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Es war fast Mitternacht, als Stacy zu ihrem Stuhl im Kommunikationszentrum zurückkehrte und eine Tasse heißen Tee auf die Konsole neben dem Hauptbildschirm stellte.

Draußen kreischte der Wind, ein dünnes, gequältes Heulen wie das ferne Geschrei von Seelen in der Holle. Methodisch begann sie, alle Systeme der Kuppel ein weiteres Mal zu überprüfen. Ruhig und besonnen holte sie sich die Daten des Umweltüberwachungssystems auf den Monitor. In der Kuppel war alles normal, bis auf einen der Luftzirkulationsventilatoren, der schon früher am Tag den Dienst eingestellt hatte. Darum würde sie sich morgen früh kümmern, sagte sie sich. Sie öffnete das Programm für die Sensoren, die die Umweltbedingungen in der Gartenkuppel überwachten.

Bevor sie jedoch dazu kam, sich deren Daten genauer anzusehen, begann das gelbe Licht an der Hauptkommunikationskonsole zu blinken, und auf ihrem Bildschirm erschienen die Worte: EINGEHENDE NACHRICHT.

Vor sich hingrummelnd, tippte sie auf der Tastatur herum. Was will Tarawa denn jetzt schon wieder?

Zu ihrer Überraschung war es jedoch nicht das Kontrollzentrum auf Tarawa. Der Bildschirm zeigte das kratzige, von atmosphärischen Störungen gestreifte Bild eines triefäugigen Mannes mit verwuschelten Haaren: Dex Trumball.

Dex konnte nicht schlafen.

Er lag auf seiner Liege und horchte auf den Wind, der nur Zentimeter entfernt kreischte, hörte, wie der eisenhaltige Sand an der dünnen Metallhaut des Rovers kratzte, fühlte, wie der Sturm seine Krallen in den Rover schlug, einen Weg hinein zu finden versuchte, einen losen Riegel, einen kleinen Spalt, die winzigste Öffnung in den Schweißnähten, die die Haut des Rovers zusammenhielten.

Wir könnten binnen einer Minute tot sein, dachte er. Oder schlimmer, lebend im Sand begraben, ohne Strom. Und dann langsam ersticken, wenn die Luft zu Ende geht.

Und wir können nichts dagegen unternehmen! Wir können nur daliegen und es hinnehmen. Den verfluchten Sturm auf uns einschlagen und einhämmern lassen, bis er einen Weg findet, uns umzubringen.

Er setzte sich abrupt auf. Sein Herz raste, seine Brust hob und senkte sich. Er schwitzte, und gleichzeitig war ihm kalt.

Er musste schon wieder aufs Klo.

Als er in die Dunkelheit spähte, konnte er im schwachen Lichtschein der Instrumententafel im Cockpit die unförmige Gestalt von Craig ausmachen, der auf der Liege gegenüber schlief. Wiley lag mit leicht geöffnetem Mund auf dem Rücken und schnarchte leise.

Herrgott, er ist so entspannt wie ein Baby in seiner Wiege, dachte Trumball, als er leise von seiner Liege glitt.

Er tappte barfuß zum Waschraum gegenüber den Gestellen, wo die Raumanzüge wie gepanzerte Gespenster standen. Furcht schlägt auf die Blase, sagte er sich, als er in die Toilettenschüssel aus rostfreiem Stahl urinierte. Dieser Scheiß-Sturm macht mir eine Piss-Angst. Er war jetzt das vierte Mal auf der Toilette, seit er zu Bett gegangen war.

»Alles okay, Kumpel?«, fragte Craig leise, als Dex sich wieder hinlegte.

»Ja«, schnauzte Dex. »Mir geht's gut.«

»Ganz schön was los da draußen, hm?«

»Kann man wohl sagen.«

»Lass dich davon nich bange machen, Junge. Wir sind hier drin so sicher wie in Abrahams Schoß.«

Dex wusste, dass Craig ihm Mut machen, ihn beruhigen wollte. Er wusste, dass er Wiley dankbar sein sollte. Stattdessen ärgerte es ihn, dass der ihn ›Junge‹ genannt hatte.

Und er schämte sich, mit seiner Angst ertappt worden zu sein.

Der Wind ließ etwas nach. Das Kreischen wurde leiser.

Vielleicht ist es vorbei, dachte Dex. Vielleicht legt er sich allmählich.

Er ließ den Kopf auf sein schweißgetränktes Kissen sinken und schloss wieder die Augen. Doch im selben Moment schlug eine Windbö mit wildem Kreischen zu. Dex spürte, wie der Rover schwankte. Er setzte sich ruckartig wieder auf und schlug mit beiden Fäusten auf die Matratze. Beinahe wäre er in Tränen ausgebrochen. Lass mich in Ruhe! Lass mich in Ruhe! Geh weg und lass mich in Ruhe, bitte, bitte, bitte.

