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»Wenn du die Erde sehen willst, die ist nicht …«

»Nein«, flüsterte er. »Warte.«

»Worauf?«

Jamie sah sie. Schimmernde, geisterhafte Lichtbänder flackerten in spektralen Rosaund Weißtönen über den Himmel.

»Ein Nordlicht!«, stieß Deschurowa hervor.

»Die Himmelstänzer«, sagte Jamie leise, mehr zu sich selbst als zu ihr.

»Das muss von einer Sonneneruption kommen … irgendeine Störung …«

»Nein«, hörte Jamie sich sagen. »Die Magnetosphäre des Mars ist so schwach, dass der Sonnenwind überall auf dem Planeten die oberen Atmosphärenschichten trifft. Die Lichter erscheinen fast jeden Abend, gleich nach Sonnenuntergang. Sie verschwinden aber ziemlich rasch wieder.«

Der Navajo in ihm sagte: Die Himmelstänzer sind hier, Großvater. Ich sehe sie. Ich verstehe sie. Sie bringen deinen Geist zu mir, Großvater. Es ist gut, dass du hier bei mir bist.

Es bringt Kraft und Schönheit.

Die Alten lehrten, dass das Volk einst in einer roten Welt lebte, lange bevor es in die Wüste kam, in der es nun lebt.

Cojote, der ewig Listenreiche, verursachte eine gewaltige Flut, die alle getötet hätte, wenn es ihnen nicht gelungen wäre, sicher zur blauen Welt zu gelangen.

TRANSIT

Es half alles nichts, Jamie hatte die Kabinen im Marsraumschiff immer klein, eng und erstickend gefunden.

Er wusste, dass sein Abteil sogar ein bisschen größer war als das Quartier, das er im Schiff der ersten Expedition bewohnt hatte, aber damals war das Raumfahrzeug mit einer geräumigen Messe ausgestattet gewesen, in der alle zwölf Wissenschaftler und Astronauten an Bord Platz fanden.

Und es hatte auch ein Beobachtungszentrum gegeben, einen Raum, in dem Jamie zumindest für kurze Zeit ganz für sich allein sein konnte.

Das Schiff der zweiten Expedition war kreisförmig angelegt. Jedes der acht Abteile hatte die Form eines Tortenstücks, und alle waren genau gleich groß. Außen herum verlief ein Korridor, von dem sämtliche Kabinen abgingen.

Er diente auch als Trudy Halls Laufstrecke. Während der ganzen fünf Monate des Fluges zum Mars wurde Jamie allmorgendlich von ihrem unbarmherzigen, dumpfen Stampfen geweckt, immer rundherum, eine ganze Stunde lang.

In jeder Kabine führte die Tür am breiten Ende des Tortenkeils auf den Korridor hinaus. Die Tür am schmalen Ende führte zu einem der zwei Waschräume des Schiffes; die drei Frauen teilten sich einen Waschraum, die fünf Männer den anderen.

Aussichtsfenster gab es nicht. An einer Wand jedes Wohnabteils hatten die Konstrukteure des Schiffs einen flachen Bildschirm angebracht, ein elektronisches ›Fenster‹, das Bilder von draußen oder Videos zeigen konnte, ganz nach Lust und Laune des Bewohners. Man konnte es auch als Computermonitor benutzen.

Ihr zylindrisches Raumschiff kreiste am Ende eines fünf Kilometer langen Raumseils aus mikroskopisch kleinen Röhrchen aus Buckyballs, künstlich erzeugten Kohlenstoffmolekülen, die wie geodätische Kugeln geformt waren. Die Buckyball-Seile waren widerstandsfähig, leicht und geschmeidig und hatten eine größere Reißfestigkeit als die stärksten Metalllegierungen. Am anderen Ende des Raumseils befand sich das Atomraketensystem mit seinem Strahlungsschild. Die beiden Module rotierten um ihr gemeinsames Zentrum und vermittelten den Forschern dadurch ein Gefühl von Schwerkraft: ein volles terrestrisches Ge, als sie die Umlaufbahn um die Erde verließen, das langsam bis zum Drittel-Ge des Mars absank, während sie den Abgrund zwischen den Planeten durchquerten. Somit würden die Forscher an die Marsschwerkraft gewöhnt sein, wenn sie landeten.

Trotz des elektronischen Fensters fühlte sich Jamie wie ein eingesperrtes Tier, wie ein Sträfling im Gefängnis. Im Raumschiff war es nie ganz still; Pumpen tuckerten, Lüfter summten, Computer piepsten. Er hörte es, wenn sich Leute drei, vier Abteile weiter unterhielten. Jeden Tag klang Trudy Halls endloses Joggen im Außenkorridor wie eine chinesische Wasserfolter, wenn sie unablässig in ihrem exakten Trab dahinstampfte.

