Выбрать главу

Den Expeditionsvorschriften zufolge trug Rodriguez während Jamies und Stacy Deschurowas Abwesenheit die Verantwortung in der Kuppel. Er war der zweite Astronaut, und deshalb hatte er das Kommando, wenn die erste Astronautin und der Missionsleiter fort waren. Nicht dass die Wissenschaftler solchen Protokollfragen auch nur die geringste Beachtung schenkten. Sie würden seinen Befehlen höchstens dann Folge leisten, wenn es einen Notfall gab, glaubte Rodriguez. Vielleicht nicht einmal dann.

»Mir geht's gut«, sagte er und dachte, dass er mehr als bereit wäre, auf der Stelle ins Bett zu gehen, wenn sie mitkäme.

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm zu. »Du glaubst also nicht, dass es ein Dorf oder irgendwas Künstliches ist?«

Sie hatte Parfüm aufgelegt, da war er sicher. Ein schwacher, aber irgendwie femininer Duft. Es kostete ihn einige Anstrengung, seine Hände bei sich zu behalten und sie nicht in die Arme zu nehmen. Widerstrebend drehte Tomas sich wieder zum Bildschirm um und fand die Kraft, »Sieh selbst!« zu sagen.

Die nächste halbe Stunde studierten sie das Bildmaterial des Schwebegleiters: Infrarot, Radar, Falschfarben, selbst den kurzen Datenburst aus dem Gas-Chromatographen, der ihnen nur Informationen über die Zusammensetzung der Luft im Canyon gab.

Sie saß neben ihm, so nah, dass ihre Schultern sich beinahe berührten. Tomas spürte, wie sich ein dünner Schweißfilm auf seiner Oberlippe bildete.

Vijay seufzte erregend. »Da stehen jedenfalls keine Schilder mit der Aufschrift ›Willkommen, Erdlinge‹, stimmt's?«

Macht sie das absichtlich?, fragte sich Tomas. Weiß sie, wie das auf Männer wirkt?

»Wenn es jemand anders als Jamie wäre, würde ich sagen, wir verschwenden unsere Zeit«, erklärte er ihr.

»Aber bei Jamie ist das was anderes?«

»Er ist der Expeditionsleiter«, sagte Rodriguez. »Und er war schon mal hier.«

»Und deswegen hat er Recht?«

Er überlegte einen Augenblick. »Nein. Aber es bedeutet, dass wir uns mehr anstrengen als sonst, seiner Ahnung nachzugehen.«

Vijay schaute ihm direkt in die Augen. »Wie sehr würdest du dich für Jamie anstrengen?«

»Für Jamie? Wie meinst du das?«

»Angenommen, Jamie würde dich bitten, mit ihm in dieses Gebiet zu fahren, um in der Nische rumzustöbern und nachzusehen, was wirklich drin ist. Würdest du mitfahren?«

»Ja. Klar.«

»Weil er der Expeditionsleiter ist?«

Rodriguez zögerte. »Wahrscheinlich. Aber … ich würde wohl auch mitfahren wollen, wenn er nicht der Boss wäre.«

»Warum?«

Er merkte, wie sich seine Stirn in Falten legte. Das ist ein Psychotest, erkannte er. Darum geht es ihr also. Sie macht das nur, um ihren gottverdammten Psychoreport über mich auszufüllen.

»Ich mag Jamie«, sagte er. »Ich vertraue ihm. Ich glaube, wenn er mich bäte, mit ihm zum Canyon zu fahren, wäre ich irgendwie geschmeichelt.«

Vijay nickte. »Er ist liebenswert, nicht?«

»Ja.«

»Aber was das Dorf betrifft, irrt er sich.« Sie sagte es leise, mit echter Traurigkeit in der Stimme.

»Du magst ihn auch, stimmt's?«

Vijay Shektar starrte auf das Monitorbild der verschatteten Nische hoch oben in der Felswand und antwortete sehr leise: »Ja, ich mag ihn auch.«

Abrupt drehte Rodriguez sich zum Computer um und schaltete ihn aus. Das Bild der Felsennische erlosch. Der Schirm wurde dunkel.

»Du hast Recht«, sagte er beinahe zornig. »Es ist spät. Ich sollte lieber ein bisschen schlafen.«

Shektar erhob sich von ihrem Stuhl. »Ja, ich glaube, das sollte ich auch.«

Rodriguez stand auf und bemerkte zum ersten Mal, wie klein sie in Wirklichkeit war. Geradezu winzig. Wie eine kleine Puppe. Mit Kurven. Ich könnte sie mit einer Hand hochheben.

Sie blickte zu ihm auf und sagte: »Tut mir Leid, dass ich dich gestört habe, Tom. Schlaf gut.«

Sie drehte sich um, ging zur Tür und ließ Rodriguez allein im Geologielabor stehen.

