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Da sich nach den ersten paar Tagen auf Cromsag gezeigt hatte, daß die Einheimischen durch die Seuche zu stark geschwächt waren, um das Tragen schwerer Schutzanzüge zu rechtfertigen, war das gesamte Personal des Korps dazu übergegangen, die leichteren Bordoveralls anzuziehen, die zwar die Bewegungsfreiheit weniger einschränkten, aber ansonsten nur Schutz vor Sonne, Regen und Insektenstichen boten.

Voller Empörung wurde Lioren bewußt, daß zum erstenmal in seinem Leben ein anderes Wesen gegen ihn im Zorn die Hand erhoben hatte — von den Füßen, Knien und Zähnen ganz zu schweigen. Auf Tarla wurden Auseinandersetzungen nicht auf diese barbarische Weise beigelegt. Und obwohl er genauso viele Glieder hatte wie die beiden DCSLs zusammengenommen, verhielten sich seine Gegner alles andere als Cromsaggi, die von der Seuche geschwächt waren. Sie brachten seinem Körper schwere Verletzungen bei und fügten ihm mehr Schmerzen zu, als er es jemals für möglich gehalten hätte.

Während er die Schläge auf den Körper abwehrte, die ihn am ehesten kampfunfähig gemacht hätten, und die beiden Cromsaggi verzweifelt davon abzuhalten versuchte, ihm die beweglichen Augenstiele abzureißen, merkte Lioren, wie sich Dracht-Yur unter ihm hervorwand und auf die Tür zukroch. Daß seine Gegner den Stabsarzt gar nicht beachteten, beruhigte ihn, denn die kurzen, stark behaarten Gliedmaßen des Nidianers verfügten weder über die Kraft noch über die Reichweite, um einen nützlichen Beitrag zum Kampf leisten zu können. Einige Sekunden später erhaschte er einen flüchtigen Blick auf Dracht-Yurs Kopf, der inzwischen in einem durchsichtigen Helm steckte, hörte den leisen Knall einer detonierenden Schlafgasgranate und spürte, wie die Körper seiner Gegner plötzlich schlaff wurden und über ihm zusammenbrachen, bevor sie langsam auf den Boden rollten.

In den wenigen Augenblicken, in denen die Körper — so bedeckt sie von den blassen, verfärbten Flecken und nässenden Entzündungen waren, die ein Kennzeichen für Seuchenopfer kurz vorm Endstadium darstellten — schwer auf ihm gelastet und ihn auf beinahe intime Weise berührt hatten, war es für ihn eine große Erleichterung gewesen, sich daran zu erinnern, daß die Krankheitserreger eines bestimmten Planeten bei den Mitgliedern einer außerplanetarischen Spezies keine Wirkung hatten.

Auch wenn das Betäubungsgas für maximale Wirkung auf den Metabolismus der Cromsaggi ausgelegt war, hatte es für andere warmblütige Sauerstoffatmer die gleichen, allerdings weniger unmittelbaren Folgen. Zwar konnte sich Lioren nicht bewegen, aber er war sich des Nidianers bewußt, der eindringlich irgendwelche Laute in sein Anzugmikrofon knurrte und bellte, während er die schlimmsten Wunden versorgte. Vermutlich forderte er gerade den Flugzeugpiloten auf, ärztliche Hilfe zu rufen, da Liorens Translator beim Kampf jedoch beschädigt worden war, konnte er kein einziges Wort verstehen. Allerdings scherte ihn das nur wenig, zumal er die starken Beschwerden der vielen Wunden inzwischen nur noch als leichte Reizungen empfand und sich der harte Boden unter ihm wie das weichste Bett anfühlte. Dennoch war sein Verstand klar und wollte dem Körper offenbar nicht in den Schlaf folgen.

Die beiden Cromsaggi beim Geschlechtsakt zu stören, war zwar sicherlich ein schwerer Fehler gewesen, aber auch ein verständlicher, denn seit der Ankunft auf Crom89sag war noch keiner von Liorens Leuten Zeuge von etwas Ahnlichem wie einer Paarung geworden, und alle, einschließlich Lioren selbst, hatten angenommen, die Spezies wäre durch die Seuche körperlich zu stark geschwächt, als daß man derartige Betätigungen noch für möglich gehalten hätte. Und die heftige Reaktion der DCSLs, die schiere Stärke und Wildheit ihres Angriffs, hatten ihn überrascht und erschüttert.

Während der sehr kurzen Fortpflanzungsperiode auf Tarla galt ein solcher Vorgang, insbesondere unter den Alteren, die seit vielen Jahren zusammenlebten, eher als ein Grund zum Feiern und zur öffentlichen Zurschaustellung als eine Sache, die man verheimlichte — wenngleich Lioren wußte, daß viele Spezies der Föderation, die ansonsten hochintelligent und philosophisch weit fortgeschritten waren, den Paarungsvorgang als Privatangelegenheit zwischen den Betreffenden betrachteten.

