„Die Schuld für diesen Vorfall liegt voll und ganz bei mir“, führ Lioren fort. „Falls jemand irgendeinen Zweifel daran hat, bitte ich Thornnastor, den leitenden Diagnostiker der Pathologie, seine Aussage zu machen.“
Gleich darauf stampfte der Tralthaner auf seinen sechs elefantenartigen Beinen schwerfällig nach vorn, um in den Zeugenstand zu treten. Indem er je ein Auge auf den Gerichtspräsidenten sowie auf Lioren, O'Mara und seine schriftlichen Aufzeichnungen richtete, begann er zu sprechen. Nur wenige Minuten später bat Flottenkommandant Dermod mit erhobener Hand um Ruhe.
„Der Zeuge ist nicht dazu verpflichtet, sich mit seiner Aussage derart in medizinische Einzelheiten zu verlieren“, sagte er. „Zweifellos werden das seine Arztkollegen interessant finden, aber für das Gericht ist das nicht mehr verständlich. Bitte drücken Sie sich einfacher aus, Diagnostiker Thornnastor, und erklären Sie, weshalb sich die Cromsaggi so verhalten haben, wie es der Fall gewesen ist.“
Mit den beiden mittleren Füßen stampfte Thornnastor auf — eine Geste, die Ungeduld verriet, deren genaue Bedeutung aber nur einem zweiten Tralthaner klar gewesen wäre — und willigte schließlich mit einem „Also gut, Sir“ ein.
Laut seiner Aussage war aufgrund der vorsichtigeren Methode des Versuchsprogramms am Orbit Hospital und den sich daraus ergebenden langsameren Fortschritten bis zu einer vollständigen Heilung der Hyperraumfünksprüch von der Vespasian noch rechtzeitig empfangen worden, um eine Wiederholung der Katastrophe, die sich auf Cromsag ereignet hatte, zu verhindern. Sämtliche Cromsaggi waren im Hospital verteilt und in Einzelunterkünfte gesperrt worden, und die Abteilung für ET-Psychologie hatte ihre Bemühungen verstärkt, die geradezu fanatische Weigerung der Patienten zu jedweder Form von Zusammenarbeit zu überwinden, weil man sie dazu bringen wollte, endlich Fragen über sich selbst zu beantworten.
Doch erst als man — höchst widerwillig und nicht ohne lange über mögliche psychologische Schäden nachzudenken — den Entschluß faßte, den Patienten die ganze Wahrheit darüber zu sagen, was auf ihrem Heimatplaneten geschehen war, wozu auch der Umstand gehörte, daß es sich bei ihnen um die einzigen erwachsenen Mitglieder ihrer Spezies handelte, die überlebt hatten, begannen sie über sich selbst zu sprechen. Die DCSLs reagierten verständlicherweise sehr zornig, und es gab gegenseitige Schuldzuweisungen, dennoch lieferten die Cromsaggi genügend Informationen, um es zu ermöglichen, eine Theorie aufzustellen, die durch archäologische Beweise gestützt wurde.
Nach der genauesten Schätzung war die Seuche vor knapp tausend Jahren zum erstenmal aufgetreten, als der technologische Stand auf Cromsag bis zum Flug durch die Atmosphäre gediehen war und der philosophische Fortschritt eine Zivilisation hervorgebracht hatte, die keine Kriege mehr führte. Über den Ursprung und die Entwicklung der Seuche war keine andere Auskunft zu erhalten, als daß sie beim Geschlechtsakt durch einen Elternteil übertragen wurde und ihre Auswirkungen anfänglich eher schwach als lebensbedrohlich und lediglich unangenehm waren. Die Mehrheit der Cromsaggi unternahm keine weiten Reisen, und wenn sie erst einmal eine Bindung zum anderen Geschlecht eingegangen waren, nahmen die DCSLs diese sehr ernst und gingen auch nicht fremd. Eine Anzahl der umsichtigeren Cromsaggi schloß sich zwar zu Gemeinschaften zusammen, die seuchenfrei waren, aber der Paarungsvorgang hing eher von emotionalen als von medizinischen Faktoren ab, und so machte die Krankheit schließlich auch diesen von vornherein unverläßlichen Schutz zunichte. Weitere drei Jahrhunderte sollten vergehen, bevor sich die Seuche unkontrolliert über ganz Cromsag ausbreitete und jeder einzelne Angehörige der Bevölkerung, Erwachsene wie Kinder, sich infizierte. Zu dieser Zeit hatte sie an Bösartigkeit zugenommen, und Todesfälle im mittleren Alter waren alltäglich geworden.
