»Mission Control an Trumball«, kam endlich Connors sonore Baritonstimme über hundert Millionen Kilometer. »Sie können mit der VR-Tour beginnen. Wir haben sechzehn Komma neun Millionen Teilnehmer online, und wenn wir Ihre Startzeit durchgeben, werden sich noch mehr einloggen.«
Wir kommen mit Leichtigkeit auf zwanzig Millionen, dachte Trumball zufrieden. Bei zehn Dollar pro Kopf haben wir damit schon fast die Hälfte der Kosten unserer Bodenausrüstung wieder drin. Wir werden bei dieser Expedition schwarze Zahlen schreiben!
Die Ziemans – Vater, Mutter, neunjähriger Sohn und fünfjährige Tochter – saßen im Unterhaltungszimmer ihres Vorstadthauses in Kansas City vor dem Bildschirm, der die ganze Wand einnahm.
Nur eine Ecke des Bildschirms war aktiviert: Ein Schwarzer erklärte mit ernster Miene, dass die Übertragung vom Mars vierzehn Minuten brauchte, um die Distanz zwischen den beiden Planeten zu überwinden, obwohl das Signal mit Lichtgeschwindigkeit reiste, »die dreihunderttausend Kilometer pro Sekunde beträgt«, wie er betonte.
Der Neunjährige schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Es sind zweihundertneunundneunzigtausendsiebenhundertneunzig Kilometer pro Sekunde«, verbesserte er gewissenhaft.
»Schsch!«, zischte seine Schwester.
»Setzt eure Helme auf«, sagte ihr Vater. »In ein paar Sekunden geht's los.«
Alle vier setzten die Plastikhelme mit den gepolsterten Kopfhörern und herunterklappbaren Visieren auf, steckten die Finger in die angeschlossenen Datenhandschuhe – die Mutter half ihrer Tochter, der Junge machte es stolz allein –
und klappten dann die Visiere herunter, als der Mann auf dem Bildschirm ihnen erklärte, die Tour werde gleich beginnen.
Die Stimme des Mannes zählte rückwärts: »Drei … zwo
… eins …«
Und sie waren auf dem Mars!
Sie schauten auf eine rote, mit Steinen übersäte Ebene hinaus; eine rötliche, staubige Wüste erstreckte sich, so weit das Auge reichte; rostfarbene Felsbrocken waren über das kahle, sanft gewellte Land verstreut wie von einem achtlosen Kind liegen gelassenes Spielzeug. Der unebene Horizont schien viel zu nah zu sein. Der Himmel hatte die Farbe von hellem Karamell. Kleine, vom Wind geformte Dünen erhoben sich in präzisen Reihen, und an einigen größeren Felsen häufte sich der rötliche Sand. In der Ferne ragte eine Art Tafelberg über dem Horizont auf.
»Das hier ist unser Landeplatz«, vernahmen sie Dexter Trumballs Stimme. »Wir befinden uns in den westlichsten Ausläufern einer Region namens Lunae Planum – Ebene des Mondes. Damals in der alten Zeit haben die Astronomen der marsianischen Geographie bizarre Namen gegeben.«
Der Bildausschnitt veränderte sich, als Trumball sich langsam umdrehte. Sie sahen die Kuppel des Habitats.
»Dort werden wir die nächsten anderthalb Jahre wohnen.
Morgen führe ich Sie im Innern herum. Im Moment sind die anderen Mitglieder der Expedition noch dabei, alles in Ordnung zu bringen; Sie wissen schon, Großreinemachen und so. Morgen werden wir aber einen Rundgang durch die Kuppel machen können, dann zeige ich Ihnen, wie es dort aussieht.«
Keiner der Ziemans sagte ein Wort. Überall im Land, überall auf der Welt saßen die Menschen da und sahen sich fasziniert und überwältigt die Bilder vom Mars an.
»Hören Sie dieses leise Wispern?«, fragte Trumball. »Das ist der Wind. Er weht mit ungefähr dreißig Knoten. Auf der Erde wäre das ein waschechter Sturm, aber hier auf dem Mars ist die Luft so dünn, dass er nicht einmal den Staub vom Boden aufwirbelt. Sehen Sie?«
Sie spürten, wie ihre rechte Hand in einem Beutel am Bein des hartschaligen Raumanzugs herumtastete. »Jetzt schauen Sie sich das an«, sagte Trumball.
Sie zogen einen rot-weißen Hufeisenmagneten aus dem Spielwarenladen hervor.
