf den rechten Weg, Großvater, betete Jamie stumm. Führe mich zur Harmonie, denn nur sie kann meinem Herzen Frieden bringen. Lass mich die Wahrheit finden, die in all dem liegt, und lass mich in Schönheit gehen.

Trumball fand endlich die Stimme wieder. »Ich sehe den Erdrutsch nicht, den ihr damals runtergefahren seid.«

»Er ist ein paar Klicks rechts von uns.« Jamie war sich dessen so sicher wie seines eigenen Namens.

Trumball, der hinter Jamies Sitz kniete, grunzte. »Indianerscout kennt Territorium, hm?«

Jamie blickte scharf zu ihm auf. »Da kannst du deinen Arsch drauf verwetten.«

Deschurowa tippte mit einem Finger auf die elektronische Karte an der Kontrolltafel. »Jamie hat Recht. Hier sind wir, und dort« – ihre Fingerspitze fuhr zu einem blinkenden grünen Punkt auf der Karte – »wollen wir hin.«

»Schaffen wir das noch, bevor es dunkel wird?«, fragte Hall.

»Nein.« Deschurowa schüttelte den Kopf. »Die Sonne steht schon am Horizont.«

»Trotzdem haben wir noch eine halbe Stunde bis zum Einbruch der Dunkelheit«, meinte Trumball.

Deschurowa drehte sich auf ihrem Sitz halb zu ihm um.

»Willst du dich im Dunkeln am Rand dieser Steilwand entlangtasten? Ich nicht.«

»So dunkel wird's nicht sein, jedenfalls nicht gleich. Und du hast doch die Scheinwerfer, Herrgott noch mal.«

Deschurowa bekam einen störrischen Zug um ihr breites Kinn. »Das ist nicht das Batmobil, und ich bin kein Shroomer.«

Trumball runzelte verwirrt die Stirn. Jamie grinste innerlich. Er hatte lange genug mit den Astronauten zu tun gehabt, um zu wissen, dass ›Shroomer‹ die Kurzform für

›Mushroomer‹ war, jemanden mit der intellektuellen Kapazität eines Pilzes.

»Ich finde trotzdem …«

Jamie schnitt Trumball das Wort ab. »Wenn es um die Sicherheit geht, haben die Astronauten das letzte Wort, Dex.

So lautet die Vorschrift.«

»Und wir halten uns immer an die Vorschriften, nicht?«, murrte Trumball.

Hall versuchte, die Situation zu entschärfen. »Wenn wir nur eine runde halbe Stunde bis dorthin brauchen, warum warten wir dann nicht bis morgen? Das macht doch nicht so viel aus, oder?«

Trumball grinste sie an, aber es wirkte halbherzig. »Ja, ich glaube, du hast Recht. Was soll's.«

Er stand auf und ging zu der winzigen Kombüse im hinteren Teil des Moduls. Widerwillig, dachte Jamie. »Ich fang schon mal mit dem Abendessen an«, rief er über die Schulter.

Hall folgte ihm und half ihm, die Packungen mit ihren Fertigmahlzeiten aus dem Gefrierschrank zu holen und in die Mikrowelle zu packen.

»Ich stelle noch eine Bake auf«, wandte sich Jamie an Deschurowa und erhob sich von seinem Sitz.

»Das heißt, ich muss auch in den Raumanzug steigen«, sagte sie mit einem Seufzen.

»Wir können die Vorschriften ein bisschen freier auslegen.

Ich werde nur ein paar Minuten draußen sein.«

Der Blick ihrer saphirblauen Augen zuckte zu Trumball.

»Die Vorschriften freier auslegen? Was meinst du, wie er das finden wird?«

Bevor Jamie antworten konnte, setzte Deschurowa hinzu:

»Außerdem würde ich gern für einen Moment hier rauskommen.«

Also gingen sie beide nach hinten zu den Raumanzügen, die bei der Luftschleuse untergebracht waren, und zogen sich an, während Trumball und Hall den Tisch ausklappten und mit ihrer Mahlzeit begannen.

»Wartet mit dem Nachtisch auf uns«, rief Deschurowa fröhlich.

»Ist gut«, sagte Hall.

Sie überprüften gegenseitig ihre Anzüge, dann nahm Jamie eine der Baken und betrat die Luftschleuse. Als er die Stange draußen zu voller Länge ausgezogen und ihr spitzes Ende in den Boden gerammt hatte, kam Deschurowa durch die Außenluke zu ihm heraus.

»Diese verdammte UV-Anlage macht immer noch Mucken«, beschwerte sie sich.

Jamie, der mit der Stange kämpfte, sagte: »Vielleicht sollten wir die ganzen Kabel bis zur Konsole durchchecken.

Um den Fehler zu finden.«

»Tja, ich glaube, uns wird nichts anderes übrig bleiben«, sagte Deschurowa. Dann fügte sie hinzu: »Man hätte die Stangen mit einem motorisierten Bohrer ausstatten sollen.«

Jamie bückte sich und grunzte vor Anstrengung, als er die Stange tiefer in den Boden drehte. »Muskelkraft ist billiger.«

Er richtete sich auf und schaltete seine Anzugbelüftung höher. Er spürte, wie ihm Schweiß an den Rippen herunterlief.

»Ich glaube, das reicht«, sagte er.

»Du hast das Licht nicht eingeschaltet«, erwiderte Deschurowa.

»Moment. Ich will sehen, ob …«

»Die Sonne ist untergegangen. Wir müssen wieder rein.«

»Gleich.«

»Was ist?«

Jamie wandte sich von dem schwachen, rosaroten Leuchten an jener Stelle ab, wo die Sonne hinter den zerklüfteten Horizont gesunken war. Der Himmel im Osten war schwarz und leer.

»Warte, bis deine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, Stacy.«