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Das Gericht spricht Ihnen als ehemaligem Oberstabsarzt sein tiefstes Mitgefühl aus und wünscht Ihnen für die Zukunft alles Gute.“

6. Kapitel

Lioren stand, auf drei Seiten von den seltsam geformten Sitzmöbeln umgeben, die für die Bequemlichkeit von Lebewesen anderer physiologischer Klassifikationen als seiner eigenen konstruiert waren, auf der freien Fläche vor O'Maras Schreibtisch und starrte mit sämtlichen Augen auf den Psychologen hinunter. Seit die Strafe gegen ihn verhängt und ihm eine kurähnliche Heilbehandlung aufgezwungen worden war, an der er mit nichts, was in seiner Macht stand, etwas ändern konnte, hatte sich der unbändige Haß gegenüber diesem untersetzten kleinen Zweifüßer mit dem grauen Kopfpelz und den Augen, die nie einem Blick auswichen, zwar zu einer Abneigung abgeschwächt, die sich bei Lioren dennoch so tief in der Seele verwurzelt hatte, daß er nicht glaubte, sie jemals überwinden zu können.

„Mich zu mögen ist zum Glück keine Voraussetzung für die Behandlung“, stellte O'Mara fest, der anscheinend Liorens Gedanken lesen konnte, „ansonsten hätte das Orbit Hospital schon längst kein medizinisches Personal mehr. Ich habe für Sie die Verantwortung übernommen, und da Sie eine Kopie meiner schriftlichen Eingabe an das Militärgericht gelesen haben, kennen Sie auch die Gründe, die ich dafür hatte. Oder muß ich sie Ihnen noch einmal nennen?“

In der Eingabe hatte O'Mara behauptet, der Vorfall auf Cromsag sei hauptsächlich bestimmten Charakterfehlern von Lioren zuzuschreiben, Fehlern, die während seiner Ausbildung in ET-Medizin am Orbit Hospital hätten entdeckt und korrigiert werden müssen; dabei habe es sich um ein Versäumnis gehandelt, an dem allein die psychologische Abteilung die Schuld trage. Angesichts dieses Sachverhalts und angesichts des Umstands, daß das Orbit Hospital keine psychiatrische Klinik war, konnte Lioren nicht als Patient angesehen werden, sondern wie ein Auszubildender, der das Schulungsprogramm über die Beziehungen zu anderen Spezies nicht zufriedenstellend beendet hatte und der psychologischen Abteilung unter O'Maras Leitung zugeteilt worden war. Als Auszubildender nahm Lioren trotz seiner medizinischen und chirurgischen Fähigkeiten, die er bereits bei vielen Lebensformen unter Beweis gestellt hatte, einen niedrigeren Rang als eine ausgebildete Stationsschwester ein.

„Nein“, antwortete Lioren.

„Gut“, sagte O'Mara. „Ich vergeude nämlich weder gerne Zeit noch Arbeitskraft. Im Augenblick habe ich keine besonderen Anweisungen für Sie, außer daß Sie sich frei im Hospital bewegen dürfen — am Anfang allerdings nur in Begleitung von jemandem aus dieser Abteilung — oder daß Sie, falls es Momente geben sollte, in denen diese Maßnahme Sie in nicht mehr tragbarer Weise in Verlegenheit bringt oder belastet, die üblichen Büroarbeiten erledigen werden. Dazu wird auch gehören, daß Sie sich mit der Arbeit dieser Abteilung und den psychologischen Akten der medizinischen Mitarbeiter vertraut machen, von denen Ihnen die meisten zum Studium zugänglich gemacht werden. Sollten Sie dabei irgendein Anzeichen für ungewöhnliches Verhalten, für untypische Reaktionen gegenüber Mitarbeitern einer anderen Spezies oder für ein unerklärliches Nachlassen der beruflichen Leistungsfähigkeit aufspüren, werden Sie mir dies mitteilen. Allerdings nur dann, wenn Sie Ihre Entdeckung vorher mit einem Ihrer Kollegen aus dieser Abteilung diskutiert haben, damit sichergestellt ist, daß sie meiner Aufmerksamkeit wert ist.

Es ist wichtig, nicht zu vergessen, daß mit Ausnahme einiger weniger Patienten, die besonders schwer erkrankt sind, jeder im Hospital über Ihren Fall voll und ganz im Bilde ist“, fuhr der Psychologe fort. „Viele Patienten und Mitarbeiter werden Ihnen Fragen stellen, die zum größten Teil höffich und rücksichtsvoll sein werden, außer den Kelgianern, die den Begriff ̃̄„Höflichkeit“ nicht verstehen. Zudem werden Ihnen viele gutgemeinte Hilfsangebote, ermunternde Worte und reichlich Mitgefühl zuteil werden.“