»Der Sand hier auf dem Mars ist reich an Eisenerzen«, erklärte Trumball, »deshalb können wir mit diesem Magneten
…«
Sie hockten sich in dem klobigen Anzug mühsam hin und schrieben mit dem Magneten die Buchstaben M-A-R-S in den Sand, während Trumball erläuterte: »Sehen Sie, wir brauchen den Sand nicht zu berühren. Der Magnet stößt das Eisen in den Körnchen ab.«
»Ich will meinen Namen schreiben!«, rief die Tochter der Ziemans.
»Halt die Klappe!«, blaffte ihr Bruder.
Beide Eltern brachten sie mit einem »Pst!« zum Schweigen.
Trumball steckte den Magneten wieder ein, bückte sich und hob einen handtellergroßen Stein auf. Die Zuschauer fühlten sein Gewicht und seine Festigkeit in ihrer behandschuhten Hand.
»Die Felsbrocken, die hier überall herumliegen, wurden aus dem Boden gerissen«, erklärte Trumball, während er sich aufrichtete. »Einige könnten von Vulkanausbrüchen stammen, aber die meisten sind beim Einschlag von Meteoriten weggesprengt worden. Der Mars ist nämlich viel näher am Asteroidengürtel als die Erde und wird darum viel häufiger von Meteoriten getroffen.«
Sie schienen von der Kuppel wegzugehen, hin zu einem hausgroßen Felsblock. Roter Sand häufte sich an einer Seite.
»Sie sehen da draußen ein Sanddünenfeld«, sagte Trumball, und sie sahen, wie seine behandschuhte Hand hinzeigte. »Die Dünen müssen ziemlich stabil sein, weil sie bei der Landung der ersten Expedition vor sechs Jahren auch schon da waren.«
Die zeigende Hand schwenkte vor dem lohfarbenen Himmel. »Dort drüben steigt das Land allmählich an, wie Sie sehen. Das ist der Ostrand des Tharsis-Buckels, auf dem die großen Vulkane liegen. Pavonis Mons ist ungefähr sechshundert Kilometer von uns entfernt, fast genau im Westen.«
Das Bild verschob sich erneut so schnell, dass manchen Zuschauern ein bisschen schwindlig wurde. »Im Süden sind die Badlands, Noctis Labyrinthus, und ungefähr sechshundert Kilometer südöstlich von hier liegt Tithonium Chasma, das westliche Ende des großen Grand Canyon.
Dort hat die erste Expedition die Marsflechte gefunden.«
Trumball drehte sich erneut um und ging zu einem kleinen Traktor, der fast wie ein Dünenbuggy aussah, nur dass die Räder dünn waren und elastisch wirkten. Er war ganz offen, ohne Kabine; die Sitze waren von einem Käfig aus außerordentlich dünnen Metallstangen umgeben.
Die Zuschauer sahen sich auf den Fahrersitz rutschen. Der Sohn der Ziemans murmelte: »Voll cool!«
»Ich möchte Ihnen unseren Reserve-Treibstoffgenerator zeigen«, sagte Trumball, als er den Motor des Traktors anwarf. Er tuckerte wie ein Diesel, aber in der dünnen Marsluft klang das Geräusch merkwürdig hoch. »Er befindet sich ungefähr zwei Klicks – Kilometer – von der Kuppel entfernt. Steht schon seit über zwei Jahren da draußen, gewinnt Kohlendioxid aus der Luft und Wasser aus dem Permafrost im Boden und erzeugt Methan für uns.
Methan ist ein natürliches Gas; es ist der Kraftstoff, den wir für unsere Boden-Rover benutzen werden.«
Bevor er mit dem Traktor losfuhr, drehte Trumball sich um und beugte sich ein wenig über den Rand des Fahrzeugs. »Schauen Sie sich die Stiefelabdrücke an«, sagte er.
»Menschliche Abdrücke im roten Sand des Mars. Hier ist noch nie ein Mensch gegangen, jedenfalls nicht genau an dieser Stelle. Vielleicht werden Sie eines Tages Ihre Spuren auf dem Mars hinterlassen.«
»Yah!«, jubelte der Neunjährige.
Trumball fuhr mit den achtundzwanzig Millionen zahlenden Zuschauern (und deren Freunden und Familienangehörigen) langsam zum Treibstoffgenerator.
»Macht nicht viel her«, gab er zu, »aber für uns ist er ein sehr wichtiger Ausrüstungsgegenstand. Sogar ein so wichtiger, dass wir noch einen zweiten mitgebracht haben.«
Als sie bei dem gedrungenen, zylindrischen Modul eintrafen, stieg Trumball vom Traktor und legte eine behandschuhte Hand auf die glatte, gebogene Metallverkleidung des Generators.
»Spüren Sie die Vibration?« Dutzende Millionen spürten sie. »Der Generator tuckert vor sich hin und erzeugt Brennstoff für uns. Er produziert auch Trinkwasser für uns.«