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Er atmete tief durch und aktivierte dann mit einem Tastendruck die winzige Kamera des Computers. Jamie sah, wie ihr rotes Auge aufleuchtete, direkt über Trumballs Standbild auf dem Monitor.

»Mr. Trumball«, begann er langsam, »ich kann Ihre Sorge um die Sicherheit Ihres Sohnes verstehen. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie eine Nachricht geschickt hatten, der zufolge Dex nicht an der Exkursion zur Bergung der Pathfinder-Handware teilnehmen sollte. Eine solche Nachricht ist nicht an mich adressiert worden. Und bei allem gebührenden Respekt, Sir, nicht Sie haben das Kommando über diese Expedition, sondern ich. Sie sind nicht berechtigt, irgendjemandem Anweisungen zu erteilen.«

Jamie schaute direkt in die Kamera und fuhr fort: »Weder Dex noch sonst jemand hier wird irgendwelche Sonderprivilegien erhalten. Es war seine Idee, den Pathfinder zu bergen, und er wollte zweifelsohne auf diese Exkursion gehen. Selbst wenn mir Ihre Wünsche bekannt gewesen wären, hätte ich sie Ihnen abschlagen müssen, fürchte ich. Das ist Dex' Job, und ich bin sicher, er wird ihn erledigen, ohne dass es Probleme gibt.

Er hat unseren besten Mann bei sich: Dr. Craig. Falls sie in Schwierigkeiten geraten, werden sie zur Basis zurückkehren. Ich hatte … ich habe nicht die Absicht, das Leben meiner Leute durch törichte Aktionen aufs Spiel zu setzen.«

Jamie beugte sich unbewusst näher zur Kamera und schloss: »Ich weiß, dass Sie geholfen haben, den größten Teil des Geldes für diese Expedition aufzubringen, und wir sind alle sehr dankbar dafür, aber das gibt Ihnen nicht die Befugnis, Entscheidungen über unsere Arbeit hier zu treffen. Sie können zum IUK gehen und sich dort beschweren, wenn Sie wollen. Aber offen gesagt, ich wüsste auch nicht, was man dort für Sie tun könnte. Wir sind hier, über hundert Millionen Kilometer von der Erde entfernt, und wir müssen unsere eigenen Entscheidungen treffen.

Tut mir Leid, dass diese eine Entscheidung Sie derart aufgeregt und beunruhigt hat. Vielleicht werden Sie anders empfinden, wenn Dex mit dem Pathfinder und dem Sojourner zurückkommt. Gute Nacht.«

Er tippte zweimal auf die Tastatur: einmal, um die Kamera abzuschalten, das zweite Mal, um die Nachricht an Trumball abzusenden. Erst dann löschte er das Bild des alten Mannes vom Monitor.

»Ich hätte ihm gesagt, er soll es sich in den Arsch stecken.«

Jamie fuhr herum und sah Vijay im Eingang an der Trennwand lehnen. Sie hielt einen dampfenden Becher in beiden Händen, als wollte sie sich daran wärmen.

»Wie lange bist du schon hier?«

Sie kam herein und setzte sich neben ihn. »Ich hab mir gerade was zu trinken geholt, als ich Dex' Dad schimpfen hörte.«

Sie trug ihren unförmigen, korallenroten Rollkragenpullover und weite Jeans statt des üblichen Overalls, und sie saß so nahe bei ihm, dass Jamie den zarten Duft des Kräutertees roch, den sie trank, und seine Wärme spürte.

»Der alte Mann muss Dex verboten haben, auf diese Exkursion zu gehen«, erklärte er, »aber Dex hat mir nichts davon gesagt.«

Vijay trank einen Schluck aus dem dampfenden Becher.

»Hätte er das tun sollen?«

»Es wäre ganz hilfreich gewesen.«

»Vielleicht hatte er Angst, du würdest die Exkursion absetzen, wenn du's wüsstest.«

Jamie schüttelte den Kopf. »Das könnte ich nicht. Wenn jemand wie Trumball erst mal glaubt, er könnte einen rumkommandieren, dann wird man ihn nie wieder los.«

Ein knappes, zustimmendes Nicken. »Da ist was dran.«

»Ich hoffe nur, dass nichts passiert, während Dex dort draußen ist«, sagte Jamie.

»Hast du das nicht sowieso gehofft? Schon vor Trumballs Anpfiff, meine ich.«

»Ja sicher, aber … du weißt, was ich meine.«

»Ja, ich glaub schon.«

»Du hast mit ihm geschlafen, stimmt's?«, entfuhr es Jamie.

»Mit Dex?«

»Während des Fluges.« Jamie war schockiert, dass er das Thema ansprach. Die Worte waren herausgekommen, bevor ihm klar wurde, was er sagen würde.

