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Und er erinnerte sich an noch etwas: an die alte Felsenbehausung in einer Nische hoch oben in der steil aufragenden Felswand des Grand Canyon, die er gesehen hatte. Aber er wagte nicht, das den anderen gegenüber zu erwähnen.

Noch nicht.

HOUSTON:

DAS ERSTE TREFFEN

Jamies erste Begegnung mit dem Wissenschaftlerteam der Expedition hatte in einem engen, kleinen, fensterlosen Konferenzraum im Johnson Space Center der NASA in der Nähe von Houston stattgefunden. Die beiden Frauen und drei Männer waren aus Tausenden von Kandidaten ausgesucht worden; ihre Namen hatte man vor ein paar Wochen bekannt gegeben. Jamie selbst war erst vor zwei Tagen zu ihrem Leiter ernannt worden.

»Ich weiß, was Sie durchmachen«, sagte Jamie zu den fünfen.

Nun lernte er die vier Wissenschaftler und die Ärztin der Expedition zum ersten Mal persönlich kennen. Während der Monate ihres Trainings, in denen Jamie um seinen Platz im Team der zweiten Marsexpedition gekämpft hatte, hatte er mit jedem von ihnen per E-mail korrespondiert und per Bildtelefon gesprochen, aber er war noch nie im gleichen Raum mit ihnen gewesen.

Jetzt stand er ein wenig nervös am Kopfende des schmalen Konferenztisches und kam sich wie ein Ausbilder vor, der ein hoch begabtes Studentenquintett vor sich hatte: jünger, selbstbewusster, sogar qualifizierter als er. Die vier Wissenschaftler saßen an dem wackligen, rechteckigen Tisch und sahen ihn an. Die Ärztin und Psychologin, eine exotisch aussehende Hindu-Frau mit bitterschokoladebrauner Haut und straff nach hinten gekämmtem, mitternachtsschwarzem Haar saß am Fußende des Tisches.

Sie trugen alle den korallenrosa Missionsoverall mit dem über der Brusttasche befestigten Namensschild. Die Ärztin, V.J. Shektar, hatte ein buntes Halstuch umgelegt. Sie betrachtete Jamie mit großen, kohlschwarzen Mandelaugen.

Keiner der anderen hatte die Standarduniform mit irgendwelchen Zusätzen versehen, außer C. Dexter Trumball, auf dessen Schultern Tuchabzeichen genäht waren: eines zeigte das Mikroskop- und-Teleskop-Logo des Internationalen Universitätskonsortiums, das andere das fliegende T von Trumball Industries.

»Wir werden mehr als drei Jahre lang zusammenleben«, fuhr Jamie fort, »wenn man Ihre restliche Trainingszeit und die Mission selbst mit einrechnet. Ich fand, es war höchste Zeit, dass wir einander kennen lernen.«

Jamie hatte hart darum gekämpft, bei der zweiten Expedition dabei sein zu dürfen. Er wäre froh gewesen, wenn man ihn als Wissenschaftler ins Missionsteam aufgenommen hätte. Stattdessen konnte er nur mit einsteigen, indem er die Aufgaben des Missionsleiters übernahm.

»Sie sagten unser Training«, unterbrach ihn der Geophysiker, Dexter Trumball. »Trainieren Sie nicht auch für die Mission?«

Mit seinen dunklen Locken und den lebhaften, strahlenden Augen – blaugrün wie das Meer – sah Trumball auf verwegene Weise gut aus, fast wie ein Filmstar. Er lehnte bequem in seinem gepolsterten Stuhl und trug ein schiefes kleines Grinsen irgendwo im Grenzbereich zwischen Selbstvertrauen und Großspurigkeit zur Schau. Er war nicht grö

ßer als Jamie, aber viel schlanker: ein gelenkiger, anmutiger Tänzerkörper gegenüber Jamies kräftigerer, stämmigerer Statur. Überdies war er zehn Jahre jünger als Jamie und der Sohn des Mannes, der die Finanzierungskampagne für die Expedition in die Wege geleitet hatte.

»Natürlich trainiere ich auch«, antwortete Jamie rasch.

»Aber vieles von dem, was Sie gerade durchmachen – das Trainingsprogramm in der Antarktis zum Beispiel –, habe ich schon bei der ersten Expedition hinter mich gebracht.«

»Oh«, sagte Trumball. »Schon alles erlebt und gesehen, hm?«

Jamie nickte knapp. »So ungefähr.«

»Aber das ist über sechs Jahre her«, sagte Mitsuo Fuchida.

Der Biologe war so schmal wie die Klinge eines Schwerts, sein Gesicht eine Skulptur aus Kanten und Flächen.

