Выбрать главу

Ohne zu überlegen, ohne auch nur zu wissen, was er tun würde, legte Jamie ihr die Arme um die Taille, zog sie an sich und küsste sie.

Vijay verweilte ein paar atemlose Momente in seinen Armen, dann löste sie sich sanft von ihm.

»Ich finde, wir sollten nicht …«

»Bin ich dir etwa nicht verrückt genug?«

Sie trat einen Schritt von ihm zurück. »Das ist es nicht, Jamie. Es liegt nicht an dir, nicht daran, wer oder was du bist.

Es liegt an … an diesem Ort hier. Wir sind hundert Millionen Kilometer von zu Hause entfernt, verdammt noch mal. Was wir hier tun, was wir empfinden … das sind nicht wirklich wir. Es sind Einsamkeit und Angst.«

»Ich bin nicht einsam, und ich habe keine Angst«, sagte Jamie leise. »Mir gefällt es hier.«

»Dann bist du wirklich der Verrückteste von uns allen«, flüsterte Vijay. Sie drehte sich um und floh aus dem Kommunikationszentrum.

Jamie stand allein da und dachte: Unter ihren Scherzen und Späßen hat sie Angst. Sie hat Angst vor dem Mars. Sie hat Angst, dass ihre Empfindungen nicht echt sind, dass sie nur eine Reaktion auf unsere Anwesenheit hier sind.

Er fragte sich, ob sie Dex gegenüber wohl auch so empfand. Empfindet sie Dex gegenüber genauso?

ZWEITES BUCH.

DIE ERSTEN EXKURSIONEN

Das Volk kam durch drei Welten herauf und ließ sich auf der vierten, der blauen Welt nieder. Es war von einer dieser Welten nach der anderen vertrieben worden, weil seine Angehörigen ständig miteinander im Streit lagen und Ehebruch begingen. Auf den früheren Welten hatte es keine anderen seinesgleichen gefunden, aber auf der blauen Welt fand es welche.

Das Volk vergaß seine früheren Welten und bewahrte sich nur die Sagen, die man sich von den Alten erzählte. Aber die anderen, die Fremden, sie blickten voller Staunen zu den anderen Welten. Sie wollten sie sehen, wollten auf ihnen herumlaufen. Sie wussten nicht, dass Cojote mit ihnen kommen und versuchen würde, sie allesamt zu vernichten.

ABEND: SOL 45

Was für eine langweilige Party, dachte Jamie. Aber was kann man schon erwarten, wenn einem zehn oder zwanzig Millionen Fremde dabei zusehen?

Am Mittag nach Ortszeit hatten sie den Rekord der ersten Expedition gebrochen, die Feier jedoch bis nach dem Abendessen verschoben. Dex hatte den Zeitpunkt für ihre

›Party‹ in Absprache mit den PR-Leuten in Tarawa und New York festgelegt – als ob er nicht schon genug zu tun hätte, schimpfte Jamie in sich hinein.

Dex hatte also nun die Virtual-Reality-Reservekameras wie ein zusätzliches Augenpaar am Kopf und die genoppten Datenhandschuhe an den Händen, während die acht Forscher mit Fruchtsaft, Kaffee und Tee feierlich auf den neuen marsianischen Ausdauerrekord anstießen.

In New York war es früher Nachmittag. Roger Newell saß hinter seinem breiten, ausladenden, tipptopp aufgeräumten Schreibtisch und nahm an der steifen kleinen Feier auf dem Mars teil. Seinen Informationen zufolge wurde sie zu über zehn Millionen VR-Geräten übertragen, aber sein Network würde in den Abendnachrichten Ausschnitte für all jene zeigen, die sich keinen solchen Apparat leisten konnten.

»Nicht mehr als eine Minute«, murmelte Newell im Innern des VR-Helms vor sich hin. »Höchstens dreißig Sekunden.« Himmelherrgott, was für ein Haufen von Amateuren, dachte er. Diese Wissenschaftler bringen es fertig, selbst eine Party langweilig wirken zu lassen.

»Und hier«, sagte Dex Trumball, »haben wir Dr. James Waterman, unseren Missionsleiter. Er war auch bei der ersten Expedition dabei.«

Als Dex so vor ihm stand und ihn mit diesem zusätzlichen elektronischen Augenpaar am Kopf anstarrte, hatte Jamie auf einmal das Gefühl, keinen Ton herausbringen zu können. Er hatte dem Programm, das Dex mit den PR-Leuten ausgearbeitet hatte, keine Aufmerksamkeit geschenkt.

Aber er wusste, dass er etwas sagen musste.

