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Die mit der Leitungsaufgabe verbundene Verantwortung hat sie im Lauf des letzten Monats verändert, dachte Jamie, während er die Linien der Anspannung um ihren Mund und ihre Augen betrachtete. Sie macht ihre Arbeit gut, aber es schlaucht sie ganz schön.

Die Kabine war klinisch sauber: Das Bett war akkurat gemacht, der Schreibtisch aufgeräumt, Papiere und Kleider waren dort verstaut worden, wo sie hingehörten. Statt des üblichen Overalls trug Stacy jetzt meist eine dicke, weite, khakibraune Bluse mit militärischen Epauletten und eine ausgebleichte Jeans aus ihrem persönlichen Spind, und sie hatte ihr sandbraunes Haar zu einem militärischen Kurzhaarschnitt mit ausrasierten Schläfen geschoren; Jamie entdeckte zu seiner Überraschung graue Strähnen darin.

Jamie dagegen fühlte sich gelöster und freier denn je. Er hatte so gut wie keine Pflichten mehr und konnte sich nun voll und ganz der Planung seiner Reise zum Grand Canyon und zu der Nische in der Felswand widmen, wo er das …

Gebäude gesehen hatte. Jamie war sich dessen sicher. Was er in dieser Felsspalte gesehen hatte, war ein Gebäude gewesen. Vielleicht auch mehrere. Gebäude, die von intelligenten Wesen errichtet worden waren.

Ja, er war sich dessen sicher. Aber hatte er Recht? In ein paar Tagen werde ich es herausfinden, sagte er sich. Sobald ich dieses Exkursionspartnerproblem überwunden habe.

»Hör zu, Stacy, ich will dir keine Schwierigkeiten machen«, sagte er, »aber ich weiß einfach nicht, wen du freistellen kannst, damit er mich auf dieser Exkursion begleitet.«

»Dann bleibst du hier«, antwortete sie rundheraus.

»Nun mach aber mal einen Punkt …«

Deschurowa schüttelte störrisch den Kopf. »Jamie, du kennst die Sicherheitsvorschriften so gut wie ich. Niemand darf sich ohne Begleitung über Gehweite hinaus von der Basis entfernen.«

»Aber Tomas wird noch wochenlang nicht zu so einer Art von Arbeit imstande sein.«

»Dann wartest du entweder so lange, oder wir finden jemand anderen, der mitfährt.«

Rodriguez wäre bei einem Unfall mit dem Solarofen, der die Glasbausteine für das Gewächshaus brannte, das sie um die Gartenkuppel herum errichteten, beinahe ums Leben gekommen. Er hatte sich durch den Handschuh seines Raumanzugs hindurch üble Verbrennungen an der Hand zugezogen. Zum Glück war Trudy bei ihm gewesen. Sie hatte die Druckmanschette an seinem Handgelenk verschlossen und den vor Schmerzen stöhnenden Astronauten in die Kuppel zurückgebracht. Jetzt beschränkten sich seine Aufgaben darauf, an der Kommunikationskonsole zu sitzen und als einhändiger Missionsfunker zu dienen.

»Ich schaffe es auch allein«, beharrte Jamie. »Wir können die Regeln ruhig ein bisschen weiter auslegen, Stacy.«

Sie warf ihm einen Blick zu, der auf enervierende Weise jenem seiner Englischlehrerin in der achten Klasse ähnelte, wenn er einen Aufsatz nicht rechtzeitig abgegeben hatte.

»Jamie, du hast mir diese Verantwortung übertragen, weißt du noch?«, sagte sie langsam. »Ich kann dich nicht alleine losfahren lassen. Wenn du ums Leben kommst, würde ich mir das nie verzeihen.«

»Aber es ist niemand verfügbar«, wiederholte Jamie. »Du wirst hier gebraucht. Trudy und Mitsuo haben alle Hände voll mit den biologischen Untersuchungen zu tun. Es wäre nicht fair, von einem der beiden zu verlangen, damit aufzuhören.«

»Tarawa wäre sowieso nicht einverstanden.«

»Ganz recht.«

»Wie wär's mit Wiley?«, fragte Deschurowa.

»Er und Dex sind vollauf damit beschäftigt, die Proben vom Boden des Canyons zu datieren«, antwortete Jamie.

»Außerdem hat er schon genug Zeit im Rover verbracht.«

Stacy zuckte die Achseln und kratzte sich unbewusst an der Schulter. Die Khakibluse juckt bestimmt, dachte Jamie.

»Sonst gibt es niemanden«, sagte er. »Dex ist zu beschäftigt, genau wie Wiley.«

»Vijay?«, fragte Deschurowa.

