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Fuchida neben ihm gab keinen Mucks von sich und rührte sich nicht. Er könnte in seinem Anzug genauso gut tot sein, ich würde den Unterschied nicht merken, dachte Rodriguez. Er hat Angst, schlicht und einfach Angst. Er vertraut mir nicht. Er fürchtet sich davor, mit mir zu fliegen. Wahrscheinlich wär's ihm lieber gewesen, wenn Stacy ihn geflogen hätte und nicht ich.

Tja, mein schweigsamer japanischer Freund, aber nun hast du mich am Hals, ob's dir gefällt oder nicht. Also sitz ruhig wie eine beschissene Statue da, mir ist das piepegal.

Mitsuo Fuchida spürte, wie sich eine ungewohnte Ranke der Furcht durch seine Eingeweide schlängelte. Das verblüffte ihn, weil er nun seit beinahe zwei Jahren wusste, dass er zum Gipfel des Olympus Mons fliegen würde. Er hatte Hunderte von Simulationsflügen gemacht. Diese ganze Exkursion war seine Idee gewesen; er hatte hart darum gekämpft, dass sie in den Expeditionsplan aufgenommen wurde.

Als Biologiestudent hatte er Fliegen gelernt und war zum Präsidenten des Fliegerclubs der Universität gewählt worden. Mit der unbeirrbaren Zielstrebigkeit eines Bewerbers, der wusste, dass er die Besten der Besten schlagen musste, um ins Team der zweiten Marsexpedition aufgenommen zu werden, hatte Fuchida sich die Zeit genommen, sich über den Bergen im Innern von Kyushu, seiner Heimat, als Pilot von Ultraleichtfliegern zu qualifizieren, und hatte anschließend Schwebegleiter über die zerklüfteten Gipfel von Sinkiang gelenkt. Er hatte noch nie Angst vor dem Fliegen gehabt. Ganz im Gegenteiclass="underline" Er war in der Luft immer entspannt und glücklich gewesen, frei von all dem Druck und den Sorgen des Lebens.

Doch als die Sonne nun zum felsigen Horizont sank und die öde Landschaft in ein unheimliches rotes Licht tauchte, merkte Fuchida, dass er Angst hatte. Was, wenn das Triebwerk versagt? Wenn Rodriguez eine Bruchlandung auf dem Berg baut? Einer der unbemannten Schwebegleiter war bei einem Erkundungsflug über dem Berg abgestürzt; was, wenn uns dasselbe widerfährt? Selbst im rauen Sinkiang gab es eine vernünftige Chance, eine Notlandung zu überleben. Man konnte die Luft atmen und zu einem Dorf gehen, auch wenn man dazu viele Tage unterwegs war. Hier auf dem Mars aber nicht.

Was, wenn Rodriguez sich verletzt, während wir dort draußen sind? Ich habe dieses Flugzeug nur im Simulator geflogen; ich weiß nicht, ob ich es tatsächlich fliegen könnte.

Rodriguez schien sich absolut wohlzufühlen, er war glücklich und begeistert, dass er fliegen konnte. Er beschämt mich, dachte Fuchida. Trotzdem … ist er wirklich tüchtig?

Wie wird er in einem Notfall reagieren? Fuchida hoffte, er würde es nicht herausfinden müssen.

Links von ihnen lag Pavonis Mons, einer der drei riesigen, hintereinander aufgereihten Schildvulkane auf der Ostseite des Tharsis-Buckels. Er war so groß, dass er sich bis zum Horizont und darüber hinaus erstreckte, ein massiver Höcker aus festem Gestein, der einst glühend heiße Lava über ein Gebiet von der Größe Japans geschüttet hatte. Jetzt war er still. Kalt und tot. Für wie lange?

Eine ganze Reihe kleinerer Vulkane erstreckte sich bis zum Horizont, und hinter ihnen lag der ungeheure Olympus Mons. Was war hier geschehen? Wodurch war hier eine tausend Kilometer lange Kette von Vulkanen entstanden? Fuchida versuchte, sich mit dieser Frage zu beschäftigen, aber seine Gedanken wanderten immer wieder zu den Risiken zurück, die er einging.

Und zu Elisabeth.

DOSSIER:

MITSUO FUCHIDA

Ihre Hochzeit hatte geheim gehalten werden müssen.

Verheiratete durften nicht mit auf die Marsexpedition.

Noch schlimmer, Mitsuo Fuchida hatte sich in eine Ausländerin verliebt, eine junge irische Biologin mit feuerrotem Haar und einer Haut wie weißes Porzellan.

»Schlaf mit ihr«, hatte sein Vater ihm geraten, »amüsier dich mit ihr, so viel du willst. Aber mach ihr keine Kinder!