»Wenn Sie ein Computer wären«, fügte er hinzu, wobei sich seine beilscharfen Züge zu einem ganz leisen Lächeln verzogen, »gäbe es inzwischen schon eine komplette neue Generation.«

Jamie zwang sich, das Lächeln zu erwidern. »Ich werde gerade aufgerüstet«, versicherte er ihnen. »Ich absolviere noch mal die ganzen Leistungstests und lade all die brandneuen Programme in meinen Langzeitspeicher. Keine Angst, ich werde weder abstürzen noch einen Bytelock erleiden.«

Die anderen lachten höflich.

Fuchida senkte den Kopf. »War nur ein Scherz«, meinte er verlegen.

»Schon in Ordnung«, sagte Jamie. Jetzt war sein Lächeln echt.

»Also, ich weiß ja nich, wie's mit euch is«, meldete sich der untersetzte Geochemiker mit dem traurigen Gesicht –

sein Name war Peter J. Craig, wie Jamie wusste – zu Wort,

»aber ich bin verdammt froh, dass wir 'nen erfahrenen Mann bei uns haben.«

Craig hatte eine Knollennase und Hängebacken mit dunklen Bartstoppeln.

»Ich sag euch«, fuhr er fort, »ich war 'n Haufen Jahre draußen im Gelände, und echte Erfahrung lässt sich durch nix ersetzen. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir Dr. Waterman als Vorreiter bei unsrem Rodeo dabei haben.«

Bevor jemand noch etwas sagen konnte, breitete Jamie die Arme aus und sagte: »Hören Sie, ich bin heute Nachmittag nicht hergekommen, um über mich zu sprechen. Ich wollte Sie nur alle persönlich kennen lernen und gewissermaßen guten Tag sagen. In den nächsten paar Wochen werden wir einzeln und in kleinen Gruppen miteinander reden.«

Sie nickten alle.

»Sie sind die Besten der Besten«, fuhr Jamie fort. »Man hat Ihnen gegenüber Tausenden von Mitbewerbern den Vorzug gegeben. Ihre Vorschläge für Forschungsprojekte sind sehr eindrucksvoll; ich habe sie alle aufmerksam durchgelesen, und mir gefällt sehr, was ich gesehen habe.«

»Was ist mit den kooperativen Forschungen?«, fragte Trumball.

Während ihres Aufenthalts auf dem Mars würde jeder der vier Wissenschaftler Dutzende von Experimenten und Messungen unter Leitung von Forschern auf der Erde durchführen. Das war die einzige Möglichkeit gewesen, sich die volle Kooperation – und finanzielle Unterstützung

– der großen Universitäten zu sichern.

»Ich weiß, dass sie die Zeit einschränken werden, die Ihnen für Ihre eigene Arbeit zur Verfügung steht«, sagte Jamie, »aber sie sind Bestandteil des Missionsplans, und wir alle werden sie durchführen müssen.«

»Sie auch?«

»Selbstverständlich. Ich werde doch auf dem Mars nicht nur am Schreibtisch sitzen.«

Das brachte sie zum Grinsen.

»Hören Sie: Wenn Sie mit der Zeitplanung in Schwierigkeiten geraten oder die Anforderungen von der Erde problematisch werden, sagen Sie's mir. Dazu bin ich da. Es ist meine Aufgabe, Konflikte auszuräumen.«

»Wer hat Vorrang?«, fragte Craig. »Ich meine, wenn's drauf ankommt, ob ich meinen eigenen Kram mache oder das, was irgend so 'n Fachbereichsleiter von der Uni in Kuhfurzenhausen will, wo geht's dann längs?«

Jamie sah ihn einen Moment lang schweigend an und überlegte. Das ist ein Test, erkannte er. Sie wollen herausfinden, woran sie bei mir sind.

»Das werden wir von Fall zu Fall entscheiden müssen«, erklärte er Craig. »Aber ich persönlich bin der Ansicht, dass im Konfliktfall der Mann auf dem Mars Vorrang hat.«

Craig nickte zustimmend. Damit war er einverstanden.

Jamie schaute von einem zum anderen. Keine der beiden Frauen hatte ein Wort gesagt. Shektar war die Ärztin, deshalb überraschte es ihn nicht, dass sie nichts zu sagen hatte. Aber Trudy Hall war Zellbiologin und sollte eigentlich einen Beitrag zu der Diskussion leisten.

Hall sah für Jamie wie ein kleiner Spatz aus. Sie war winzig; ihr dichtes, gelocktes braunes Haar war kurz geschnitten, ihr Overall bis auf ihr Namensschild völlig schmucklos. Wache graublaue Augen, sah Jamie. Sie hatte die hagere, schlanke Figur einer Marathonläuferin und eine perfekt geformte Nase, für die andere Frauen beim Schönheitschirurgen viel Geld hingelegt hätten.