Der Wind heulte jedoch weiter. Wenn überhaupt, wurde er nur noch lauter.

Müde schlurfte er ins Cockpit des Rovers und ließ sich auf den rechten Sitz sinken. Mal sehen, was in der Kuppel los ist. Ein paar Takte reden. Ganz gleich, mit wem. Das lenkt dich von diesem beschissenen Sturm ab. Stacys unbewegtes, fleischiges Gesicht füllte den winzigen Bildschirm an der Kontrolltafel. Das Bild war streifig und körnig, aber sie schaute überrascht drein.

»Dex?«

»Ja«, sagte er leise, weil er Craig nicht wieder aufwecken wollte. »Ist zu laut zum Schlafen hier draußen. Wie sieht's bei euch aus?«

Deschurowa unterhielt sich ein paar Sekunden mit Dex, dann merkte sie, dass er nur plaudern wollte, weil er bei dem Sturm nicht schlafen konnte. Der Empfang war schlecht; sein Bild brach immer wieder zusammen. Wahrscheinlich werden seine Antennen langsam vom Staub zugeweht, dachte sie. Sie redete weiter mit ihm, wandte ihre eigentliche Aufmerksamkeit jedoch den Überwachungsmonitoren zu und fuhr fort, die Umweltbedingungen in der Gartenkuppel zu überprüfen.

Temperatur unter normal, sah sie. Das sollte nicht sein.

Der Luftdruck fiel ebenfalls.

Sie schnappte nach Luft. Ohne auch nur an Dex zu denken, der immer noch auf dem Hauptbildschirm vor sich hin plapperte, griff sich Stacy das Lautsprechermikro und brüllte:

»Notfall! Die Gartenkuppel reißt!«

Dex starrte mit offenem Mund auf den winzigen Kommunikationsbildschirm.

»Jamie und ihr anderen – die Gartenkuppel reißt!«, wiederholte Deschurowa. Ihre Stimme donnerte wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts. »Alle Mann hierher, und zwar sofort!«

Dann wurde der Bildschirm dunkel.

Dex saß im Cockpit des Rovers, und eiskalter Schweiß lief ihm über die Rippen. Er starrte auf den toten Bildschirm.

Allmächtiger, dachte er, und rang in wachsendem Entsetzen nach Atem, während er dort im Dunkeln saß. Wenn die Gartenkuppel draufgeht, könnte die Hauptkuppel ebenfalls draufgehen. Dann sind wir alle tot.

Mitsuo Fuchida lag auf seiner Liege, starrte in die Dunkelheit hinauf und horchte auf den Wind und das Knarren und Ächzen der Kuppel.

Es ist, als wäre man in einem Schiff auf See, sagte er sich, nur dass es nicht schaukelt.

Bevor er zu Bett gegangen war, hatte er erwogen, eine Beruhigungspille zu nehmen, war dann jedoch zu dem Schluss gekommen, dass er keine brauchte. Er hatte dem Tod schon im Lavaschlot auf dem Olympus Mons ins Auge gesehen. Dieser Sturm hielt keine weiteren Schrecken für ihn bereit. Der Tod wird kommen oder nicht, dachte er.

Was man nicht kontrollieren kann, muss man akzeptieren.

Trotzdem lag er wach, lauschte dem Sturm, dachte an Elizabeth und hoffte, dass Rodriguez sein Versprechen halten und nicht verraten würde, dass er verheiratet war. Wo mochte sie heute Nacht sein? Was machte sie gerade, in diesem Moment?

Er verlor sich in einen schönen Wachtraum von ihr.

Bis er Stacys Ruf hörte: »Notfall! Die Gartenkuppel reißt!

Alle Mann hierher, und zwar sofort!«

Er sprang automatisch aus dem Bett, und sein verletzter Knöchel schickte ihm einen schmerzhaften Stich durchs Bein. Mit der Bandage am Fuß humpelte er unbeholfen zum Kommunikationszentrum. Jamie, Vijay, Rodriguez und Trudy Hall eilten ebenfalls dorthin. Jeder von ihnen schlüpfte unterwegs hastig in einen zerknitterten Overall.

»Die Gartenkuppel hat Löcher«, sagte Stacy und zeigte mit einem dicken Finger auf den Überwachungsmonitor.

»Kamerabild«, befahl Jamie und glitt auf den fahrbaren Stuhl neben ihr.

Er spähte auf den Monitor. »Ich sehe gar nichts – Moment, das Kuppelmaterial wellt sich.«

»Druck und Temperatur fallen rapide«, sagte Deschurowa mit einem ungewohnten Anflug von Furcht in der Stimme.

»Die Pflanzen werden sicher eingehen!«, rief Trudy mit schriller, ängstlicher Stimme. »Die Nachttemperaturen …«