Du darfst sie auf gar keinen Fall heiraten.«

Elizabeth Vernon schien damit zufrieden zu sein. Sie liebte Mitsuo.

Sie hatten sich an der Universität von Tokio kennen gelernt. Wie er war sie Biologin. Anders als er hatte sie weder das Zeug noch den Drang, sich im Konkurrenzkampf um eine feste Stelle und eine Professur zu behaupten.

»Ich komme schon zurecht«, erklärte sie Mitsuo. »Mach dir deine Chance auf den Mars nicht kaputt. Ich werde auf dich warten.«

In Fuchidas Augen war das weder gut noch fair. Wie konnte er zum Mars fliegen, Jahre fern von ihr verbringen und erwarten, dass sie ihre Gefühle so lange auf Eis legte?

Sein Vater stellte ebenfalls andere Ansprüche an ihn.

»Der einzige Mensch, der bei der ersten Marsexpedition ums Leben gekommen ist, war dein Neffe Konoye. Er hat uns alle entehrt.«

Isoruku Konoye hatte bei dem Versuch, den kleineren Mond des Mars – Deimos – zu erkunden, einen tödlichen Herzschlag erlitten. Sein russischer Teamkamerad Leonid Tolbukhin sagte, Konoye sei in Panik geraten, erschrocken darüber, nur in einem Raumanzug außerhalb ihres Raumschiffs zu sein, desorientiert von Deimos' bedrohlich näherrückender felsiger Masse.

»Du musst die Ehre der Familie wiederherstellen«, betonte Fuchidas Vater nachdrücklich. »Du musst dafür sorgen, dass die Welt Japan respektiert. Dein Namensvetter war ein großer Krieger. Du musst seinem Namen neue Ehre machen.«

Mitsuo wusste also, dass er Elizabeth nicht offen und ehrlich heiraten konnte, wie er es am liebsten getan hätte. Stattdessen ging er mit ihr in ein Kloster in den abgelegenen Bergen von Kyushu, wo er seine Kletterkünste perfektioniert hatte.

»Das ist nicht nötig, Mitsuo«, protestierte Elizabeth, sobald ihr klar wurde, was er im Schilde führte. »Ich liebe dich. Eine Zeremonie wird daran nichts ändern.«

»Wäre dir ein katholischer Ritus lieber?«, fragte er.

Sie schlang ihm die Arme um den Hals. Er spürte Tränen auf ihrer Wange.

Als der Tag des Abschieds kam, versprach er Elizabeth, dass er zu ihr zurückkommen würde. »Und dann werden wir noch einmal heiraten, in aller Öffentlichkeit, sodass es die ganze Welt sieht.«

»Einschließlich deines Vaters?«, fragte sie ironisch.

Mitsuo lächelte. »Ja, sogar einschließlich meines wackeren Vaters.«

Dann flog er zum Mars, fest entschlossen, dem Namen seiner Familie Ehre zu machen und zu der Frau zurückzukehren, die er liebte.

SONNENUNTERGANG:

SOL 48

Fuchidas Exkursionsplan sah vor, dass sie spätnachmittags landeten, fast schon bei Sonnenuntergang, wenn die tief stehende Sonne die längsten Schatten warf. Dadurch konnten sie den Flug bei hellem Tageslicht absolvieren und hatten bei ihrer Ankunft auf dem Olympus Mons die beste Sicht auf ihr Landegebiet. Jeder Felsblock, jeder Stein würde plastisch hervortreten, sodass sie die geeignetste Stelle für die Landung aussuchen konnten.

Das hieß aber auch, dass sie unmittelbar nach der Landung die dunklen, eisigen Nachtstunden durchstehen mussten. Was, wenn die Batterien versagten? Die Lithiumpolymer-Batterien waren jahrelang getestet worden, wie Fuchida wusste. Sie speicherten Strom, der bei Sonnenschein von den Solarzellen erzeugt wurde, und hielten die Ausrüstung des Flugzeugs während der langen, kalten Stunden der Dunkelheit in Gang. Was jedoch, wenn sie versagten, und das bei Temperaturen von siebzig bis neunzig Grad minus?

Rodriguez gab ein seltsames Stöhnen von sich. Fuchida drehte sich abrupt zu dem neben ihm sitzenden Astronauten um, sah aber nur das Innere seines eigenen Helms.

Er musste sich in den Schultern drehen, um den Piloten in seinem Raumanzug zu sehen – er summte tonlos vor sich hin.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Fuchida nervös.

»Klar.«

»War das ein mexikanisches Lied, was du da gesummt hast?«

»Nee. Die Beatles. ›Lucy in the Sky with Diamonds‹.«

»Oh.«

Rodriguez seufzte glücklich. »Da ist sie«, sagte er.