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„Warten Sie hier, während ich die Oberschwester um eine Sprühdose bitte“, forderte Lioren den FROB in energischem Ton auf. „Es wäre für alle Beteiligten weniger lästig, wenn Sie nur auf der Zuschauergalerie für Chaos sorgen, anstatt womöglich auf der Hauptstation zusammenzubrechen. Und hier oben riskieren wir es nicht, Ihr übelriechendes hudlarisches Nahrungspräparat auf den blankpolierten Fußboden oder auf die Patienten zu sprühen.“

Als er mit dem Behälter und der Sprühdose mit dem Nahrungspräparat zurückkam, war der Hudlarer zu Boden gesunken. Seine Tentakel zuckten schwach, und aus der Sprechmembran drangen nur noch kaum hörbare, unübersetzbare Laute. Lioren setzte die Sprühdose gekonnt und genau ein — zusammen mit seinen Offffzierskameraden vom Monitorkorps hatte er gelernt, FROBs diesen Gefallen zu erweisen, die im luftleeren Raum mit Bauarbeiten beschäftigt waren — , und innerhalb weniger Minuten hatte sich der Hudlarer wieder vollkommen erholt. Im OP unter der Galerie war von Seldal und seinem Patienten keine Spur mehr zu sehen, und auch das OP-Personal verließ nach und nach den Saal.

„Durch diesen besonderen Akt der Nächstenliebe haben Sie den Abschluß der Operation verpaßt“, stellte Tarsedth fest, und ihr Fell richtete sich mißbilligend in Richtung des Hudlarers auf. „Seldal ist in die Kantine gegangen und wird erst zurückkehren, wenn es.“

„Entschuldigung, Tarsedth“, schnitt ihr der Hudlarer das Wort ab, „aber Sie vergessen, daß ich die gesamte Operation aufgenommen habe. Ich würde mich freuen, wenn Sie beide nach dem Unterricht in meine Unterkunft kommen würden, um sich das Video anzusehen.“

„Nein!“ weigerte sich Tarsedth. „Hudlarer benutzen keine Betten oder Stühle, und für mich und meinen weichen Körper oder selbst für den von Lioren gäbe es nichts, worauf man es sich bequem machen könnte. Und meine eigene Unterkunft ist viel zu klein, um zwei riesige Thrennigs wie Sie beide hineinzulassen. Wenn Lioren die Operation so brennend interessiert, kann er sich ja irgendwann das Band von Ihnen ausleihen.“

„Sie könnten beide auch gern zu mir kommen“, schlug Lioren schnell vor. „Ich habe noch nie einem nallajimischen Chirurgen bei der Operation zugesehen, und irgendwelche Anmerkungen, die Sie womöglich dazu machen können, wären bestimmt hilfreich für mich.“

„Wann?“ fragte Tarsedth.

Kaum hatte er mit den beiden einen Termin ausgemacht, der allen dreien paßte, fragte ihn der Hudlarer: „Lioren, sind Sie sich denn wirklich sicher, daß Sie ein Gespräch über die chirurgische Kunst einer fremden Spezies — denn genau darum wird es ja gehen — emotional nicht zu sehr belastet oder daß Sie durch das Getratsche mit Mitarbeitern, die nicht zu Ihrer Abteilung gehören, keinen Ärger mit O'Mara bekommen werden?“

„Unsinn“, widersprach Tarsedth für ihn. „Tratschen ist die befriedigendste nichtkörperliche Tätigkeit, die ich mir mit anderen Lebewesen vorstellen kann. Also bis dann, Lioren, und diesmal werde ich dafür sorgen, daß mein übergewichtiger Freund hier daran denkt, einen Reservebehälter mit Nahrungspräparat mitzunehmen.“

Als die beiden gegangen waren, brachte Lioren den leeren Behälter zur Oberschwester zurück, der er versichern mußte, mit dem Nahrungspräparat nicht die durchsichtigen Wände der Zuschauergalerie verschmiert zu haben. Warum jede Oberschwester einer Station unabhängig von Größe, Spezies und den Umweltbedingungen, die sie benötigte, so blindwütig darauf bestand, daß ihr medizinischer Herrschaftsbereich jederzeit in einem gepflegten, ordentlichen und peinlich sauberen Zustand gehalten werden mußte, hatte Lioren sich schon oft gefragt. Doch erst jetzt wurde ihm allmählich klar, daß die Station einer Oberschwester, die Perfektion im kleinsten Detail verlangte, besonders gut geeignet war, größere Notfälle zu bewältigen, egal, was das ihr unterstellte Pflegepersonal persönlich von seiner Vorgesetzten hielt.

