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»Ich weiß, aber Dex' Treck ist ein zusätzlicher Programmpunkt, der nicht eingeplant war.«

»Trotzdem …«

»Setz dich«, sagte Jamie und zeigte auf den Stuhl. Er kam sich sofort albern vor; es gab nur diesen einen in der Kabine.

Sie ließ sich schwer auf den Stuhl fallen, wie eine müde alte Frau, und Jamie beugte sich vom Rand seiner Liege aus zu ihr vor. »Wir haben einfach nicht genug Leute, um dich mitzuschicken. Das weißt du.«

»Ja.«

»Und Possum ist ja schließlich auch ziemlich gut – für jemanden, der kein Astronaut ist.«

»Ja«, sagte sie erneut.

»Den beiden wird schon nichts passieren.«

»Aber wenn doch«, sagte sie, »dann werde ich mich dafür verantwortlich fühlen. Es ist mein Job, die Wissenschaftler zu begleiten und dafür zu sorgen, dass sie nicht ums Leben kommen.«

Jamie setzte sich aufrechter hin. »Wenn etwas passiert, trage ich die Verantwortung, nicht du. Ich habe die Entscheidung getroffen, Stacy.«

»Ich weiß, aber …« Sie verstummte.

»Hör zu: Tomas muss Mitsuo begleiten, da kommen wir nicht drum herum. Dich brauchen wir hier in der Basis.

Und andere Astronauten haben wir nun mal nicht! Was erwartest du denn von mir, soll ich dich vielleicht klonen?«

Ein mattes Grinsen legte sich auf ihre verdrossene Miene.

»Ich verstehe. Aber es gefällt mir nicht.«

»Sie werden schon heil und gesund wiederkommen. Possum ist kein Draufgänger.«

»Da hast du wohl Recht.«

»Wie macht sich Tomas?«

Das Grinsen verblasste. »Er hat eine ordentliche Portion zu Mittag gegessen. Er macht sich keine Sorgen wegen des Fluges.«

Jamie stellte fest, dass er das Mittagessen ausgelassen hatte. »Ich nehme an, er freut sich schon.«

»Ich würde mich jedenfalls freuen.«

Liegt es daran?, fragte sich Jamie. Ist sie sauer, weil Tomas zum Olympus fliegt und nicht sie? Aber sie hat gewusst, dass es so laufen würde. Himmel noch mal, diese Entscheidung haben wir schon getroffen, bevor wir nach Tarawa gefahren sind.

In den letzten drei Wochen hatte Rodriguez Testflüge mit dem Raketenflugzeug gemacht. Seine Spritztouren hatten mit einem einfachen Kreis um ihr Basislager begonnen und sich allmählich bis zum Olympus Mons und wieder zurück ausgedehnt. Stacy hatte kein einziges Mal darum gebeten, das Flugzeug fliegen zu dürfen. Sie hatte sich nie anmerken lassen, dass sie unglücklich darüber war, weil Tomas der Pilot sein würde, während sie die Kommunikationskonsole hier in der Basis ›flog‹.

Jetzt zeigte sie jedoch, wie unglücklich es sie machte.

Astronauten sind Flieger, dachte Jamie. Sie ist Pilotin, aber sie darf nicht fliegen. Er erinnerte sich daran, wie er sich gefühlt hatte, als er den Eindruck gehabt hatte, bei der Auswahl für die Expedition zum Mars übergangen zu werden.

Er beugte sich näher zu ihr. »Stacy, die Navajos lehren, dass jeder Mensch den richtigen Weg für sein Leben finden muss. Tut mir Leid, dass dein Weg dich auf dem Boden festhält, während Tomas fliegen darf. Aber es wird andere Flüge geben, andere Missionen. Du kommst noch in die Luft, bevor wir den Mars verlassen, das versprechen ich dir.«

Ihr Gesicht hellte sich nur ein wenig auf. »Ich weiß. Ich bin egoistisch. Aber trotzdem … verdammt! Ich wünschte, ich dürfte fliegen.«

»Du bist für uns im Moment zu wichtig, als dass wir dich auf einer Exkursion riskieren könnten. Wir brauchen dich hier, Stacy. Ich brauche dich hier.«

Deschurowa blinzelte überrascht. »Du?«

»Ja, ich.«

»So habe ich das nicht gesehen.«

»Finde den richtigen Weg, Stacy. Finde das Gleichgewicht, das Schönheit ins Leben bringt.«

»So machen es die Navajos, hm?«

»So funktioniert das.«

Sie wandte den Blick ab.

»Na schön«, sagte er und stand auf. »Dex und Possum sind unterwegs, und Tomas und Mitsuo müssten jetzt gerade in ihre Anzüge steigen, stimmt's?«

»Stimmt.« Sie stand ebenfalls auf.