O'Mara machte eine kurze Pause; dann sagte er in sanfterem Ton: „Ich werde alles tun, was ich kann, um Ihnen zu helfen. Sie haben wirklich große Seelenqualen erlitten und erleiden sie noch und haben mit einer drückenden Schuld zu kämpfen, wie sie mir größer weder in der Literatur noch in meiner eigenen langjährigen Erfahrung jemals vorgekommen ist; mit einer Bürde, die so schwer ist, daß sie jeden anderen Geist als den Ihren vollkommen zugrunde gerichtet hätte. Von Ihrer Gefühlsbeherrschung bin ich tief beeindruckt, und bei dem Gedanken daran, wie sehr Sie im Moment psychisch angespannt sein müssen, wird mir angst und bange. Ich werde alles mögliche tun, um diese Anspannung abzubauen, und auch ich, der ich außer Ihnen selbst am besten in der Lage bin, Ihre Position zu verstehen, spreche Ihnen hiermit mein Mitgefühl aus.

Doch Mitgefühl ist bestenfalls ein Linderungsmittel, und obendrein noch eins, dessen Wirkung bei wiederholter Anwendung nachläßt“, fuhr er fort. „Deshalb verabreiche ich es Ihnen nur dieses eine Mal. Von jetzt an werden Sie genau das tun, was man Ihnen sagt, und sämtliche routinemäßigen, niedrigen und langweiligen Arbeiten verrichten, die man Ihnen aufträgt, und Sie werden von niemandem in dieser Abteilung auch nur einen einzigen Funken Mitgefühl bekommen. Haben Sie mich verstanden?“

„Ich sehe ein, daß mein Stolz gebrochen und mein Vergehen bestraft werden muß, denn das habe ich verdient“, antwortete Lioren.

O'Mara stieß einen unübersetzbaren Laut aus. „Was Sie so meinen, alles verdient zu haben, Lioren, interessiert mich nicht die Bohne. Erst wenn Sie anfangen zu glauben, daß Sie das alles vielleicht nicht verdient haben, befinden Sie sich wirklich auf dem Weg der Besserung. Und jetzt werde ich Sie Ihren Mitarbeitern im Vorzimmer vorstellen.“

Wie es O'Mara angekündigt hatte, war die Büroarbeit reine Routine und wiederholte sich ständig, doch in den ersten paar Wochen war sie für Lioren noch zu neu, um langweilig zu sein. Von den Zeiten abgesehen, in denen er geschlafen oder sich zumindest ausgeruht oder den Essensspender in seiner Unterkunft benutzt hatte, hatte Lioren weder die Abteilung verlassen noch irgend etwas anderes getan, als sein Gehirn zu beschäftigen. Er konzentrierte sich voll und ganz auf seine neuen Aufgaben, wodurch sich die Qualität seiner Arbeit, die Menge, die er bewältigte, und sein Verständnis für das, was er tat, in einem Maß steigerte, daß er sowohl von Lieutenant Braithwaite als auch von der Auszubildenden Cha Thrat gelobt wurde, allerdings nicht von Major O'Mara.

Wie ihm der Chefpsychologe mitgeteilt hatte, lobe er nie jemanden, weil es seine Aufgabe sei, die Leute auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen und nicht, sie abheben zu lassen. In dieser Bemerkung konnte Lioren weder einen medizinischen noch einen semantischen Sinn erkennen, weshalb er zu dem Schluß gelangte, es müsse sich um das handeln, was die terrestrischen DBDGs als Witz bezeichneten.

Seine wachsende Neugier gegenüber den beiden Wesen, mit denen er so viel Zeit verbrachte, konnte Lioren nicht einfach übergehen, aber die Mitarbeiter der Abteilung durften ihre psychologischen Akten nicht gegenseitig einsehen, und seine beiden Kollegen stellten weder persönliche Fragen, noch beantworteten sie welche. Vielleicht war das in der Abteilung Vorschrift, oder O'Mara hatte die beiden aufgefordert, ihre natürliche Neugier aus Rücksicht auf Liorens Gefühle im Zaum zu halten.

Doch dann gab Cha Thrat eines Tages zu verstehen, daß diese Vorschrift außerhalb des Büros nicht gelte.

„Sie sollten den Bildschirm mal für eine Weile vergessen und Ihrem Kopf eine Ruhepause von Cresk-Sars endlosen Berichten über die Fortschritte der Auszubildenden gönnen, Lioren“, riet ihm die Sommaradvanerin, als sie gerade zum Mittagessen gehen wollte. „Lassen Sie uns doch gemeinsam eine Kleinigkeit zu uns nehmen.“

Einen Augenblick lang zögerte Lioren, da er an die ständig überfüllte Kantine für warmblütige Sauerstoffatmer im Hospital dachte und vor allem an die vielen Wesen, denen er auf dem Weg dorthin auf den belebten Korridoren begegnen mußte. Er war sich nicht sicher, ob er dafür schon bereit war.