»Wir freuen uns sehr, hier auf dem Mars zu sein und mehr über diesen Planeten zu erfahren«, faselte er, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Unbewusst hob er den Becher, aus dem er getrunken hatte, und erklärte: »Natürlich gibt es bei uns keine alkoholischen Getränke, aber die Fruchtsäfte, die wir trinken, stammen aus unserem eigenen Garten. Sie sollten unseren Gästen den Garten zeigen, Dex.«

»Später«, erwiderte Dex und versuchte, seinen Ärger zu verbergen. »Aber erzählen Sie uns doch bitte zuerst, was für die nächsten Phasen der Expedition geplant ist.«

»Oh, Sie meinen den Flug zum Olympus Mons.«

»Ja, genau … und die Fernexkursion zur Sagan-Station.«

»Aber natürlich«, sagte Jamie, erleichtert, dass er etwas Konkretes hatte, worüber er sprechen konnte.

Darryl C. Trumball sah sich die Sendung auf dem flachen Wandbildschirm in seinem Büro an. Er hatte weder Zeit noch Lust, einen VR-Helm aufzusetzen und diese widerlichen Handschuhe überzustreifen.

Dex versucht, die verdammte Rothaut dazu zu bringen, das Publikum für die Bergung der Pathfinder-Sonde zu begeistern, aber dieser Indianer redet bloß über diesen blöden Vulkan!

Robert Sonnenfeld hatte die insgesamt achtzehn VirtualReality-Helme und Handschuhsätze erbettelt, geborgt und sogar mit seinem eigenen Geld bezahlt, damit seine ganze Klasse die Sendungen vom Mars miterleben konnte.

Jetzt hatten er und seine siebzehn faszinierten Middle-School-Schüler das Gefühl, als würden sie tatsächlich durch den überkuppelten Garten gehen, den die Forscher auf dem rostroten Sand des Mars angelegt hatten. Eine Engländerin führte sie herum und erklärte ihnen, was sie sahen.

»Das hier ist eine stark spezialisierte Version eines Systems namens Living-Machine. Es wurde in den Vereinigten Staaten entwickelt, um Brauchwasser zu reinigen und wieder Trinkwasser daraus zu machen.«

Trudy Hall blieb bei einem sehr großen Bottich voller dickem, schlammig-braunem Wasser stehen. »Dieser Prozess beginnt mit Bakterien«, erläuterte sie. »Sie bauen zunächst die Abfall- und Giftstoffe im Wasser ab …«

Fünfzehn Minuten später stand sie zwischen Reihen von Plastikkästen mit allerlei grünen Blattpflanzen darin.

»Im hiesigen Boden können wir keine Pflanzen züchten, weil er mit Peroxiden gesättigt ist«, erklärte Trudy. »Er hat eher Ähnlichkeit mit einem sehr starken Bleichmittel. Indem wir jedoch mit Hydrokulturen arbeiten – das heißt, unsere Pflanzen in Kästen anbauen, durch die wir nährstoffreiches Wasser leiten …«

Li Chengdu war fasziniert von der Führung. Als Missionsleiter der ersten Expedition war er im Orbit um den Mars geblieben und hatte nie einen Fuß auf den Boden des Roten Planeten gesetzt. Jetzt ging er durch einen von Menschenhand geschaffenen hydroponischen Garten, der unter einer Kunststoffkuppel angelegt worden war, einen Garten, der das Wasser der Expedition wieder aufbereitete und nicht nur sauberes Trinkwasser, sondern auch frische Nahrung lieferte. Erstaunlich. Er schlenderte virtuell neben Trudy Hall her, die langsam einen Gang zwischen Hydro-Kästen entlangging und nach links und rechts zeigte, während sie sprach.

»Und ab hier dient das Wasser dann zur Nährstoffversorgung unserer Gartengemüse. Sojabohnen, natürlich. Kopfsalat, Reismelde, Auberginen … und in den größeren Kästen da drüben sind die Melonen und Erdbeeren.«

Sie streckte die Hand aus und berührte ein leuchtend grünes Blatt. Li fühlte es in seinen beschuhten Fingern.

Endlich bin ich auf dem Mars, dachte er verwundert.

Jamie und die anderen hatten sich langsam zu den Tischen in der Messe begeben, nachdem Dex und Trudy in den Garten hinausgegangen waren. Jetzt, wo die Kameras nicht mehr auf sie gerichtet waren, saßen sie herum und fachsimpelten.

»Gut, dass die VR-Ausrüstung heute Abend funktioniert«, sagte Stacy Deschurowa. »Tarawa hat sich täglich darüber beklagt, dass sie kaputt ist.«