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Dennoch hörte er sich sagen: »Auf dem Rückweg zur Basis halten wir bei dem alten Rover an und untersuchen ihn, Dex.«

»Prima!«

»Das heißt nicht, dass wir noch mehr tun«, warnte ihn Jamie. »So weit stimme ich mit dir überein: Wir sollten nachsehen, ob der alte Rover noch zu benutzen ist.«

»Ist er bestimmt.«

»Weil du es so willst?«

»Weil es so ist«, sagte Dex mit der felsenfesten Gewissheit eines kleinen Jungen, der noch an den Weihnachtsmann glaubt.

Drei Tage lang studierte Trudy Hall die Flechte, die unmittelbar unter der Gesteinsoberfläche am Fuß der Steilwand des Canyons lebte. Drei Tage und drei Nächte.

Hall wollte die Organismen in ihrem natürlichen Habitat studieren, insbesondere ihre Tag- und-Nacht-Zyklen. Da sie die Flechte deshalb nicht stören durfte, arbeitete sie hauptsächlich mit Fernerkundungssensoren. Sie machte Fotos, brachte Thermometer an, um permanent die Außen- und Innentemperatur des Gesteins aufzuzeichnen, nahm Proben von den Marsluft-Mikrometern in der Flechte und überwachte mit Infrarotkameras den Wärmestrom aus Steinen mit und ohne Flechten. Am zweiten Tag begann sie, direktere Untersuchungen an einigen Flechten vorzunehmen: Mit Jamies Hilfe führte sie Sonden in mehrere Steine ein, um chemische Mengenverhältnisse zu messen.

Trumball sammelte unterdessen Gesteinsproben, holte oberflächennahe Kerne herauf (ohne irgendwo auf Permafrost zu stoßen) und begann mit der detaillierten geologischen Kartierung des Gebiets. Und er stellte natürlich ein halbes Dutzend Geo/Met-Baken entlang eines sorgfältig abgesteckten Pfades auf, der parallel zur Felswand verlief.

Jamie half ihm. Dex ließ ein paar Sprüche darüber vom Stapel, dass der Missionsleiter als sein Assistent fungierte. Jamie überging sie kommentarlos.

»Wir müssen uns Proben aus der Felswand selbst besorgen«, erklärte er Jamie am zweiten Abend ihres Aufenthalts im Canyon. »Und Baken darin anbringen.«

Jamie nickte zustimmend. Sie standen im Innern des Rovers, direkt bei der Luftschleuse, und saugten mit schnurlosen Handsaugern den Staub von ihren Anzügen.

Der marsianische Staub roch so stechend nach Ozon, dass einem die Augen tränten, wenn er nicht sofort entfernt wurde.

»Immer noch kein Permafrost?«, fragte Jamie über das Heulen des Staubsaugers hinweg.

»Keine Spur. Muss tiefer unter der Oberfläche sein. Hier unten ist es ein paar Grad wärmer, weißt du.«

»Aber die Wärmestrommessungen …«

»Ja, ich weiß«, unterbrach ihn Trumball und bückte sich, um seine Stiefel zu reinigen. »Der Wärmestrom aus dem Innern ist hier schwächer als oben.«

»Trotzdem kein Permafrost.«

»Er muss tiefer unten sein.«

Jamie schüttelte den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn. Wie kann die Flechte hier leben, wenn weniger Wärme aus dem Innern heraufkommt und das Wasser weiter entfernt ist?«

Trudy Hall, die auf ihrer Liege saß, ihren Laptop auf den ausgestreckten Beinen, rief ihnen zu: »Hört euch meinen Vortrag nach dem Abendessen an, der wird all eure Fragen beantworten.« Dann machte sie ein nachdenkliches Gesicht und fügte hinzu: »Na ja, zumindest einige.«

Halls improvisierter Vortrag begann, nachdem sie die Überreste ihres Abendessens in den Wiederaufbereitungseimer geworfen und den Klapptisch saubergewischt hatten.

Jamie holte sich seine zweite Tasse heißen Kaffee und setzte sich dann auf seine Liege. Dex, der neben ihm saß, trank langsam und bedächtig einen Becher Fruchtsaft. Die oberen Liegen waren noch an die gekrümmte Wand geklappt. Stacy Deschurowa war vorn im Cockpit und überprüfte das Diagnosesystem des Rovers, eine lästige Pflicht, der sie sich jeden Abend unterzog.

