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Was macht es schon aus, ob mein Titel Missionsleiter oder Flaschenwäscher ist?«

Vijay knallte ihren Becher so hart auf den Tisch, dass der Tee überschwappte.

»Das kannst du nicht machen, Jamie! Das darfst du nicht!«

»Warum nicht? Was bedeutet der Titel schon? Es kommt doch darauf an, was wir hier auf dem Mars tun

»Aber er wird Dex die Leitung übertragen!«

»Das glaube ich nicht. Ich glaube, ihr werdet alle Gelegenheit bekommen, eure Meinung zum Ausdruck zu bringen.

Vielleicht gibt es eine Abstimmung.«

Sie schüttelte vehement den Kopf. »Das würde uns zerreißen, Jamie. Einige würden für Dex stimmen, und alle anderen würden als Gegenstimmen wahrgenommen werden.«

»Ja«, gab er zu, »das kann sein.«

»Du darfst nicht zurücktreten! Das würde alles kaputtmachen.«

»Ich glaube nicht …«

»Du willst zu der Felsenbehausung fahren, nicht? Glaubst du, Dex würde das zulassen?«

»Ich glaube nicht, dass Dex zum Leiter ernannt werden würde«, wiederholte er.

»Wer dann?«

»Ich wäre für Stacy.«

»Die ist keine Wissenschaftlerin.«

»Dann Wiley.«

»Wiley? Glaubst du, er genießt den gleichen Respekt wie du? Kannst du dir vorstellen, dass Mitsuo Wileys Befehle befolgt?«

»Es geht nicht darum, Befehle zu befolgen«, sagte er.

»Aber natürlich! Genau darum geht es beim Posten des Missionsleiters.«

Jamie schüttelte den Kopf. »Komm schon, Vijay, ich gebe den Leuten keine Befehle. Wir arbeiten alle zusammen.«

Sie setzte sich kerzengerade auf und tippte mit einem manikürten Fingernagel auf die Tischplatte. »Du gibst keine Befehle, weil du's nicht brauchst. Jeder hier hat enormen Respekt vor dir. Verstehst du das nicht? Du gehst mit leuchtendem Beispiel voran. Du bist ein natürlicher Anführer.«

»Das ist Dex auch, deinen Worten zufolge.«

»Dex will das werden, was du schon bist. Er ist noch nicht so weit.«

»Und wenn ich aufgebe, wenn ich zurücktrete«, Jamie bekam die Worte kaum heraus, »und Dex zum Missionsleiter ernannt wird … was wirst du dann tun?«

Sie sog scharf die Luft ein, als hätte sie jemand geschlagen.

Für lange, quälende Momente war sie still.

»Was ich tun werde?«, wiederholte Vijay. Ihre Stimme war so leise, dass er sie kaum hören konnte.

»In Bezug auf uns«, flüsterte Jamie.

Sie starrte ihn an.

»Ich meine …«

»Mein Gott, Jamie«, sagte sie mit zitternder Stimme,

»wenn du denkst, dass ich nur mit dir schlafe, weil du hier der Boss bist … wenn du denkst, ich springe mit Dex ins Bett, wenn er zum Leiter ernannt wird …«

»Ich … aber du hast gesagt …«

»Du bist ein Idiot!«, fuhr sie ihn an. »Ein verdammter, blöder Idiot!«

Sie stapfte davon, zu ihrer eigenen Kabine, und ließ den Becher in einer kleinen Teepfütze auf dem Tisch stehen. Jamie sah ihr nach und sagte sich, dass sie Recht hatte: Ich bin ein Idiot.

VOR TAGESANBRUCH: SOL 64

Jamie wusste, er hätte eigentlich müde sein müssen, aber er war hellwach. Grimmig wach.

Er saß in seinem Overall am Schreibtisch in seiner Kabine, und der Lichtschein vom Bildschirm seines Laptops hob sein Gesicht aus dem Dunkel und warf einen trüben, unförmigen Schatten an die Wand hinter ihm. Ich möchte wissen, wie viel Uhr es in Boston ist, dachte er.

Das eingefrorene Bild auf dem Monitor zeigte Darryl C.

Trumball an seinem Schreibtisch. Er starrte in die Kamera, das Gesicht zu einer zornigen, finsteren Miene erstarrt, einen Füllfederhalter mit einem edlen Abschlussknopf in der Hand. Jamie studierte Trumballs Bild, versuchte, die Seele hinter dem harten Äußeren zu finden. Was will er, fragte er sich. Warum will er mich loswerden?