Im Magen spürte Lioren ein schwaches, keineswegs schmerzhaftes Rumoren, das gewöhnlich Aufregung, einem nichtkörperlichen Vergnügen oder Hunger zuzuschreiben war — in diesem Fall glaubte er, daß es sich um eine Kombination aus allen drei Möglichkeiten handeln könnte. Im Bestreben, wenigstens einen dieser drei möglichen Gründe zu beseitigen, überlegte er sich einen Weg, der ihn so schnell wie möglich zur Kantine führte, auch wenn er nicht damit rechnete, dadurch das Rumoren im Magen voll und ganz loszuwerden, weil ihn sein erster Fall, der nichts mit praktischer Chirurgie zu tun hatte, zu sehr beschäftigte.

Sich als ehemaliger Oberstabsarzt beim Monitorkorps auf das berufliche Niveau von Auszubildenden herablassen zu müssen war ihm entgegen seinen Befürchtungen weder sonderlich schwergefallen, noch hatte es ihn in dem Maße beschämt, wie er es seiner Ansicht nach eigentlich verdient gehabt hätte. Er war sogar mit sich zufrieden, vorhin aus Cresk-Sars Bericht richtig gefolgert zu haben, daß sich Tarsedth Seldals Operation bestimmt ansehen würde. Nach dem Mittagessen wollte Lioren dann ins Büro zurückkehren, um den Terrestrier Braithwaite bei Laune zu halten und sich mit dem restlichen Bericht des Chefausbilders zu beschäftigen.

Alles in allem versprach es ein langer, arbeitsreicher Tag und ein noch längerer Abend zu werden, in dessen Verlauf er sich die Videoaufnahme von Seldals Operation ansehen und das Vorgehen des Nallajimers ausführlich besprechen könnte. Da die beiden Auszubildenden von Liorens beständigem Interesse für die Chirurgie fremder Spezies gehört hatten, würden sie viele Fragen von ihm erwarten. Unter diesen Umständen wäre es nur natürlich, wenn sich das Gespräch von der Operation auf die Persönlichkeit, die Gewohnheiten und das Verhalten des Chirurgen verlagerte. Jeder tratschte gern über seinen Vorgesetzten, und die Menge der vorhandenen, ganz persönlichen Informationen nahm normalerweise direkt proportional zum Dienstgrad des Betreffenden zu. Wenn er vorsichtig ans Werk ging, könnte er dem FROB und Tarsedth das, was sie über Seldal wußten, vielleicht so geschickt entlocken, daß weder seine beiden Informanten noch der Gegenstand seiner Untersuchung selbst merken würden, worum es in Wirklichkeit ging.

Für eine verdeckte Ermittlung war das ein vielversprechender Anfang, dachte Lioren und beglückwünschte sich mit einem leichten Schaudern selbst.

9. Kapitel

„Bei Nallajimern weiß ich nie so recht, ob ich dabei zusehe, wie ein Patient operiert wird, oder ob ich Zeuge bin, wie er gerade vom Chirurgen verspeist wird“, stellte Tarsedth angewidert fest, als sie sich spät abends zu dritt die Videoaufzeichnung von Seldals Operation ansahen.

„In der Frühzeit der MSVKs, bevor es Geld gegeben hat, ist das für einen nallajimischen Arzt wahrscheinlich die einzige Möglichkeit gewesen, um von seinem Patienten das Honorar zu bekommen“, meinte der Hudlarer, wobei der Tonfall seiner eigenen Stimme, die trotz der Übersetzung des Translators zu hören war, zu verstehen gab, daß diese Bemerkung nicht ganz ernst genommen werden durfte.

„Zunächst einmal finde ich es äußerst bewundernswert, daß eine Lebensform, die drei Beine und zwei nicht ganz verkümmerte Flügel hat, aber über keinerlei Hände verfügt, Chirurgen hervorbringen konnte“, sagte Lioren. „Beziehungsweise überhaupt dazu in der Lage ist, irgendeine der anderen Tätigkeiten auszuüben, die äußerst knifflige Handgriffe erfordern und die früher einmal zur Entwicklung von Intelligenz und einer auf Technologie gegründeten Zivilisation geführt haben. Die MSVKs haben ihre Entwicklung mit so vielen physiologischen Nachteilen angefangen, hat man.“