Vijay nickte. Ihre Miene war unergründlich. »Ja. Einmal.«

»Einmal«, wiederholte er.

Mit einem seltsamen kleinen Lächeln sagte Vijay: »Man erfährt eine Menge über einen Mann, wenn er die Hosen runtergelassen hat.«

Jamie wusste nicht, was er darauf erwidern sollte.

»Ich hab dir gesagt, er ist ein Alpha-Männchen«, fuhr sie fort. »Genau wie du.«

Er nickte bedrückt.

»Ich fühle mich zu Alpha-Männchen hingezogen.«

»Du fühlst dich also zu ihm hingezogen.«

»Damals, ja. Jetzt fühle ich mich zu dir hingezogen.«

»Zu mir?«

Sie lächelte. »Siehst du sonst noch jemanden hier?«

Jamie war durcheinander. Sie macht sich über mich lustig.

Sie macht sich bestimmt über mich lustig.

Vijay stellte ihren Becher auf den Rand der Konsole. »Du fühlst dich doch auch zu mir hingezogen, nicht?«

»Äh … sicher.«

Sie stand auf und streckte ihm die Hand entgegen. »Bleibt also nur noch eine Frage: zu mir oder zu dir?«

Jamie erhob sich langsam. Er war nicht sicher, ob seine Beine ihn tragen würden. »So einfach ist das nicht, Vijay.

Das hast du selbst gesagt.«

»Das war damals. Jetzt ist jetzt.«

»Aber …«

Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Mein Gott, Jamie, du bist ja genauso schlimm wie die meisten Aussie-Kerle!«

»Ich wollte nicht …«

Sie trat zu ihm und legte ihm die Arme um den Hals.

»Fühlst du dich nie einsam?«, sagte sie leise. »Hast du nie Angst? Wir sind so allein hier. So weit weg von zu Hause.

Macht dir das nie zu schaffen?«

Jetzt war ihr Ton nicht mehr neckisch. Er hielt sie fest und spürte, wie sie zitterte. Unter all dem flapsigen Gerede zitterte sie vor Angst.

»Ich will heute Nacht nicht allein sein, Jamie.«

»Ich auch nicht«, gestand er. »Ich auch nicht.«

DOSSIER:

VARUNA JARITA SHEKTAR

Es war schon schlimm genug, eine weitere Tochter in einer Familie mit vier Mädchen und einem Jungen zu sein. Dass sie intelligent und attraktiv war, machte die Sache nur noch schlimmer. Dass sie als dunkelhäutige Hindu-Frau in Melbourne unter blonden Aussies aufwuchs, die gegenüber Frauen entweder kein Wort herausbrachten oder den aggressiven Macho mimten, half auch nicht gerade.

In der Grundschule riefen die Lehrer sie bei dem Namen, der in der Schulakte stand: V.J. Shektar. Die anderen Kinder tauften sie sofort Vijay, und sie nahm den Namen beglückt an, weil sie sich damit wohler fühlte als mit Varuna Jarita, den Namen, die ihre Eltern ihr gegeben hatten.

Ihre Mutter hatte sie als Baby der mächtigen Göttin Sakti geweiht, deren Name ›Energie‹ bedeutet. In dem weit gespannten Hindu-Pantheon verkörpert Sakti jungfräuliche Unschuld und blutrünstige Zerstörung: eine ewige Jungfrau, aber auch die Göttin der verbotenen Freuden.

Ihr Vater ignorierte sie meistens, außer wenn er sich den Kopf darüber zerbrach, woher er angesichts seines kargen Gehalts als beeidigter Wirtschaftsprüfer bei einem kleinen Rechnungsführer, dessen Klientel fast ausschließlich aus lokalen indischen Firmen bestand, das Geld für eine weitere Mitgift nehmen sollte.

Als jüngste Tochter der Familie hatte sie Mut und Energie in die Wiege gelegt bekommen. Ihre Mutter versuchte, Vijay mädchenhafte Tugenden beizubringen, während ihre älteren Schwestern anfingen, sich mit Jungen zu treffen, und dann eine nach der anderen von der höheren Schule abgingen, um zu heiraten und selbst Babies zu kriegen. Ihr Bruder ging ans College, der Stolz seines Vaters.

Vijay weigerte sich, die Schule zu verlassen und sich einen Mann zu suchen. Als ihr Vater drohte, ihr Gehorsam einzubläuen, zog sie zu Hause aus und lebte auf sich allein gestellt mit mehreren Freunden und Freundinnen zusammen.

Nachts arbeitete sie in Restaurants, Videoläden und überall, wo man eine ernsthafte, ehrliche High-School-Absolventin im letzten Schuljahr einstellte, die nicht die Absicht hatte, sich von einem Mann verführen zu lassen.