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Bevor er antworten konnte, fuhr Cha Thrat fort: „In den Versorgungscomputer für Speisen und Getränke ist bereits ein vollständiges tarlanisches Menü einprogrammiert worden, das natürlich synthetisch ist, aber trotzdem viel besser als diese geschmacklose Pampe schmeckt, die aus dem Essensspender in der Unterkunft kommt. Wenn der Computer von dem einzigen tarlanischen Personalangehörigen links liegengelassen wird, muß er sich doch verletzt, gekränkt, ja sogar beleidigt fühlen. Warum kommen Sie nicht einfach mit und machen ihn glücklich?“

Computer hatten keine Gefühle, und das mußte Cha Thrat genausogut wissen wie er. Vielleicht hatte sie einen sommaradvanischen Witz gemacht.

„Also gut, ich komme mit“, willigte Lioren schließlich ein.

„Ich auch“, sagte Braithwaite. Nach Liorens Wissen blieb das Vorzimmer zum erstenmal unbeaufsichtigt, und er fragte sich, ob dadurch nur einer seiner Kollegen oder beide O'Maras Mißfallen riskierten. Doch aufgrund ihres Verhaltens auf dem Weg zur Kantine und durch die bestimmte, aber unauffällige Art, in der sie jedes Mitglied des medizinischen Personals abschreckten, das geneigt schien, Lioren aufzuhalten und mit ihm zu sprechen, wurde klar, daß sie mit Zustimmung des Chefpsychologen handelten. Und als sie an einem Tisch, der für melfanische ELNTs konstruiert war, drei freie Plätze fanden, stellten Braithwaite und Cha Thrat sicher, daß Lioren zwischen ihnen blieb. Außer ihnen befanden sich noch fünf kelgianische DBLFs am Tisch, die lautstark den Ruf einer nicht namentlich genannten Oberschwester ruinierten, während sie gerade aufstehen wollten, um die Kantine zu verlassen. Vor diesen Wesen gab es kein Entrinnen, denn gegen kelgianische Neugier ist kein Kraut gewachsen.

„Ich bin Schwester Tarsedth“, stellte sich eine der DBLFs vor, wobei sie Lioren den schmalen, kegelförmigen Kopf zuwandte. „Ihre sommaradvanische Freundin ist zwar eine gute Bekannte von mir, weil wir zusammen in der Ausbildung gewesen sind, erkennt mich aber nie, da sie, wie sie beharrlich behauptet, trotz ihrer vier Augen die Kelgianer nicht auseinanderhalten kann. Doch meine Fragen sind an Sie gerichtet, Oberstabsarzt. Wie fühlen Sie sich? Offenbaren sich Ihre Schuldgefühle in psychosomatischen Anfällen? Was für eine Therapie hat sich O'Mara für Sie ausgedacht? Zeigt sie schon Wirkung? Wenn das nicht der Fall sein sollte, kann ich vielleicht etwas tun, um Ihnen zu helfen?“

Auf einmal fing Braithwaite an, unübersetzbare Laute von sich zu geben, und seine Gesichtsfarbe war von einem blaßgelben Rosa in ein sattes Rot übergegangen.

Tarsedth warf einen kurzen Blick auf Braithwaite und sagte dann zu Lioren: „Denken Sie sich nichts dabei. Das kommt oft vor, wenn Luft- und Speiseröhre eine gemeinsame Öffnung haben. Anatomisch gesehen ist die terrestrische DBDG-Lebensform eine Katastrophe.“

Anatomisch gesehen war die Kelgianerin eine Schönheit, dachte Lioren, während er sich angestrengt bemühte, sich auf die Fragestellerin selbst zu konzentrieren, um den Qualen zu entgehen, die ihre Fragen verursachten. Sie gehörte zur physiologischen Klassifikation DBLF und war eine warmblütige Sauerstoffatmerin mit zahlreichen Beinen und einem biegsamen, zylinderförmigen Körper, der vollständig von einem äußerst beweglichen, silbrigen Fell bedeckt war. Das Fell befand sich in ständiger Bewegung, und breite Kräuselungen, die gelegentlich von kleinen Strudeln und Wellen durchkreuzt wurden, verliefen langsam vom kegelförmigen Kopf bis zum Schwanz hinab, als ob der unglaublich feine Pelz eine Flüssigkeit wäre, die von einem nicht spürbaren Wind aufgewühlt wurde. Dieses Fell erklärte und entschuldigte zugleich die ungehobelte und direkte Art, in der die Kelgianerin ein Thema angesprochen hatte, das, wie sie wissen mußte, sehr heikel war.

Aufgrund der unzulänglichen Anatomie der kelgianischen Sprechorgane wies die Sprechweise der DBLFs keine Intonation und Akzentuierung und damit keinerlei emotionale Ausdrucksfähigkeit auf. Doch das wurde durch das äußerst bewegliche Fell ausgeglichen, das die Empfindungen des Sprechers, zumindest für einen Kelgianer, vollständig, aber auch unwillkürlich widerspiegelte. Deshalb waren diesen Wesen Begriffe wie Lüge, Diplomatie, Taktgefühl oder gar Höflichkeit vollkommen fremd. Ein Kelgianer sagte immer genau das, was er meinte oder fühlte, da das Fell ständig seine Empfindungen verriet und er es als Dummheit und reine Zeitverschwendung betrachtet hätte, sich anders zu verhalten. Aber die Kelgianer hatten es auch mit den meisten anderen Lebensformen nicht gerade leicht, denn durch die Höflichkeit und die sprachlichen Umschreibungen, der sich viele Spezies bedienten, ließen sie sich wiederum leicht verwirren und irritieren.

