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Schließlich kam der Pickup bei der niedrigen Kuppel eines Hogans schlitternd zum Stehen. Jamie hielt neben ihm, aber der junge Mann setzte bereits zurück, um wieder nach Hause zu fahren.

»Danke!«, rief Jamie zum Fenster hinaus.

»'kay«, hörte er aus dem Transporter, als dieser Kies spuckend in die Nacht davonbrauste.

Angst vor dem Tod, dachte Jamie. Kein Navajo würde an einem Ort bleiben, wo jemand gestorben war, ob aus Respekt oder aus Angst vor bösen Geistern, wusste Jamie nicht. Nach Als Tod würden sie diesen Hogan aufgeben.

Was sie wohl mit Trailern machen, fragte sich Jamie, während er aus dem Minivan stieg.

Der Hogan war kaum mehr als ein rundlicher Buckel aus getrocknetem Lehm auf dem Wüstenboden. Durch ein einzelnes, mit Vorhängen verhängtes Fenster fiel Licht heraus.

Die Nacht war kalt, aber still, der dunkle Himmel so klar, dass die funkelnden Sterne fast zum Greifen nah wirkten.

Drinnen im Hogan war es irgendwie noch kälter. Jamie zog den Reißverschluss seiner himmelblauen Windjacke zu; das kümmerliche Feuer im Kamin warf ein flackendes Licht, spendete jedoch keine Wärme. In einer Ecke beim Feuer saß eine alte, in eine bunte Decke gehüllte Frau auf dem Boden. Sie nickte Jamie einmal kurz und wortlos zu, stumm und unerschütterlich wie ein Stein.

Al lag auf dem Bett in der anderen Ecke, zusammengerollt wie ein Baby, nur noch die Hülse des Mannes, der er einmal gewesen war, eine Hülse, deren Inneres der Krebs aufgefressen hatte. Dennoch schlug er die Augen auf und lächelte, als Jamie sich über ihn beugte.

»Ya'aa'tey«, flüsterte er. Sein Atem roch nach Verwesung und von der Sonne ausgedörrter Erde.

»Ya'aa'tey«, gab Jamie zurück. Es ist gut. Das war eine Lüge, an diesem Ort und zu dieser Zeit, aber es war der alte Gruß.

»Das hast du bei deiner Ankunft auf dem Mars gesagt.«

Als Stimme war schon so leise wie die eines Gespensts.

»Weißt du noch?«

Es waren die Worte, die Jamie kurz nach der Landung der ersten Expedition in die Fernsehkamera gesprochen hatte.

»Ich fliege wieder hin«, sagte Jamie und beugte sich tief hinunter, damit sein Großvater ihn hören konnte.

»Zum Mars? Wirklich?«

Jamie nickte knapp. »Es ist offiziell. Ich bin der Missionsleiter.«

»Gut«, hauchte Al mit einem schwachen Lächeln. »Der Mars ist dein Schicksal, mein Sohn. Dein Weg führt zur roten Welt.«

»So ist es wohl.«

»Geh in Schönheit, mein Sohn. Jetzt kann ich glücklich sterben.«

Nein, du wirst nicht sterben, Großvater, wollte Jamie sagen. Du wirst noch viele Jahre leben. Aber die Worte kamen ihm nicht über die Lippen.

Al stieß einen Seufzer aus, der seinen zerbrechlichen Körper schüttelte. »Bald kommen die Himmelstänzer. Sie werden mich mitnehmen.«

»Die Himmelstänzer?«

»Du wirst schon sehen. Warte mit mir. Es wird nicht mehr lange dauern.«

Jamie zog sich den einzigen Stuhl im Hogan heran und setzte sich zu seinem Großvater ans Bett. Seine Eltern waren vor zwei Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Al war der einzige nahe Verwandte, den er noch hatte. Nach ihm würde nichts und niemand mehr da sein.

Der alte Mann schloss die Augen. Jamie konnte nicht erkennen, ob er noch atmete. Das einzige Geräusch in dem kalten kleinen Raum war das Knistern des Feuers, als die schweigende Frau Holz nachlegte.

Der Holzstuhl war hart und steif, die aus Seil geflochtene Sitzfläche so unnachgiebig wie Stein, aber Jamie döste trotzdem unwillkürlich ein. Er sprang von einer hohen Klippe, nackt in der heißen Sonne, und fiel langsam in die Tiefe, wie in einem Traum, fiel an der Steilwand des blutroten Tafelberges hinab.

Er schreckte abrupt hoch. Al hatte die Hand in sein Knie gekrallt.

»Die Himmelstänzer!«, krächzte Al mit seiner schwachen Stimme. »Sie sind da!«

Er redet wirres Zeug, dachte Jamie und drehte sich zu der Frau um, die immer noch schweigend am Feuer saß. Sie blickte mit dunklen, ruhigen Augen zu ihm auf, sagte jedoch nichts.