Hall stellte ihren Laptop auf den Tisch und zeigte den beiden Männern mit Hilfe von Fotos und Grafiken auf dessen Bildschirm, dass die Flechte ihre Wärmeenergie vom Sonnenlicht bezog, das tagsüber die Steine erwärmte – »auf bis zu zwölf Grad Celsius bei direkter Sonneneinstrahlung«, berichtete sie.

»Dann sind sie also nicht auf den Wärmestrom aus dem Boden angewiesen«, sagte Jamie.

»Ganz und gar nicht.«

»Deshalb also …«

»Und nicht nur das«, fuhr sie fort. »Sie sorgen sogar dafür, dass ihre Temperatur immer höher ist als die Umgebungstemperatur!«

»Wie bitte?«

Mit vor Aufregung leuchtenden Augen erklärte Hall den beiden Männern: »Das Gestein, das Flechten enthält, ist sechs bis zwölf Grad wärmer als das Gestein ohne Flechten.«

»Wie machen sie das?«, fragte Trumball.

»Die Flechten speichern Wärme, als wenn sie Warmblüter wären!«

»Aber es sind Pflanzen, keine Tiere«, wandte Jamie ein.

Hall wedelte mit der Hand. »Ich meine natürlich nicht, dass sie wirklich Warmblüter sind. Aber irgendwie schaffen sie es, eine höhere Temperatur beizubehalten als die flechtenfreien Steine. Sie speichern tatsächlich Wärme! Das ist einmalig!«

»Bist du sicher?«

»Wie viel Kälte können sie denn vertragen?«, fragte Trumball.

Hall hob die schmalen Schultern. »Sie existieren schon weiß Gott wie lange. Und die nächtlichen Tiefsttemperaturen liegen weit unter hundert Grad minus.«

»Was ist mit Staubstürmen?«, wollte Jamie wissen.

»Was soll damit sein?«, gab sie zurück.

»Na ja, das Gestein kann manchmal tagelang oder vielleicht sogar noch länger von Staub bedeckt sein …«

»Ah, ich verstehe.« Hall nickte kurz. »Die Flechte muss imstande sein, so eine Abdeckung zu überleben.« Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich weiß nicht, wie eine Staubschicht die Gesteinstemperatur beeinflussen würde.

Ist der Staub ein thermischer Isolator oder würde solares Infrarotlicht ohne größere Absorption durchgehen?«

Jamie und Trumball schüttelten beide den Kopf. Hall gab über die Tastatur ihres Laptops eine Anmerkung ein. »Damit müssen wir uns noch genauer befassen, nicht wahr?«

»Wenn die Flechte ihr Wasser aus der Feuchtigkeit in der Atmosphäre bezieht«, sagte Trumball, »dann würde sie doch austrocknen, wenn sie mehrere Tage mit Staub bedeckt wäre, oder?«

»Offenbar nicht«, erwiderte Hall. »Sonst wäre sie ja schon längst ausgestorben.«

Jamie sagte: »Dann kann sie eine Weile ohne jede Wasserzufuhr überleben.«

»Anscheinend. Sofern sie nicht Wasser aus einer anderen Quelle bekommt.«

»Zum Beispiel?«

Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Dex, du sagtest, du hättest keinen Permafrost im Boden gefunden, ist das richtig?«

»Noch nicht«, antwortete Trumball. »Er könnte tiefer liegen, als ich mit meiner Sonde komme.«

»Hast du die Feuchtigkeit des Erdreichs geprüft?«

Trumball, der neben Jamie auf der Liege saß, hing schlaff an der gekrümmten Wand des Rovers. »Gehört zum automatischen Analyseprogramm. Bisher liegt der Ha-zwei-oh-Gehalt unter der Messgrenze.«

»Die Flechten müssen sozusagen überwintern können«, meinte Jamie. »Wenn sie kein Wasser kriegen, müssen sie imstande sein, ihren Stoffwechselprozess zu verlangsamen und abzuwarten.«

»So machen sie's auf der Erde«, pflichtete Hall ihm bei.

Trumballs Augen leuchteten auf. »Wahrscheinlich gibt's Hydrate im Gestein. Die Flechten können sie vielleicht chemisch aufspalten und ihr Wasser benutzen!«

»Hat jemand …?«

Jamie schnitt Hall das Wort ab. »Es gibt Hydrate im Gestein«, sagte er, mehr zu Trumball als zu Trudy. »Das haben wir auf dem Rückweg von der ersten Expedition festgestellt. Nicht im Gestein oben auf dem Lunae Planum, aber die Steine, die wir hier unten im Canyon gesammelt hatten, enthielten definitiv Hydrate.«

»Wassermoleküle, die in den Silikaten des Gesteins gebunden sind«, sagte Trumball. »Ja.«