„Schwester Tarsedth, ich fühle mich sehr unwohl, aber eher in psychologischer als in körperlicher Hinsicht“, reagierte Lioren mit leichter Verspätung. „Über die Therapie, die O'Mara in meinem Fall anwendet, bin ich mir bisher selbst nicht ganz im klaren, doch da ich zum erstenmal seit der Urteilsverkündung in die Kantine gehen durfte, wenn auch nur in Begleitung von zwei Beschützern, liegt es nahe, daß sie entweder allmählich eine Wirkung zeigt oder sich mein Zustand vielleicht trotz der Therapie verbessert. Falls Sie nicht nur aus reiner Neugier gefragt haben und Ihr Hilfsangebot mehr als bloß ein freundliches Wort sein soll, schlage ich Ihnen vor, zu Einzelheiten der Therapie und der Fortschritte — wenn es welche gibt — den Chefpsychologen höchstpersönlich zu befragen.“

„Sind Sie verrückt geworden?“ entgegnete die Kelgianerin aufgebracht, wobei sich ihr silbriges Fell plötzlich zu Stacheln bündelte. „Ich werde mich schwer hüten, ihm diesbezüglich irgendwelche Fragen zu stellen. O'Mara würde mir jedes Haar einzeln aus dem Fell reißen!“

„Und das wahrscheinlich ohne Betäubung“, fügte Cha Thrat hinzu, als sich Tarsedth entfernte.

Begleitet von einem akustischen Signal, das Lioren daran hinderte, die Antwort der Kelgianerin zu hören, glitten die Tabletts mit den Gerichten aus der Ausgabeöffnung im Tisch. „Ach, so was essen also die Tarlaner“, staunte Braithwaite und vermied es von da an, auf Liorens Teller zu sehen.

Obwohl er mit derselben Körperöffnung essen und sprechen mußte, führte der Terrestrier mit Cha Thrat ununterbrochen ein Gespräch, in dem er und die Sommaradvanerin verlockende Pausen einlegten, damit sich Lioren an der Unterhaltung beteiligen konnte. Ganz offensichtlich taten sie beide ihr Bestes, ihn zu beruhigen und seine Aufmerksamkeit von den Nachbartischen abzulenken, von denen aus er allgemein beobachtet wurde, doch bei einem Tarlaner, der sich ganz bewußt und mit aller Kraft darauf konzentrieren mußte, nicht gleichzeitig in alle Richtungen zu blicken, hatten sie damit nur wenig Erfolg. Ebenfalls klar war, daß er hier einer nicht gerade subtilen Psychotherapie unterzogen wurde.

Wie er wußte, waren Cha Thrat und Braithwaite über seinen Fall voll und ganz informiert, dennoch versuchten sie, ihn dazu zu bringen, diese Auskünfte noch einmal selbst zu wiederholen, um seine momentane Einstellung gegenüber sich selbst und denen, die ihn umgaben, besser einschätzen zu können. Dabei bedienten sie sich der Methode, sich über scheinbar höchst vertrauliche und oft persönliche Dinge zu unterhalten: über ihr vergangenes Leben, ihre persönlichen Ansichten über die Abteilung und ihre Einstellung zu O'Mara und anderen Mitarbeitern des Hospitals, zu denen sie angenehme oder unangenehme Kontakte gehabt hatten, in der Hoffnung, Lioren würde sich dafür revanchieren. Der Tarlaner hörte zwar mit großem Interesse zu, sagte jedoch kein Wort, es sei denn, er beantwortete direkt an ihn gerichtete Fragen von seinen beiden Mitarbeitern oder von anderen Personalmitgliedern, die von Zeit zu Zeit an seinem Tisch stehen blieben.

Die Fragen der silberpelzigen Kelgianer beantwortete er so einfach und direkt, wie sie gestellt wurden. Bei einem gewaltig großen sechsbeinigen Hudlarer mit der Armbinde eines fortgeschrittenen Krankenpflegeschülers, dessen Körper lediglich von einer erst kürzlich aufgetragenen Schicht Nahrungspräparat bedeckt war und der ihm im Vorbeigehen schüchtern „Alles Gute“ zugerufen hatte, bedankte er sich höflich. Genauso wie bei einem Terrestrier namens Timmins, der die Uniform des Monitorkorps mit dem Rangabzeichen eines Wartungsoffiziers trug. Dieser DBDG sagte ihm, er hoffe, daß die tarlanischen Umweltbedingungen in seiner Unterkunft richtig nachgebildet worden seien, und falls er noch etwas brauchte, um sich wohler zu fühlen, solle er nicht zögern, ihn darum zu bitten. Ein Melfaner, der die goldgeränderte Binde eines Chefarztes am einen krabbenartigen Arm hatte, blieb stehen, um Lioren mitzuteilen, daß er sich freue, ihn beim Essen in der Kantine anzutreffen, weil er sich schon längst einmal mit ihm habe unterhalten wollen, diesmal aber leider keine Zeit habe, da er in der ELNT-Chirurgie erwartet werde. Daraufhin erklärte ihm Lioren, daß er vorhabe, in Zukunft regelmäßig in der Kantine zu essen, wodurch sich ihnen in nächster Zeit bestimmt häufiger die Gelegenheit zu einer Unterhaltung böte.