Natürlich verfügte Lioren auf diesem Gebiet über keinerlei persönliche Erfahrungen, da ihn seine vollkommene Hingabe an die Heilkunst schlichtweg daran hinderte, in irgendwelchen Genüssen zu schwelgen, die zugelassen hätten, daß durch emotionale Faktoren die nüchterne Objektivität seines Verstands in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Wenn er hingegen ein ganz gewöhnlicher Tarlaner gewesen wäre, ein Handwerker oder Angehöriger einer der unverheirateten Berufsstände, und hätte man ihn dann unter den gleichen Umständen gewaltsam am Geschlechtsakt gestört, wäre es sicherlich zu ein paar unfreundlichen Worten gekommen, aber ganz sicher nicht zu Gewalttätigkeiten.

Zumal dieser Zwischenfall so erschütternd und unangenehm gewesen war, würde Liorens Verstand erst dann ruhen, wenn er den Grund für ein derart unvernünftiges Verhalten gefunden hatte, egal, wie fernliegend oder unzivilisiert dieser Grund auch sein mochte. Konnte es wirklich sein, daß sich die beiden DCSLs in ihrem schwerkranken Zustand und mit den ernsthaften Verletzungen aus dem Kampf auf der Lichtung ins Haus geschleppt hatten, um sich vor dem Sterben gegenseitig noch eine letzte kurze Freude zu bereiten? Wie Lioren wußte, mußte es in gegenseitigem Einverständnis zur Paarung gekommen sein, denn der Fortpflanzungsmechanismus der Cromsaggi war physiologisch gesehen zu kompliziert, als daß ein DCSL den anderen zum Geschlechtsverkehr hätte zwingen können.

Das schloß jedoch nicht die Möglichkeit aus, daß der Geschlechtsakt die letztliche Folge des Kampfs darstellte, die Hingabe eines weiblichen Wesens an den im Gefecht siegreichen Kämpfer. Für ein solches Verhalten gab es viele geschichtliche Beispiele, zum Glück allerdings nicht in der Geschichte von Tarla. Allerdings war diese Erklärung nicht befriedigend, da sowohl männliche als auch weibliche Cromsaggi kämpften, wenn auch nicht gegeneinander.

Für den Fall, daß irgendein DCSL überleben sollte und man der Spezies anbot, der Föderation beizutreten, nahm sich Lioren vor, für die Kulturkontaktspezialisten, die das cromsaggische Problem letztendlich zu lösen hatten, einen ausführlichen Bericht über den Zwischenfall abzufassen.

Plötzlich gingen die vier einzelnen Bilder von der näheren Umgebung, die ihm seine gelähmten Augen nach wie vor lieferten und zu denen auch das von Dracht-Yur gehörte, der mit den beiden DCSLs beschäftigt war, in vollkommene Dunkelheit über, und der Oberstabsarzt erinnerte sich nur noch an das Gefühl leichten Schmerzes, bevor er mitten im Gedankengang in tiefen Schlaf fiel.

Dracht-Yur sperrte ihn im Lazarett auf der Vespasian ein, und zwar so lange, bis seine schlimmsten Wunden verheilt seien, wie er meinte. Zudem erinnerte er Lioren daran — wie es nur ein behaarter, engstirniger und sarkastischer Zwerg von einem Nidianer wagen konnte — , daß ihr Verhältnis bis dahin das zwischen einem Arzt und dessen Patienten sei und er in der gegenwärtigen Lage in seiner Funktion als Stabsarzt das Sagen habe.

Sooft Dracht-Yur auch betonte, wie ratsam nach dem seelischen Schock Ruhe und psychische Erholung seien, konnte er Lioren dennoch nicht den Mund verbieten oder ihn davon abhalten, neben seinem Bett ein Kommunikationssystem aufstellen zu lassen.

Wie eine schwangere Strulmer, die einen Berg hinaufklettert, schlich die Zeit dahin, und weiterhin verschlechterte sich die medizinische Situation auf Cromsag, bis die tägliche Sterblichkeitsrate von einhundert Toten auf fast einhundertfünfzig stieg — und immer noch keine Spur von der Tenelphi. Mit einem notwendigerweise kurzen Hyperraumfunkspruch, den er vorher aufgenommen hatte und oft wiederholte, damit die einzelnen Worte rekonstruiert werden konnten, nachdem sie sich mühsam einen Weg durch die Interferenzen der dazwischen liegenden Sterne gebahnt hatten, bat Lioren das Orbit Hospital um Nachricht. Als der Funkspruch nicht beantwortet wurde, war Lioren nicht überrascht, denn der von einem langen Zwischenbericht benötigte Energieaufwand wäre wirklich verschwenderisch gewesen. In einem zweiten Funkspruch teilte Lioren nur noch mit, er selbst sowie das medizinische und das Hilfspersonal auf Cromsag fühlten sich allmählich so hilflos, wütend und ungeduldig, daß es schon ans Psychotische grenze, aber das war im Hospital wahrscheinlich schon bekannt.