»Schau nach!« Al zeigte mit einem zittrigen Finger zum verhängten Fenster. »Geh hinaus und schau nach!«

Verwirrt hievte Jamie sich von dem Stuhl hoch und ging zur Tür. Dort hielt er zögernd inne und drehte sich zu seinem Großvater um.

»Nun mach schon!«, drängte Al aufgeregt und versuchte, sich auf einen ausgemergelten Arm zu stützen. »Du wirst schon sehen!«

Jamie öffnete die Tür und trat in die kalte, dunkle Wüstennacht hinaus. Sein Atem gefror in der Luft. Er schaute zu den Sternen hinauf.

Und sah schimmernde Schleier aus zartem Rosarot, Blassgrün und flackerndem Weiß über den Himmel pulsieren.

Sie tanzten stumm, glitzerten, kräuselten sich und überzogen den Himmel mit ihrem geisterhaften Glanz.

Das Nordlicht, wie Jamie wusste. Auf der Sonne musste es eine gewaltige Eruption gegeben haben. Dann sagte der Navajo in ihm: die Himmelstänzer. Sie kommen Al holen.

Jamie stand wie angewurzelt da und beobachtete das zarte, Ehrfucht gebietende Schauspiel am Nachthimmel. Er erinnerte sich, dass man auf dem Mars fast jede Nacht Polarlichter hatte sehen können, selbst durch die getönte Sichtscheibe des Raumanzughelms hindurch, aber hier auf der Erde waren die Himmelstänzer selten. Aber so schön, dass sie sogar dem Tod einen Teil des Schreckens nahmen.

Schließlich bückte er sich und ging wieder in den Hogan hinein. Sein Großvater lag reglos da, das Gesicht zu einem letzten Lächeln erstarrt. Die Frau war an sein Bett getreten und strich die Decke über ihm glatt.

»Adieu, Großvater«, sagte Jamie. Er hatte das Gefühl, dass er weinen sollte, aber es kamen keine Tränen.

Er verließ den Hogan wieder und ging langsam zu seinem Minivan. Jetzt ist niemand mehr da, sagte er sich. Nichts und niemand hält mich noch hier.

Tief unten am zerklüfteten Horizont sah ihn das starre rote Auge des Mars unverwandt an, leuchtend und lockend. Zwei Wochen später hob er mit einer Clippership-Rakete vom Kennedy Space Center ab und trat die erste Etappe seiner Rückkehr zum Mars an.

DATENBANK

Die erste Marsexpedition bestätigte viele Entdeckungen früherer Robotersonden auf dem Roten Planeten.

Der Mars ist eine kalte Welt. Er zieht seine Bahn im etwa anderthalbfachen Abstand der Erde um die Sonne. Seine Atmosphäre ist bei weitem zu dünn, um die Sonnenwärme zu halten. An einem klaren Sommertag kann die Bodentemperatur am marsianischen Äquator bis auf 21 Grad Celsius steigen; in der gleichen Nacht wird sie jedoch auf 70 Grad unter Null oder tiefer stürzen.

Die Atmosphäre des Mars ist so dünn, dass man sie selbst dann nicht atmen könnte, wenn sie aus reinem Sauerstoff bestünde, was nicht der Fall ist. Die marsianische ›Luft‹ besteht zu über 95 Prozent aus Kohlendioxid und enthält fast 3 Prozent Stickstoff, eine winzige Menge freien Sauerstoff und noch weniger Wasserdampf. Der Rest der Atmosphäre besteht aus trägen Gasen wie Argon und Neon, einem Hauch Kohlenmonoxid und einer Spur Ozon.

Im Gegensatz zu all den automatischen Landern und Orbitern entdeckte die erste Marsexpedition jedoch noch etwas anderes: Leben.

Ganz unten auf dem Grund der gewaltigen Valles Marineris – des Grand Canyon, der sich rund dreitausend Kilometer weit über das rötliche Antlitz des Planeten erstreckt –

klammern sich spärliche Kolonien flechtenartiger Organismen, die sich ein paar Millimeter unter der felsigen Oberfläche verstecken, an ein permanent bedrohtes Leben. Tagsüber saugen sie Sonnenlicht auf und entnehmen das erforderliche Wasser aus den verschwindend geringen Spuren von Wasserdampf in der Luft. Nachts treten sie in den Ruhezustand ein und warten auf die neuerliche Berührung der Sonnenwärme. Ihre Zellen sind von einer alkoholhaltigen Flüssigkeit umgeben, die verhindert, dass sie erfrieren, selbst wenn die Temperatur auf siebzig und mehr Grad unter Null sinkt.