Sie hatte nicht mehr mit Jamie geschlafen, seit er ihr erklärt hatte, er werde von seinem Leitungsposten zurücktreten. Sie war auf eine kühle, aber zugleich spröde, schmerzhafte Art freundlich. Soweit Jamie wusste, schlief sie mit Dex auch nicht. Er war froh darüber, aber es war ein schwacher Trost.

»Die Ärztin sollte hier bleiben, wo der größte Teil des Teams ist«, meinte Jamie. »Außerdem kümmert sie sich immer noch um Tomas' Hand.«

»Sie ist sowieso nicht qualifiziert, den Rover zu fahren.«

Deschurowa seufzte, fast so, als hätte sie Schmerzen. »Dann wirst du warten müssen, bis Tom wieder arbeiten kann.«

»Ich will nicht warten«, sagte Jamie mit fester Stimme.

»Ich bin bereit, jetzt loszufahren. Ich habe nichts anderes zu tun. Der zusätzliche Rover ist fahrbereit, und ich bin's auch.«

Deschurowa setzte dazu an, nein zu sagen. Jamie sah, wie ihre Lippen das Wort formten. Aber sie zögerte, holte Luft und sagte stattdessen: »Lass mich darüber nachdenken, Jamie. Vielleicht finde ich irgendeine Lösung.«

Jamie begriff, was sie tat: Sie sagte nein, ohne das Wort zu benutzen.

Er erhob sich von dem Stuhl, sodass dieser ein paar Zentimeter über den Plastikfußboden rollte.

»Stacy, morgen sind wir hundert Tage hier auf dem Mars.

Ich fahre morgen mit dem Rover los, ob es dir nun passt oder nicht.«

Er drehte sich um und verließ ihre Unterkunft, bevor sie etwas erwidern konnte.

Während er zu seiner Kabine marschierte, dachte er: Ja, geh raus und nimm dir den Rover. Wie will sie mich daran hindern? Will sie Dex und die anderen dazu bringen, mich zu überwältigen?

Als er jedoch die Tür zu seiner Unterkunft hinter sich zugeschoben hatte und auf seine unordentliche Liege hinunterschaute, sagte er sich: Genau, klau den Rover, dann steht Stacy wie eine machtlose Närrin da. Grandiose Aktion.

Einfach wundervoll. Was für ein tolles Paradebeispiel für ein Arschloch du wärst.

Aber die Alternative war, ein paar Wochen zu warten, vielleicht noch länger. Ein paar Ewigkeiten. Wer wusste schon, welche Probleme sich in ein paar Wochen stellen würden? Irgendwas kommt immer dazwischen. Morgen sind wir hundert Tage hier, und ich bin keinen Schritt näher an diesem Dorf als am Tag unserer Landung.

Stacy brauchte drei Anrufe, um Vijay ausfindig zu machen. Sie war weder im Krankenrevier noch im Biologielabor. Als Deschurowa es im Geologielabor probierte, antwortete Dex' Stimme munter: »Ja, sie ist hier.«

Neunzig Sekunden später klopfte Vijay einmal an die Tür zu Deschurowas Unterkunft und schob sie ein Stück weit auf.

»Dex hat gesagt, du wolltest mich sprechen.«

Stacy nickte und zeigte auf den Stuhl, auf dem Jamie gesessen hatte. Vijay setzte sich, die Knie aneinander gepresst, die Hände auf den Oberschenkeln. Ihr Overall wirkte ein bisschen verschossen, aber sie hatte ein buntes Tuch um die Taille gebunden und ein kleineres lose um den Hals geknotet. Die strahlenden Farben Indiens, dachte Stacy. Im Vergleich zu ihr wirken wir alle wie graue Mäuse.

»Ich habe Schwierigkeiten mit Jamie«, sagte Deschurowa.

Vijays Augen weiteten sich kurz. »Was ist mit Jamie?«

»Du bist die hiesige Psychologin«, sagte Deschurowa. Ihr Mund verzog sich zu einem leisen Lächeln. »Und du kennst Jamie besser als jeder andere hier …«

»Wenn es um unsere persönliche Beziehung geht …«

»Nein. Es geht um die Arbeit dieser Expedition. Und es geht um Jamie und dich … und um Dex.«

»Dex?«

»Hör zu«, sagte Stacy. Dann begann sie zu erklären.

Vijay hörte zu. Dann sagte sie ihre Meinung. Deschurowa dankte ihr und bat sie, Wiley Craig zu ihr zu schicken. Sie sprach fast eine Stunde lang mit Craig.

Als sie an diesem Abend alle acht um den Esstisch versammelt waren, fragte Deschurowa: »Jamie, wie wär's, wenn Dex dich auf der Exkursion begleiten würde?«

Alle hörten auf zu essen. Plastikgabeln blieben mitten in der Luft hängen. Trinkbecher wurden wieder auf den Tisch gestellt. Sogar das Kauen hörte auf.