Die gemeinsamen Anstrengungen der medizinischen Wissenschaftler waren erfolglos, und am Ende des darauffolgenden Jahrhunderts war die Zivilisation der DCSLs auf einen vortechnologischen Stand zurückgesunken. Nur selten lebte ein Cromsaggi nach der Geschlechtsreife noch länger als zehn Jahre. Als Spezies sahen die Cromsaggi dem Aussterben entgegen, und zwar einem sehr raschen Aussterben, da sich die Seuche negativ auf die Geburtenziffer auswirkte.
„Die vollständige Symptomatologie der Krankheit ist einschließlich der Beeinträchtigung des inneren Sekretionssystems und den daraus resultierenden Auswirkungen auf die Geschwindigkeit des Wachstums und die Entwicklung des Kranken bereits untersucht worden und kann in aller Ausführlichkeit erörtert werden“, erklärte Thornnastor, „doch werde ich sie im Interesse des Gerichts kurz zusammengefaßt und vereinfacht darstellen.
Bei den erwachsenen DCSLs beider Geschlechter hat der für Gesichtsund Tastsinn unangenehme Zustand der Haut zwar einen negativen Einfluß auf den Geschlechtstrieb und somit auf die sinkende Geburtenrate gehabt, aber nur einen geringen“, fuhr er fort. „Denn selbst wenn die Haut beider Partner makellos und ästhetisch ansprechend wäre, ist die Leistung des inneren Sekretionssystems so sehr eingeschränkt, daß der Geschlechtsakt und die Empfängnis ohne eine vorherige, abnorm starke emotionale Stimulation unmöglich ist.“
Thornnastor machte eine Pause. Zwar verfügte er nicht über Gesichtszüge, die seine Mimik zu ändern vermochten, aber es war, als könne er wegen der Bilder, die ihm in seiner gewaltigen, unbeweglichen Kuppel von einem Kopf vor dem geistigen Auge schwebten, einen Moment lang nicht weitersprechen. Dann fuhr er fort: „Im Bemühen, diese Schwierigkeit mit medizinischen Mitteln zu umgehen, haben sich die DCSLs Substanzen verabreicht, die aus natürlich vorkommenden Pflanzen gewonnen wurden und zur Sinnessteigerung oder zu Halluzinationen geführt haben. Doch dieses Verfahren erwies sich als unwirksam und wurde wegen der Probleme aufgegeben, die mit einer unheilbaren Sucht, mit Todesfällen wegen Überdosen und mit stark mißgebildeten und nicht lebensfähigen Kindern entstanden. Die Lösung, die die Cromsaggi schließlich gefunden haben, liegt im außermedizinischen Bereich und hat für sie bedeutet, im Sozialverhalten in die finstersten Zeiten der cromsaggischen Geschichte zurückzukehren. Die Cromsaggi sind in den Krieg gezogen.“ Die Gründe für den Krieg bestanden nicht darin, Territorien auszudehnen oder Vorteile für den Handel zu erzielen. Der Krieg wurde auch nicht von weitem aus befestigten Stellungen heraus oder von Soldaten geführt, die gemeinsam vorgingen oder durch gepanzerte Maschinen oder Kriegsgeräte geschützt waren. Bei diesem Krieg ging es nicht um Leben und Tod, denn beide Seiten hatten keineswegs die Absicht, einen Gegner zu töten, der sehr gut ein Familienangehöriger oder ein Freund sein konnte. Genaugenommen gab es gar keine Seiten, da nur Zweikämpfe zwischen Paaren von unbewaffneten Cromsaggi ausgetragen wurden. Es handelte sich um einen Krieg, dessen einziger Zweck es war, ein Höchstmaß an Angst, an Schmerzen und Gefahr herbeizuführen, aber — wenn möglich — nicht den Tod der Kämpfer. Von einem besiegten oder schwerverwundeten Gegner ging keine Bedrohung oder Gefahr aus, und die Besiegten wurden, obwohl die Opponenten noch Augenblicke zuvor verzweifelt versucht hatten, sich gegenseitig umzubringen, dort zurückgelassen, wo sie lagen und hofften, sich von den Wunden zu erholen, um wieder kämpfen zu können und ein anderes Mal einem Gegner Angst einzujagen.
Für die Cromsaggi war das Leben etwas Großartiges und Kostbares, und diese Wertschätzung stieg noch mit jeder zusammengeschrumpften Generation, die verging; ansonsten hätten sich die DCSLs nicht so angestrengt darum bemüht, ihre Spezies am Leben zu erhalten.
Denn nur dadurch, daß die Cromsaggi ihren Sinnesapparat mit Schmerzen übermäßig belasteten, die Muskulatur stark beanspruchten und sich dem größtmöglichen Maß an emotionaler Anspannung aussetzten,