Jamie hatte Trumball über eine Stunde zuvor eine schlichte Botschaft geschickt:

»Im Interesse der Harmonie unter den Mitgliedern des IUK-Vorstands bin ich bereit, mein Amt als Missionsleiter niederzulegen«, hatte er gesagt, »vorausgesetzt, dass Stacy Deschurowa an meiner Stelle ernannt wird und eine Exkursion zu der potenziellen Felsenbehausung in Tithonium Chasma in unseren Missionsplan aufgenommen wird.«

Die Worte Harmonie unter den Mitgliedern des IUK-Vorstands waren eine Chiffre, der darauf abzielte, die Finanzierung der nächsten Expedition zu gewährleisten.

Trumball hatte gedroht, die Mittel zu sperren, wenn Jamie nicht von seiner Position abberufen wurde. Ohne es in so viele Worte zu kleiden, bot Jamie seinen Kopf für eine finanzielle Zusicherung an. Und für das Versprechen, ihm die Erforschung der Felsenbehausung zu erlauben.

Jetzt saß er da, wartete auf Trumballs Antwort und betrachtete das aus einer früheren Nachricht stammende Standbild des alten Mannes. Er öffnete ein Fenster auf dem Bildschirm und überprüfte die aktuelle Zeit in Boston.

Zwölf Minuten nach zwei. Trumball müsste da sein; wenn nicht, hätte ihm das inzwischen sicher jemand mitgeteilt.

Nein, er überlegt es sich. Oder vielleicht will er mich einfach noch eine Weile in meinem eigenen Saft schmoren lassen. Das sähe so einem wie ihm ähnlich, der Macht-Trip, das pure Ego und kein Gedanke an andere Menschen.

Vielleicht versucht er, die Sache mit Dex zu besprechen, dachte Jamie. Doch als er Trumballs Bild auf dem kleinen Monitor anstarrte, wurde ihm klar, dass dieser Mann sich mit niemandem besprach. Er traf seine Entscheidungen aus seinen eigenen Gründen und walzte jeden platt, der sich ihm entgegenstellte. Oder es versuchte.

Jamie hatte eine schlimme Stunde verbracht, nachdem Vijay aus der Messe gestürmt war. Er fragte sich, wie die anderen seinen Rücktritt aufnehmen würden, fragte sich vor allem, wie Dex reagieren würde. Ich tue Stacy keinen Gefallen, sagte er sich, wenn ich sie auf den Schleudersitz hieve.

Aber es muss sein, erkannte er. Trumball wird sonst so viel Ärger machen, dass die nächste Expedition niemals vom Boden abheben wird.

Das hatte für ihn den Ausschlag gegeben. Es muss eine dritte Expedition geben. Und eine vierte, fünfte und fünfhundertste. Wir müssen eine ganze Welt erforschen! Ich darf nicht zulassen, dass mein Ego das verhindert. Dann wäre ich genauso schlimm wie Trumball.

Er war in seiner kleinen Kabine mehrere Kilometer auf und ab marschiert, vier Schritte in die eine Richtung, vier Schritte in die andere, von der Liege zur Falttür und wieder zurück, stundenlang. Hatte sich den Kopf zerbrochen, nach dem inneren Gleichgewicht gestrebt, sich zerrissen bei dem Versuch, den richtigen Weg zu finden. Endlich erkannte er, worin dieser bestand, worin er bestehen musste.

Das ist kein Willenskampf zwischen Trumball und mir. Es ist kein Kampf der Alpha-Männchen zwischen Dex und mir. Hier geht es um nicht mehr und nicht weniger als die Erforschung des Mars.

Die Entscheidung befreite ihn. Beruhigte ihn. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, öffnete den Laptop und schickte Trumball seine Botschaft.

Nun wartete er auf die Antwort des alten Mannes.

Und erkannte tief im Innern, wo die hohlen Schauder der Furcht entspringen, dass er Vijay verloren hatte. Ihren Respekt. Ihre Liebe.

An seinem Laptop begann die Leuchtanzeige für eingegangene Botschaften zu blinken wie ein gelbes Auge, das ihm zuzwinkerte.

Jamie drückte auf die Taste, und Trumballs Standbild schien lebendig zu werden. Da saß er, hinter demselben Schreibtisch, mit einem anderen Federhalter in der Hand, und sah Jamie mit einem mürrischen Ausdruck auf dem kalten, strengen Gesicht an.

»Ich habe Ihre Nachricht erhalten«, sagte Trumball. Seine Stimme war kratzig und rauh. »Ich werde dafür sorgen, dass der Vorstand Ihren Rücktritt annimmt. Vermutlich schicken Sie ja eine ähnlich lautende Nachricht an jedes einzelne Vorstandsmitglied.«