Sie mag Jamie, sagte er sich. Sie mag ihn, nicht mich. Ich bin nur einer ihrer Patienten, eins ihrer gottverdammten Studienobjekte. Tut ihr Leid, dass sie mich gestört hat. Von wegen. Sie weiß verdammt genau, welche Wirkung sie auf mich hat. Es macht sie an, mich schwitzen zu sehen.

Mit Wunschphantasien von ihr im Kopf schlief er ein.

MITTAG: SOL 18

Als die Kuppel ihres Basislagers endlich über dem rostroten Horizont auftauchte, hörte Jamie innerlich die Musik von Peter und der Wolf: den klimaktischen Marsch, zu dessen Klängen Peter den gefangenen Wolf zum Haus seines Großvaters zurückbringt.

Sie schleppten den alten Rover hinter sich her, eine triumphale Rückkehr ins Basislager mit einem zusätzlichen Ausrüstungsstück für ihr Inventar.

Sofern Possum Craig und die beiden Astronauten ihn instand setzen konnten.

Jamie fuhr den Rover, Trumball saß rechts neben ihm. Stacy Deschurowa machte eine wohlverdiente Pause, nachdem sie praktisch den ganzen Rückweg vom Canyon am Steuer gesessen hatte. Trudy Hall war bereits hinten an der Luftschleuse und zwängte sich in den Anzug, um ihre Flechtenproben ins Labor der Kuppel zu tragen.

Wir sollten einen Zugangstunnel bauen, dachte Jamie, damit wir von der Luke des Rovers ins Innere der Kuppel gelangen können, ohne uns in die verdammten Raumanzüge quetschen zu müssen.

»Weißt du, was wir bräuchten?«, fragte Trumball, einen Fuß lässig auf die Kontrolltafel gestellt. Ohne Jamies Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Einen flexiblen Tunnel. Du weißt schon, so was wie die Fluggastbrücken auf Flughäfen.

Dann …«

Die Klänge des Triumphmarschs verstummten. Jamie erinnerte sich, dass es in der Wissenschaft nicht darauf ankommt, wer als Erster die Idee gehabt hat, sondern darauf, wer sie als Erster publiziert.

Mit einem halbherzigen Lächeln sagte er: »Das ist eine gute Idee, Dex. Ein Zugangstunnel wäre überaus sinnvoll.«

In Trumballs Augen blitzte freudige Überraschung auf, aber er unterdrückte sie rasch.

Den ganzen Nachmittag über untersuchte Jamie zusammen mit Possum den alten Rover. Es war eng darin, weil sie beide ihre Raumanzüge trugen. Über Helmlautsprecher hörte Jamie Craig seufzen und stöhnen wie einen Handwerker aus der Nachbarschaft, der herauszufinden versucht, wie viel er verlangen kann, ohne den Job loszuwerden.

»Brennstoffzellen sind total hinüber«, brummte Craig.

Und dann etwas später: »Batterien sind auch im Arsch.«

Sie gingen wieder hinaus und stiegen die in die Flanke des vorderen Moduls eingebaute Leiter hinauf, um die Solarpaneele zu inspizieren. Craigs ernster Ton wurde geradezu düster. »Aus den Brüdern hier kriegt man nich mal mehr

'nen feuchten Furz raus.«

Als sie wieder in der Kuppel waren und sich aus ihren Anzügen geschält hatten, war Jamie bereit, den Rover komplett abzuschreiben.

Aber Craig rieb sich mit einer Hand das stoppelige Kinn und sagte: »Tja, großer Chef, wenn der Bohrer weiter brav is und die Scheiße auch sonst unterm Deckel bleibt, krieg ich ihn in einer Woche wieder hin, schätz ich mal.«

Überrascht entfuhr es Jamie: »In einer Woche?«

»Paar Tage mehr oder weniger.«

»Wirklich?« Jamie setzte sich auf die Bank, die sich an den Spinden für die Raumanzüge entlangzog.

Craig nickte weise und pflanzte einen Fuß auf die Bank, gleich neben Jamie. »Im Großen und Ganzen isser in Ordnung. Ersatzbatterien und zusätzliche Solarpaneele hamwer im Lagerbestand.«

»Genug …?«

»Muss das Inventar im Computer durchchecken und die Scheißdinger dann in der Ladebucht finden. Aber es müsste eigentlich klargehen.«

»Prima!«

»Die Brennstoffzellen sind wirklich das Letzte«, beklagte sich Craig. »Alte Dinger, die noch mit Wasserstoff und Sauerstoff laufen. Da werden wir wohl 'n bisschen Wasser aus dem Reserveaufbereiter elektrolytisch zerlegen müssen.«