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»Jetzt sind wir endlich ganz oben!«, witzelte Rodriguez.

Er gluckste fröhlich, als könnte ihn nichts auf der Welt erschüttern. Nichts auf zwei Welten.

DOSSIER:

TOMAS RODRIGUEZ

»Zeig niemals Furcht.« Tomas Rodriguez lernte das als dürres, asthmatisches Kind, das in einem von Verbrechen und Gewalt geprägten Barrio in der Innenstadt von San Diego aufwuchs.

»Zeig ihnen nie, dass du Angst hast«, erklärte ihm sein älterer Bruder Luis. »Drück dich nie vor einem Kampf.«

Tomas war zwar nicht stark, aber sein großer Bruder beschützte ihn. Meistens. Dann fand er gewissermaßen Zuflucht in dem heruntergekommenen Fitness-Center des Viertels, wo er stundenlang wischte und sauber machte und dafür kostenlos die Geräte benutzen durfte. Als er an Muskelmasse zulegte, brachte Luis ihm die Anfangsgründe des Straßenkampfs bei. In der Middle School sah ihn ein älterer Koreaner, der an der Schule unentgeltlich Kampfkünste lehrte, und nahm ihn in seine Gruppe auf.

Auf der High School entdeckte er, dass er intelligent war, so intelligent, dass er Algebra nicht nur verstand, sondern verstehen wollte, ebenso wie die anderen Geheimnisse der Mathematik und der Wissenschaft. Er befreundete sich mit den Außenseitern und den Sportskanonen und beschützte Erstere oftmals vor den Schikanen und der beiläufigen Grausamkeit Letzterer.

Er wuchs zu einem kräftigen, breitschultrigen Jugendlichen mit schnellen Reflexen heran, der jedoch klug genug war, Konfrontationen eher mit Worten als mit den Fäusten zu klären. Er suchte keinen Streit, konnte sich aber durchaus behaupten, wenn eine Prügelei unausweichlich wurde.

Er arbeitete, er lernte, er hatte jene sonnige Grundeinstellung – und entschlossene körperliche Courage –, die selbst die übelsten Rabauken in der Schule dazu brachte, ihn in Ruhe zu lassen. Er spielte nie in einer der Schulmannschaften, und er nahm nie Drogen. Er rauchte auch nicht. So einen Luxus konnte er sich nicht leisten.

Er ging nicht einmal in die Falle, in der sich die meisten seiner Freunde fingen: Vaterschaft. Ob sie nun heirateten oder nicht, die meisten Jungs waren sehr schnell an eine Frau gebunden. Tomas hatte jede Menge Mädchen und lernte noch vor der High School die Freuden des Sex kennen. Aber er ging nie eine dauerhafte Beziehung ein. Er wollte es nicht. Die Mädchen aus dem Viertel waren attraktiv, das schon, aber nur, bis sie anfingen zu reden. Tomas konnte allein schon die Vorstellung nicht ertragen, einer von ihnen mehr als ein paar Stunden zuhören zu müssen.

Sie hatten nichts zu sagen. Ihr Leben war leer. Er sehnte sich nach mehr.

Die meisten Lehrer an der High School waren Nullen, aber einer – der müde alte Mann, der Mathe unterrichtete –

ermutigte ihn, sich um ein Stipendium fürs College zu bewerben. Zu Tomas' gewaltiger Überraschung gewann er eins: die kompletten Studiengebühren für ein Studium an der University of California in San Diego. Da er sich die anderen Ausgaben trotzdem nicht leisten konnte, hörte er erneut auf den Rat seines Mentors und ging zur Air Force.

Uncle Sam übernahm sämtliche anfallenden Kosten für sein Studium, und sobald er seinen Abschluss in der Tasche hatte, wurde er Kampfpilot. »Macht mehr Spaß als Sex«, pflegte er zu behaupten, und fügte immer hinzu: »Fast.«

Zeig niemals Furcht. Das hieß, dass er nie vor einer Herausforderung zurückweichen durfte. Niemals. Ob in einem Cockpit oder einer Bar, der stämmige kleine Latino mit dem breiten Lächeln ging keinem Konflikt aus dem Wege. Das sprach sich herum.

Die Furcht war immer da, fortwährend, aber er ließ sie sich nie anmerken. Und da war auch immer dieser geheime Zweifel. Dieses Gefühl, dass er irgendwie nicht hierher gehörte. Sie erlaubten dem kleinen chicano, so zu tun, als wäre er so schlau wie die weißen Jungs, erlaubten ihm, mit seinem kleinen Stipendium das College zu absolvieren, erlaubten ihm, die Fliegeruniform zu tragen und mit den tollen Düsenjägern zu spielen.