Jamie verbrachte so wenig Zeit wie möglich in seiner Unterkunft. Er zog die Kombüse in der Ebene darüber vor. Sie war immerhin groß genug, dass sie alle acht Platz darin fanden, obwohl es dann ziemlich eng wurde. Da oben stießen sie buchstäblich immer zusammen. Auf das »Guten Morgen« folgte unweigerlich ein »Entschuldigung, tut mir Leid«. Die Kombüse fungierte auch als Besprechungsraum.

Einen anderen Raum gab es nicht. Ihr Raumschiff war unter dem Gesichtspunkt der Kostenminimierung und nicht des maximalen Komforts für die Mannschaft konstruiert worden.

Trotz der Enge, oder vielleicht gerade wegen ihr, war jedermann extrem höflich. Meistens. Niemand beklagte sich über Körpergeruch oder abgedroschene Witze. Niemand spielte Disks oder Videos ab, ohne einen Ohrstöpsel zu benutzen, außer wenn alle zuhören oder zusehen wollten.

Wenn sich zwei zusammentaten, um miteinander zu schlafen, hielten sie den Mund, sowohl während des Akts als auch hinterher. Meistens.

Dennoch gab es Spannungen. Possum Craig wurde ein bisschen wegen seiner Nase aufgezogen, aber Jamies Ansicht nach war er empfindlich, was seinen Status als Handwerker des Teams betraf. Er war ein ausgebildeter Wissenschaftler, wie Jamie wusste, hatte aber immer nur bei Erdölfirmen statt an Universitäten gearbeitet. Die anderen Wissenschaftler blickten unbewusst auf ihn herab.

Vijay Shektar schien permanent auf der Hut vor sexuellen Annäherungsversuchen zu sein. Bei ihrer ersten Begegnung war sie Jamie wie eine attraktive junge Frau erschienen, aber nach dem monatelangen Eingepferchtsein im Raumschaff nahm sie für ihn allmählich die Züge einer jener sinnlichen Tänzerinnen in den Schnitzereien an der Fassade eines Hindu-Tempels an. Den anderen Männern ging es offenbar genauso, aber mit ihrer scharfen Aussie-Zunge machte sie jeden Mann zur Schnecke, der es bei ihr versuchte. Es dauerte mehrere Wochen, bis Tomas Rodriguez sich endlich geschlagen gab.

Fuchida war für Jamie schwerer zu ergründen. Er war stets außerordentlich höflich und schien sich in den beengten Räumlichkeiten absolut wohlzufühlen, aber sein Blick wirkte traurig und melancholisch, als sehnte er sich nach einem unwiederbringlich verlorenen Paradies. Jamie fragte sich, was den japanischen Biologen derart beschäftigte: War es etwas in seiner Vergangenheit, das ihm zusetzte, oder machte er sich Sorgen über Dinge, die noch in der Zukunft lagen?

Die andere Biologin, Trudy Hall, wirkte sehr distanziert; sie war intelligent und fast immer freundlich, aber keineswegs kontaktfreudig. Sie ging ihrer eigenen Wege und verbrachte ihre Zeit größtenteils mit Arbeit, meistens mit Fuchida zusammen.

Anastasia Deschurowa war das genaue Gegenteiclass="underline" Stacy wirkte düster, missmutig und abweisend, aber wenn man mit ihr sprach, kam sie aus sich heraus und erwies sich als freundliche, sympathische, überaus tüchtige Frau. Sie war starkknochig und um die Mitte herum eher füllig; ihre Bewegungen waren langsam, ihre Reflexe jedoch blitzschnell.

Bei einem obligatorischen Trainingsprogramm in den Badlands von Dakota hatte Jamie gesehen, wie sie mit bloßer Hand eine Feldmaus gefangen hatte, die schnuppernd in ihr Zelt gekommen war. Dann hatte sie das zu Tode erschrockene Nagetier ins Gestrüpp hinausgetragen und freigelassen.

Mit mehr als einem Dutzend Weltraumflügen für die Russen war Deschurowa die Ranghöhere der beiden Astronauten des Teams; außerdem war sie Jamies Stellvertreterin. Zusammen mit Rodriguez und im Verlauf der Wochen auch mehr und mehr mit Craig wartete sie die Ausrüstung und führte auf Geheiß der Astronomen auf der Erde die astronomischen Experimente durch.

Falls sich Rodriguez in seinem Machismo bedroht fühlte, weil er ihr unterstellt war, so ließ er es sich nicht anmerken.

Tomas schien ein liebenswürdiger, unbeschwerter Bursche zu sein, obwohl Jamie sich fragte, wie lange er auf so engem Raum mit den drei Frauen zusammenleben konnte, ohne dass es Probleme gab.