Jamie schaute in ihre himmelblauen Augen und setzte ihr zuliebe ein Lächeln auf. »Es ist ja nicht so, als hättest du hier nichts zu tun«, sagte er.

Stacy zwang sich, sein Lächeln zu erwidern. »Ja. Du hast Recht.«

Sie ging zur Tür und drehte sich dann noch einmal um.

»Ich wünschte einfach, ich wäre dort, wo was los ist.«

»Was du hier tust, ist außerordentlich wichtig«, gab Jamie zurück. »So ziemlich alles hängt von dir ab, Stacy.«

»Ja. Natürlich.«

Sie drehte sich um und verließ seine Kabine. Jamie stand einen Moment lang da und dachte, dass ihre Augen nur auf der Erde himmelblau waren. Der Marshimmel war fast immer in Schattierungen von Orangebraun gefärbt.

DOSSIER:

AANASTASIA ESCHUROWA

Die Amerikaner nannten sie Stacy. Der Kosename ihres Vaters für sie lautete Nastasia.

Ihr Vater war Raketentechniker, ein hart arbeitender, nüchterner, humorloser Mann, dessen Arbeit ihn oftmals für lange Monate von ihrer Moskauer Wohnung wegführte.

Meistens reiste er zu der riesigen Startanlage in der eintönigen, staubbraunen Wüste von Kasachstan und kam dann müde und griesgrämig, aber immer mit einer Puppe oder einem anderen Geschenk für seine kleine Tochter nach Hause zurück. Nastasia war die einzige Freude in seinem Leben.

Anastasias Mutter war Konzertcellistin im Moskauer Sinfonieorchester, eine heitere, intelligente Frau, die schon sehr früh in ihrer Ehe lernte, dass sich das Leben angenehmer gestaltete, wenn ihr Mann tausend Kilometer weit weg war. Dann konnte sie Parties geben, und die Wohnung hallte von Gelächter und Musik wider. Oftmals blieb einer der Männer die ganze Nacht.

Als Nastasia größer wurde und immer mehr mitbekam und verstand, ließ ihre Mutter sie schwören, dass sie nichts verraten würde. »Wir wollen deinem Vater doch nicht wehtun«, erklärte sie ihrer zehnjährigen Tochter. Später, als Nastasia ein Teenager war, pflegte ihre Mutter zu sagen: »Und du glaubst wirklich, er ist mir all die Monate treu, wenn er weg ist? So sind die Männer nicht.«

Auf der höheren Schule fand Nastasia heraus, wie die Männer waren. Einer ihrer Mitschüler lud sie zu einer Party ein. Auf dem Heimweg hielt er den Wagen an (er gehörte seinem Vater) und wurde zudringlich. Als Nastasia sich wehrte, zerriss er ihr die Kleider und vergewaltigte sie. Ihre Mutter weinte mit ihr und rief dann die Polizei. Die Ermittler gaben Nastasia das Gefühl, sie hätte das Verbrechen begangen und nicht der Junge. Der Vergewaltiger ging straflos aus, und sie war gebrandmarkt. Selbst ihr Vater stellte sich gegen sie; er sagte, sie habe dem Jungen offenbar den Eindruck vermittelt, sie sei leicht zu haben.

Als sie einen Studienplatz an der technischen Universität in Novosibirk bekam, verließ sie Moskau bereitwillig und mit Freuden und vergrub sich in ihrem Studium. Sie vermied jeden Umgang mit Männern und stellte fest, dass sie bei anderen Frauen Liebe, Wärme und Geborgenheit fand. Sie stellte auch fest, dass sie sehr intelligent und sehr tüchtig war. Es bereitete ihr große Freude, Männer auf Gebieten zu schlagen, auf denen sie sich für überlegen hielten.

Sie lernte fliegen und wurde anschließend Kosmonautin; und nicht nur das, sie wurde die erste Kosmonautin, die ein Orbitalteam von zwölf Männern kommandierte; die erste Kosmonautin, die einen neuen Ausdauerrekord für den Aufenthalt an Bord einer Raumstation aufstellte; die erste Kosmonautin, die zum Mars flog.

NACHMITTAG: SOL 48

Es hatte eine zusätzliche Trägerrakete erforderlich gemacht, das Flugzeug und seine Ersatzteile zum Mars mitzunehmen. Die unbemannten Schwebegleiter waren klein und leicht, kaum mehr als Segelflugzeuge mit Solarmotoren, die sie vom Boden abheben ließen und auf eine Höhe brachten, in der sie sich von den Luftströmungen des Mars tragen lassen konnten. Das bemannte Flugzeug musste grö