Aber in Wirklichkeit gehörte er nicht zu ihnen. Das machten sie ihm jeden Tag überdeutlich klar, auf tausend kleine Weisen. Er war ein Tacofresser, der nur solange geduldet wurde, wie er an dem ihm zugewiesenen Platz blieb. Versuch nicht, zu weit aufzusteigen; gib nicht zu sehr an; und vor allem, Finger weg von den Frauen, außer es sind welche von ›Deinen‹. Mit der Fliegerei war das jedoch etwas anderes. Allein in einem Flugzeug, fünfzehn-, sechzehntausend Meter hoch am Himmel, gab es nur ihn und Gott, und der Rest der Welt war weit weg; aus den Augen, aus dem Sinn.

Dann kam die Chance, sich das Astronautenabzeichen zu verdienen. Er musste sich der Herausforderung stellen.

Wieder machten die anderen klar, dass er im Kreis der Bewerber nicht willkommen war. Aber Tomas nahm trotzdem an dem Auswahlverfahren teil – und eroberte sich einen Platz im Trainingscorps der Astronauten. »Die Vorzüge der Minderheitenförderung«, höhnte einer der anderen Piloten.

Ganz gleich, was er erreichte, immer versuchten sie, ihm den Spaß daran zu verderben. Nach außen hin kümmerte Tomas sich nicht um sie, wie üblich; er hielt seine Wunden geheim und blutete nur innerlich.

Zwei Jahre, nachdem er sein Abzeichen erworben hatte, wurden Astronauten für die zweite Marsexpedition gesucht. Tomas bewarb sich mit seinem breitesten Lächeln.

Keine Furcht. Er zeigte niemandem seine zusammengebissenen Zähne und bekam den Job.

»Na toll«, sagten seine Kumpels. »Du wirst hinter so 'ner russischen Braut die zweite Geige spielen.«

Tomas zuckte die Achseln und nickte. »Ja«, gab er zu. »Ich werde wohl von jedermann Befehle entgegennehmen müssen.«

Im Stillen fügte er hinzu: Aber ich bin dann auf dem Mars, ihr Arschgeigen, und ihr seid immer noch hier unten.

NACHT: SOL 48

Es war bereits Nacht auf der weiten, welligen Ebene von Lunae Planum, aber Possum Craig fuhr trotzdem weiter –

vorsichtig, mit nur zehn Stundenkilometern. Dex Trumball und er waren der Meinung gewesen, sie könnten nach Sonnenuntergang noch ein paar Extrameilen hinter sich bringen, bevor sie für die Nacht Halt machten.

Trumball hatte das Funkgerät auf die allgemeine Kommunikationsfrequenz geschaltet, sodass sie Rodriguez und Fuchida zur gleichen Zeit landen hörten wie die vier im Basislager.

»Die armen Kerle kommen bis zu ihrer Rückkehr zur Kuppel nich mehr aus ihren Anzügen raus«, sagte Craig.

»Sieh's mal von der positiven Seite, Wiley. Sie dürfen das FBS testen.«

Die Anzüge hatten eine Spezialvorrichtung, mit der eine luftdichte Verbindung zum Sitz der chemischen Toilette möglich sein sollte. Die Techniker nannten es das Fäkalien-Beseitigungs-System.

»Der gute alte Donnerbalken«, brummelte Craig. »Wetten, dass sie am Schluss Kaoprompt einschmeißen?«

Dex, der neben ihm im Cockpit saß, erwiderte grinsend:

»Während wir hier einen Komfort wie zu Hause haben.«

Craig machte ein nachdenkliches Gesicht. »Für so 'ne alte Gurke hält sich die Kutsche hier ziemlich gut. Keine Klagen.«

»Noch nicht.«

Dex hatte den größten Teil des Tages in seinem Anzug verbracht. Sie hatten alle hundert Klicks angehalten, damit er draußen Geo/Met-Baken aufstellen konnte. Jetzt saß er entspannt da, in seinem Overall, und beobachtete den kleinen Ausschnitt des Bodens, der von den Scheinwerfern des Rovers beleuchtet wurde.

»Du könntest ihn auf zwanzig hochkitzeln«, stachelte Dex ihn an.

»Ja, und ich könnt ihn in 'nen Krater schlittern lassen, bevor wir anhalten oder abbiegen könnten«, gab Craig zurück. Er tippte mit einem Zeigefinger auf das Display der Digitaluhr. »Is sowieso Zeit, für heute Schluss zu machen.«

»Schon müde?«

»Nein, und ich will nicht fahren, wenn ich müde bin.«

»Ich könnte 'ne Weile fahren«, sagte Dex.

Craig trat sanft auf die Bremspedale. »Machen wir Schluss, Kumpel. Wir haben ordentlich was geschafft.